Lombarden und Venezier stimmen über mehr Autonomie ab

Grafik: TP

Lega und M5S sind für Dezentralisierung, die sozialdemokratische PD ist gespalten

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Heute stimmen die Bürger in den italienischen Regionen Lombardei und Venezien zwischen 7 Uhr morgens und 23 Uhr abends darüber ab, ob ihre Verwaltungseinheiten von der Zentralregierung in Rom mehr Kompetenzen einforden sollen. Dabei geht es neben Zuständigkeiten in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Sicherheit, Einwanderung vor allem um etwa 70 Milliarden Euro an Steuern für die Zentralstaatskasse in Rom. Eine Summe, die, die beiden Regionalpräsidenten Roberto Maroni und Luca Zaia halbieren wollen, weil sie glauben, dass die beiden Regionen, die zusammen mit nur einem Sechstel der italienischen Bevölkerung fast ein Drittel des italienischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften, damit besser Probleme vor Ort lösen.

Der Lega-Politiker Roberto Maroni, der der Lombardei seit 2013 als Präsident vorsteht, betonte in einem Interview mit der Tageszeitung La Stampa, dass das Referendum in seiner Region anders als das unlängst abgehaltene in Katalonien die "nationalen Einheit" nicht "infrage stelle", weil die Bürger lediglich gefragt würden, ob die Gebietskörperschaft zusätzliche Zuständigkeiten übertragen bekommen soll. Dadurch sei das Referendum auch mit Artikel 116 der italienischen Verfassung vereinbar.

Größeren Autonomierechte gibt es in Italien bislang nur in fünf der insgesamt 20 Regionen, die ein Sonderstatut haben: Neben den großen Inseln Sizilien und Sardinien, sind das das französischsprachige Aostatal, das rätoromanische Friaul-Julisch Venetien und das deutsch- und rätoromanischsprachige Südtirol. Dort hat eine Abspaltungsbewegung in den letzten Jahren deutlich an Schwung gewonnen: Bei den letzten Landtagswahlen 2013 verlor die Südtiroler Volkspartei (SVP), die sich am sozialdemokratisch geführten Bersani-Bündnis Italia Bene Comune beteiligt hatte, erstmals seit 1948 die absolute Mehrheit der Mandate. Dafür legten relativ junge Parteien zu, die eine Unabhängigkeit des Gebiets fordern (vgl. Unabhängigkeitsparteien legen bei Wahl in Südtirol deutlich zu).

In der Region Venezien versuchte das Parlament im letzten Jahr die Grundlage für eine größere Autonomie dadurch zu schaffen, dass es, Venetisch, den Dialekt der Region, zur zweiten Amtssprache erklärte. Damit will die Region vom italienischen Staat die Anwendung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates einfordern (vgl. Das venetische Volk wird zur "nationalen Minderheit"). 2014 hatten Separatisten dort bereits ein nicht anerkanntes Selbständigkeitsreferendum abgehalten, an dem sich bei einer angeblichen Wahlbeteiligung von 73 Prozent 89 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit der alten Seefahrerrepublik aussprachen (vgl. "Wir sind hier, um die Unabhängigkeit zu erklären").

Hohe Beteiligung soll Gewicht verstärken

Obwohl es weder in der Lombardei noch in Venezien ein Teilnahmequorum gibt, hoffen Maroni und sein Parteifreund Zaia auf eine möglichst hohe Beteiligung an der Abstimmung. Das, so Maroni, würde das Gewicht seiner Argumente bei den Verhandlungen in Rom stärken. Dort kritisierten Politiker der regierenden sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) die Volksbefragung vorab als unnötig und teuer, während norditalienische PD-Kommunalpolitiker wie der Bürgermeister von Mailand mehr Subsidiarität ebenso begrüßen würden wie mehrere Gewerkschaften und die größte Oppositionspartei M5S.

M5S wählt Neapolitaner neuen Parteichef

Sie liegt in Umfragen zur Parlamentswahl, die spätestens im April nächsten Jahres stattfinden muss, etwa gleichauf mit der PD und hat unlängst in einer Onlineabstimmung (an der sich 37.000 der etwa 140.000 Mitglieder beteiligten) den 32-jährigen Neapolitaner Luigi Di Maio als Spitzenkandidaten und "Capo Politico" gekürt. Der Capo Politico hat bei der M5S weitgehende Eingriffsrechte bei der Aufstellung der Kandidatenlisten und beim Ausschluss politischer Gegner. Als graue Eminenz im Hintergrund gilt vielen Beobachtern aber weiterhin der 69-jährige Parteigründer und Blogger Beppe Grillo, auch wenn der die Partei nach eigenen Angaben nur mehr unterstützt.

Di Maio, der Vizepräsident der italienischen Abgeordnetenkammer, ist vom Auftreten her in etwa das Gegenteil des verhältnismäßig lang- und grauhaarigen, bärtigen und jovial auftretenden Ex-Komikers Grillo: Er trägt gut sitzende Anzüge und drückt sich eher vorsichtig und diplomatisch aus. Besonders dann, wenn es um eine Volksabstimmung über die Abschaffung des Euro in Italien geht. Migrationspolitisch fährt er einen merkelkritischen Kurs, der eine genaue Kontrolle der Aktivitäten deutscher und anderer NGOs im Mittelmeer beinhaltet. Sein innerparteilicher Gegner Roberto Fico, der eine eher mit Positionen der deutschen Grünen vergleichbare Haltung vertritt, hatte seine Kandidatur wegen offensichtlicher Chancenlosigkeit noch vor dem Wahltermin zurückgenommen.