Warum die Wissenschaft nicht frei ist

Risiken blinden Vertrauens: das Gutachtenssystem

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Im ersten Teil der Serie haben gesehen, wie die Karriere von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch materielle Bedingungen bestimmt wird (Warum die Wissenschaft nicht frei ist). Insbesondere die Lehre - an sich eine noble Aufgabe - ist eine Armutsfalle für die Spitzenforschung. Das Gutachtenssystem, in dem Peer Reviewer die Arbeit anderer Forscherinnen und Forscher kontrollieren, ist von der Idee her zwar richtig, krankt in der Praxis aber an Gewinnabsichten der Verlage und Interessenkonflikten der Wettbewerbsteilnehmer.

Ein Hauptproblem war, dass Entscheidungen über Publikationen eine große Bedeutung für die Laufbahn haben, die Entscheider aber nicht zur Verantwortung gezogen werden können: Sie arbeiten häufig nach unbekannten Regeln, beeinflusst von finanziellen Interessen und im Geheimen. Eine unabhängige Kontrolle findet nicht statt. Die Qualität der Wissenschaft steht und fällt damit, ob das (häufig blinde) Vertrauen in die Menschen gerechtfertigt ist.

Missbrauch möglich

Natürlich behaupte ich nicht, dass dieses Vertrauen immer missbraucht wird. Meine Kritik soll aber verdeutlichen, dass ein systematischer Missbrauch möglich ist und alles davon abhängt, wie sorgfältig und sauber die Gutachterinnen und Gutachter, genannt Peer Reviewer, sowie die Redaktionen arbeiten. Letztere sind meistens Angestellte gewinnorientierter Unternehmen, die um Geld, Aufmerksamkeit und Impact konkurrieren. Die Redakteurinnen und Redakteure, kurz: Editors, können allein schon durch die Auswahl der Reviewer den Publikationsprozess in eine bestimmte Richtung lenken.

Wir kennen das doch aus der Politik: Will eine Regierung ein Gutachten, das Atomenergie als sicher darstellt, dann kennt sie dafür die passende Adresse; oder ein Gutachten, das Schutzlücken im Sexualstrafrecht findet, dann auch. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass die Identität der Gutachterinnen und Gutachter hier immerhin offenliegt, der Prozess also zwar nicht neutral, doch für die Betroffenen wenigstens nachvollziehbar ist. Dies gilt nicht für das wissenschaftliche Publikationswesen.

Oder um es einmal anders zu formulieren: Die Entscheidungen, die den Erfolg und den Karriereweg von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern maßgeblich mitbestimmen, unterliegen keiner öffentlichen Kontrolle. Dabei geht es nicht nur um öffentliche Gelder und Positionen, sondern auch um die öffentliche Institution Wissenschaft an sich.

Meinungsherrschaft

Wenn etwa eine herrschende Schule, denken wir zum Beispiel an die Volkswirtschaftslehre, die Konkurrenz ausschalten möchte, dann kann sie schlicht die Posten der Editors und der Peer Reviewers besetzen - und dann jeder abweichenden Arbeit mangelnde Qualität bescheinigen. Wenn die Konkurrenz dann überhaupt noch eine Chance hat, dann hat sie es in jedem Fall sehr viel schwerer, in den einschlägigen Publikationsorganen publiziert und gelesen zu werden.

Würde ein Verwaltungsorgan auf diese Art und Weise ihre Entscheidungen treffen, dann hielten sie keiner gerichtlichen Prüfung stand. Die Editors arbeiten frei nach ihren eigenen Regeln, wenn sie überhaupt welche haben, und sind keiner Kontrolle unterworfen. Eine Berufungsinstanz gibt es auch nicht, allenfalls einen neuen Versuch bei einer anderen Zeitschrift, bei der dieselben Prozesse wieder von vorne ablaufen. Vor allem können aber die Peer Reviewer, auf deren Empfehlungen die Entscheidungen gestützt werden, dafür nicht zur Verantwortung gezogen werden.

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