Neue Varianten für einen alten Code

Fluoriszierende E. coli-Zellen exprimieren ein durch künstliche DNA codiertes Protein. Bild: Bill Kiosses, The Scripps Research Institute

Bakterien nutzen erstmals einen künstlichen genetischen Code, um ein ungewöhnliches Protein zu erzeugen

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Der genetische Code gehört zu den ältesten Merkmalen des Lebens: Die Zeichen und Regeln, die den Fluss der Information von DNA zu Protein steuern, haben sich seit über 3 Milliarden Jahren kaum verändert. Doch den Ansprüchen der modernen Biotechnologie genügt er längst nicht mehr. Sein Zeichensatz sieht für die Herstellung von Proteinen nur etwa 20 Aminosäuren vor, obwohl deren Zahl theoretisch fast unbegrenzt ist. Wenn Forscher diese Variationsbreite ausschöpfen wollen, müssen sie den uralten Code manipulieren und den neuen Bedürfnissen anpassen.

Eine dieser Bestrebungen führte kürzlich zum Erfolg: Forscher erweiterten das Alphabet der DNA-Basen um zwei synthetische Buchstaben, um die neue Information für den Einbau ungewöhnlicher Aminosäuren zu nutzen. Ein Meilenstein der Grundlagenforschung - aber vielleicht auch schon bald ein Weg zu besseren Medikamenten.

Zwei neue Buchstaben für das genetische Alphabet

Der Durchbruch basiert auf jahrzehntelangen Vorarbeiten. Seit dem Ende der 1990er Jahre arbeiten Forscher um Floyd Romesberg am kalifornischen Scripps Institut an neuen DNA-Bausteinen, die auf den synthetischen Basen dNaM (kurz als X bezeichnet) und dTPT3 (Y) basieren.

Nicht nur die Basen, sondern auch deren Bindung ist ungewöhnlich: Während die natürlichen Basenpaare Adenin-Thymin (A-T) und Cytosin-Guanin (C-G) über Wasserstoffatome gekoppelt werden, beruht die Interaktion X-Y auf hydrophoben, wasserabstoßenden Wechselwirkungen. Die DNA kann diese Abweichung jedoch halbwegs tolerieren: Seit dem Jahr 2017 können einzelne Basen im Erbgut von Bakterien Dutzende von Zellteilungen überstehen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Bakterien in freier Natur überleben könnten. Ihnen fehlt eine wesentliche Fähigkeit: Sie können die synthetischen Basen nicht selbst erzeugen und sind auf Nachschub über das Kulturmedium angewiesen. Das hat einen beruhigenden Nebeneffekt: Eine unkontrollierte Ausbreitung ist de facto unmöglich, alle neuen genetischen Informationen, die der erweiterte Code aufnehmen kann, werden das Labor nie verlassen.

Der Zugewinn an genetischer Information ist theoretisch erheblich: Das zusätzliche Basenpaar erlaubt die Bildung von 152 neuer Codons - Sequenzen von drei Basen, die den Einbau von Aminosäuren in Proteine steuern. Doch in der Praxis ist nur ein Bruchteil davon realisierbar, denn die ungewöhnliche Bindung zwischen X und Y beeinträchtigt die Struktur der DNA. Um die DNA-Doppelhelix nicht gänzlich zu destabilisieren, müssen synthetischen Basen von ihren natürlichen Gegenstücken eingerahmt werden - was die Zahl der möglichen Codons deutlich reduziert. Doch auch so haben die Forscher bereits vierzehn neue Varianten identifiziert.

Ungewöhnliches Protein, aber keine neue Funktion

In ihrer jüngsten Arbeit, die in Nature veröffentlicht wurde, gelang es den Forschern, die synthetischen Codons AXC und GXC für die Herstellung von Proteinen zu nutzen. Dazu waren zwei weitere Komponenten erforderlich: Die Bakterien mussten mit neuen Transfer-RNAs ausgestattet werden, die das künstliche Codon erkennen und den Einbau von Aminosäuren vermitteln. Zudem wurden ungewöhnliche Aminosäuren, die nur von seltenen Bakterienarten genutzt werden, über das Kulturmedium bereitgestellt. Getestet wurde dieses System mit Hilfe eines fluoreszierenden Modellproteins, in dessen Gen ein einzelnes synthetisches Codon einfügt wurde.

Der entscheidende Schritt verlief dann überraschend problemlos: In fast allen produzierten Modellproteinen fand sich die künstliche Aminosäuren an der gewünschten Stelle. Zudem wurde das Protein in zufriedenstellender Menge hergestellt, immerhin 40 % der natürlichen Ausbeute wurden erreicht. Die Forscher hatten zwar tief in den natürlichen Fluss der genetischen Information eingegriffen - der Prozess lief aber dennoch mit beeindruckender Effizienz ab.

Das Protein verfügte nun zwar über eine ungewöhnliche Aminosäure, an seinen Eigenschaften änderte sich jedoch wenig. Dies war auch beabsichtigt: Die Aminosäure wurde gezielt an einer Position eingebaut, von der bekannt war, dass Veränderungen ohne spürbare Auswirkungen bleiben. Proteine mit neuen Funktionen sollen aber bald folgen.

Biologika mit Eigenschaften nach Maß

Das Ziel ist bereits definiert - der erweiterte Code soll die Eigenschaften von Medikamenten verbessern. Die Hoffnung richtet sich hier auf Biologika: Protein-basierte Wirkstoffe wie Antikörper, Gerinnungsfaktoren und Entzündungshemmer, die bei vielen schweren Krankheiten zum Einsatz kommen. Das Protein-Rückgrat dieser Biologika ist sehr einfach zu manipulieren, das gezielte Einfügen von chemischen Modifikationen hingegen wirft große Probleme auf.

Künstliche Aminosäuren, die an einer definierten Position eingefügt werden, könnten eine Lösung sein. Sie bilden einen Ansatzpunkt, um chemische Substanzen oder andere Wirkstoffe punktgenau an Biologika zu koppeln. Der Bedarf auf diesem Gebiet ist groß: Antikörper könnten in Kombination mit Zellgiften den Kampf gegen Krebs erleichtern, Entzündungshemmer leichter von Zellen aufgenommen werden und Gerinnungsfaktoren mit längerer Halbwertszeit entstehen. Der Forschungsleiter Floyd Romesberg sieht hier für seinen synthetischen Code ein so großes Potenzial, dass er zu dessen Verwirklichung bereits eine Firma mit Namen Synthorx gegründet hat.

Ein semi-synthetischer Organismus?

Doch abgesehen von der praktischen Bedeutung glaubt Romesberg, auch bei grundsätzlichen Fragen des Lebens Neuland zu betreten: Er sieht in seinen manipulierten Bakterien bereits semi-synthetische Organismen. Mit dieser Behauptung wandelt er in den Spuren des Genomforscher Craig Venter, der vor einigen Jahren ein Bakterium genetisch kopiert und dies als ersten synthetischen Organismus angepriesen hatte (Das synthetische Genom).

Im Gegensatz zu Venter konnte Romesberg zwar tatsächlich etwas Neues schaffen, aber der erweiterte Code bleibt ein künstliches, nur unter Zwang aufrecht zu erhaltendes System. Er hat Bakterien damit nur eine Last aufgezwungen, die sie nicht abschütteln können - der Utopie vom synthetischen Leben ist er damit kaum nähergekommen.

Diese Einschränkung kann die Bedeutung des Experiments jedoch nicht schmälern - es bleibt ein großer Wurf der synthetischen Biologie. Zudem noch einer der seltenen Fälle, wo ein Durchbruch im Labor auch rasch eine praktische Anwendung finden könnte.