Stickoxide: Kommt der Null-Tarif im Nahverkehr?

S-Bahn Köln

(Bild: Bild: Johannes Martin Conrad / CC BY 3.0 )

Bundesregierung schlägt in Brief an EU-Kommission den kostenlosen ÖPNV als Maßnahme gegen die zu hohe Stickoxidbelastung vor

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In der geschäftsführenden Bundesregierung wird offensichtlich über einen Null-Tarif im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) nachgedacht. Das berichteten am Dienstag verschiedene Medien.

Um eine Klage der EU-Kommission wegen verbreiteter Verletzung der Stickoxid-Grenzwerte in Dutzenden Städten abzuwehren, suchen Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Kanzleramtsminister Peter Altmayer (CDU) nach Wegen, den innerstädtischen PKW-Verkehr einzudämmen.

In einem Brief der Minister an die EU-Kommission wird der kostenlose Nahverkehr als eine mögliche Maßnahme gegen die hohe Belastung in vielen Städten genannt. Das Schreiben ist offensichtlich die Reaktion auf eine Frist zur Ergreifung von Maßnahmen, welche die Kommission kürzlich der Bundesregierung gesetzt hatte.

Noch immer, so Umweltkommissar Karmenu Vella Ende Januar in einer Stellungnahme, würden in der EU aufgrund der Luftverschmutzung jährlich 400.000 Menschlich vorzeitig sterben. Die Zeit für das Erreichen der von den Mitgliedsstaaten verabredeten und gesetzlich fixierten Grenzwerte sei längst abgelaufen.

Die Kommission überlegt daher, gegen neun Mitgliedsstaaten Klagen vorzubereiten. Neben Deutschland sind dies die Tschechische Republik, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Italien.

Dieselabgase

Das Problem sind vor allem die Dieselabgase des Straßenverkehrs, aber auch die Kohlekraftwerke spielen eine gewisse Rolle. In Deutschland ist die Fahrleistung von PKW und LKW, also die pro Person bzw. pro Tonnen beförderter Fracht zurückgelegte Strecke, auch in den letzten drei Jahrzehnten erheblich weiter gewachsen.

Bei Diesel-PKW gab es sogar seit 1995 nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) überproportional fast eine Verdoppelung. Immerhin haben sich die Stickoxidemissionen trotzdem verringert, allerdings für viele Städte nicht genug, um die in den letzten Jahren – mit langer Vorwarnzeit – abgesenkten Grenzwerte einzuhalten.

Beim Treibhausgas Kohlendioxid sieht die Bilanz noch schlechter aus. Hier wurden alle Fortschritte bei der Effizienz der Motoren von der Verkehrssteigerung aufgefressen. Nach einer vorläufigen Schätzung des UBA lagen die Treibhausgasemissionen des Straßenverkehrs 2016 sogar etwas über dem Niveau von 1990.

Für den Umstieg muss das Angebot verbessert werden

Vom kostenfreien Nahverkehr erhoffen sich die Befürworter und so offensichtlich auch die Spitzen von Union und SPD, die sich seit Jahrzehnten gegen entsprechende Forderungen stemmen, einen nennenswerten Umstieg von Autofahrern auf Bus und Bahn.

Voraussetzung wäre allerdings auch eine erhebliche Verbesserung des Angebots, das heißt, mehr Strecken, höhere Frequenz, mehr Zuverlässigkeit und mitunter auch mehr Sauberkeit.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zeigt sich in einer Stellungnahme von dem Vorschlag überrascht und kritisch. "Endlich erkennt auch die Bundesregierung die Schlüsselrolle des ÖPNV für Luftreinhaltung und Klimaschutz", so VDV-Präsident Jürgen Fenske. Bevor man aber mit einem kostenlosen Angebot mehr Fahrgäste in den ÖPNV locke, müsse dieser erst ausgebaut und leistungsfähig gemacht werden.

"Schon heute drängeln sich die Fahrgäste überall in Bussen und Bahnen. Ein kurzfristiger, sprunghafter Fahrgastanstieg würde die vorhandenen Systeme vollständig überlasten. Das heißt, zunächst benötigen wir dringend den Ausbau der Kapazitäten im deutschen Nahverkehr mit Hilfe öffentlicher Finanzierung."
Jürgen Fenske, VDV

Wer soll das alles bezahlen?

Wenn, dann dürfe der Null-Tarif im ÖPNV keine Eintagsfliege sein. Fenske schätzt den regelmäßigen zusätzlichen Finanzbedarf auf zwölf Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kämen "Milliardenbeträge für die Infrastrukturinvestitionen". Eine interessante Hausnummer. Für den Bundeshaushalt sollte das keine allzu große Schwierigkeit darstellen, zumal es sich zugleich um ein Arbeitsbeschaffungsprogramm handelt und für sehr viele Menschen einen erheblichen Gewinn an Lebensqualität mit sich bringen würde.

Und wer soll das alles bezahlen? Es könnten zum Beispiel Kapitalerträge und Vermögen wieder stärker besteuert werden. Oder Erbschaften. Die Vermögens- und Erbschaftssteuern sind hierzulande so niedrig, wie in kaum einem anderen EU-Land, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Das Vermögen des reichsten Prozents der hiesigen Gesellschaft wächst derzeit um 3.662 Euro pro Sekunde. Würde dies vollständig per Steuer abgeschöpft, ergäben sich für den Fiskus jährliche Einnahmen von gut 115 Milliarden Euro. Damit ließe sich nicht nur ein guter, deutlich verbesserter ÖPNV vollständig finanzieren, sondern auch noch eine vernünftige Bundesbahn und manches mehr.