Ein Wolf für freiwerdende Hirtenstelle in der EZB-Führung?

Luis de Guindos auf dem Weltwirtschaftsforum 2012. Bild: World Economic Forum/Remy Steinegger/CC BY-SA-2.0

Nachdem der spanische Wirtschaftsminister nicht Eurogruppenchef werden konnte, soll er nun auf Vizepräsidentenposten der Europäischen Zentralbank (EZB) weggelobt werden

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Schon die Ernennung des 57-jährigen Luis de Guindos zum spanischen Wirtschaftsminister war umstritten. Es gab auch massiven Protest, als er sich 2014 anschickte, Eurogruppenchef zu werden. Ähnlich ist das erneut, da der ultrakonservative Spanier nun Vizepräsident der Europäischen Zentralbank (EZB) werden soll. Kurz vor Ende der Frist am späten Mittwoch wurde der 1960 in Madrid geborene Wirtschaftswissenschaftler dann doch noch von Spanien als Kandidat benannt.

Es spricht einiges dafür, dass Luis de Guindos bald zentral an der Geldpolitik im Euroraum mitwirken dürfte. Das liegt vor allem daran, dass Spanien in europäischen Institutionen schwach vertreten ist, schwächer sogar, zum Entsetzen der stolzen Spanier, als der kleine Nachbar Portugal. Wichtig ist aber, dass der ultrakonservative Christ, Mitglied des fundamentalistischen Opus Dei, auf Unterstützung aus der deutschen Christdemokratie bauen kann. Beobachter in Spanien meinen, er werde jetzt die "Schulden in Berlin" eintreiben, dass er seine Kandidatur für den Eurogruppenchef zuvor zurückgezogen hat.

Viele sehen in ihm eine "miese" Wahl. In Spanien macht man sich über den Mann lustig, der aus der von Korruption zerfressenen Volkspartei (PP) kommt und wahrlich nicht viel geleistet hat, um die Lage der Bevölkerung oder der Staatskassen nachhaltig zu verbessern. "Mir gefällt, dass Luis de Guindos einen wichtigen Posten in der EZB bekommt. Es wäre ja noch schöner, wenn er nur den Spanier das Leben versauen könnte", twittert Superlopez. Ein anderer ätzt, dass die Regierung ihn als Kandidat aufstellt und den "Chapo Guzmán, um den Kampf gegen Drogen zu führen".

Schon bei der Ernennung zum Wirtschaftsminister wurde erklärt, dass man einen "Wolf zum Hüten der Schafe" anstellt. So heißt auf Spanisch, den "Bock zum Gärtner" zu machen. Schließlich war er Top-Manager bei der US-Investmentbank Lehman Brothers, als diese 2007 abgeschmiert ist und Schockwellen über die gesamte Welt schickte. Bis zur Ernennung als Minister saß er im Verwaltungsrat der Bank Mare Nostrum. Die wurde nach seinem Abgang mit Steuergeld gerettet.

Vergessen sind seine Worte hier nicht, dass die Rettungen den Steuerzahler keinen Euro kosten würden. Die spanische Zentralbank hat die Verluste bisher auf knapp 61 Milliarden Euro beziffert und es könnten noch bis zu 12 Milliarden hinzukommen.

De Guindos Ziehvater war Rodrigo Rato. Der war wiederum für den Absturz der großen Bankia-Bank verantwortlich. Bankia strich Rettungsgelder im größten Umfang ein und De Guindos war zentral mitverantwortlich dafür, dass Rato zum Bankia-Chef ernannt und aus diversen abstürzenden Sparkassen eine Großbank gemacht wurde, statt die kleineren Institute abzuwickeln. Doch Rato hatte noch Rechnungen bei seinem früheren Untergebenen zu kassieren, schließlich war er bis 2004 der Chef von De Guindos. Rato ist allerdings schon tief gestürzt. Er muss sich nun in etlichen Verfahren unter anderem wegen Korruption verantworten.

In der Zeit als Staatssekretär unter Rato, bevor der zum Internationalen Währungsfonds (IWF) wechselte, legten Rato, De Guindos und andere Konservative bis 2004 in Spanien die Grundlagen für die gefährliche Immobilienblase. Praktisch das gesamte Land wurde von den Neoliberalen zum Bauland deklariert, um den Bauboom anzuheizen. Sogar die Bankenvereinigung (AEB) warf ihnen später vor, mit der Kultur fester Zinsen gebrochen zu haben. Da die Zinsen variabel wurden und billig waren - wie heute wieder -, konnte sich die Blase erst gefährlich aufblähen. Das brach zahllosen Familien das Genick, die auf die Straße gesetzt wurden, als die Zinsen plötzlich nach der Lehman-Pleite stiegen.

"Es gibt viele qualifizierte Frauen für diesen Job"

Sven Giegold, wirtschafts‑ und finanzpolitischer Sprecher der Grünen/EFA‑Fraktion im Europaparlament, begrüßt grundsätzlich einen spanischen Kandidaten, aber er will eine Kandidatin. "Es ist völlig unzeitgemäß, dass noch nie eine Frau Präsidentin oder Vizepräsidentin der EZB war." Er rief die Europaparlamentarier auf, einem Mann die Zustimmung zu verweigern. "Es gibt viele qualifizierte Frauen für diesen Job", sagte Giegold. Er kritisiert auch, es sei unangebracht, dass der Spanier direkt von der Regierungsbank zur EZB wechseln würde und das Amt deshalb nicht unabhängig ausführen könne. "De Guindos ist eine Gefahr für die Unabhängigkeit der EZB." Zurücktreten will der Spanier aber erst, wenn er für den EZB-Posten bestimmt ist. Sicher, dass er Vizepräsident wird, ist er offensichtlich nicht.

Es verwundert aber, dass Giegold nicht auf die "Erfolge" des Spaniers eingeht. Denn die gibt es in seinen fast sieben Ministerjahren kaum. Deshalb wurde er auch kein Eurogruppenchef. Den Posten trat kürzlich der erfolgreiche portugiesische Sozialist Mário Centeno an. Der blickt auch nicht auf eine Arbeitslosigkeit, die in Spanien mit 16,4% fast doppelt so hoch ist wie im Durchschnitt des Euroraums. In Portugal hat sie die Linksregierung mit der Abkehr vom Austeritätskurs auf nun 7,8% gedrückt. Während das portugiesische Defizit 2017 wohl bei 1% gelegen haben dürfte, schaffte es Spanien unter De Guindos erneut nicht einmal, die Defizitgrenze von 3% nach vielen Jahren trotz des starken Wachstums wieder einzuhalten.

Kritik am Postenkarussel und Mauscheleien in Hinterzimmern

Europäische Ökonomen, Politologen und Juristen, vor allem aus Frankreich, Belgien und Deutschland, kritisieren zudem, dass solche Posten in "Hinterzimmern" intransparent ausgemauschelt werden und einem "Postenkarussell" und Machtausgleich geschuldet seien. Thomas Piketty, Peter Bofinger, Ulrike Guérot fordern in einem gemeinsamen Kommuniqué eine öffentliche Debatte über die Besetzung von EZB-Posten.

Vier von sechs Posten im EZB-Rat müssen demnächst neu besetzt werden, auch der des Präsidenten Mario Draghi. "Es gibt keinen Grund dafür, dass die Wirtschaftsminister ihre Entscheidungen nicht veröffentlichen und zudem die Gründe, die dahinter stehen. Nichts hindert die Kandidaten daran, vor allem die, die sich für die Präsidentschaft bewerben, sich in den kommenden Monaten vorzustellen, von nationalen Vertretern angehört zu werden, wo sie ihre Verpflichtungen darlegen", wird in dem Text argumentiert.

Tatsächlich läuft das bisher ganz anders. Es gibt, wie im Fall des Vizepräsidenten, nur eine informelle Anhörung aller Kandidaten. Sie werden vor dem Europäischen Parlament am 27. Februar offiziell angehört, das am 13. März abstimmen wird. Doch, das ist der Witz bei der Geschichte, ist die Entscheidung der gewählten Vertreter nicht bindend. Der Europäische Rat kann den EZB-Vizepräsidenten unabhängig vom Ausgang der Abstimmung im Parlament bestimmen.