Neue Frontlinien in der EU nach der italienischen Regierungsbildung

Grafik: TP

In der Währungs-, der Migrations- und der Russlandpolitik haben verschiedene Mitgliedsländer verschiedene Interessen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am Mittwochabend bekam der Florentiner Juraprofessor Giuseppe Conte vom italienischen Staatspräsidenten Sergio Matarella offiziell den Auftrag zur Regierungsbildung. In den nächsten Tagen will der Kompromisskandidat der beiden Koalitionsparteien M5S und Lega seine Ministerliste vorlegen. Lega-Chef Matteo Salvini hat bereits mehrfach betont, dass der das Innenministerium für sich selbst vorgesehen hat.

Der M5S-Capo Luigi Di Maio wird aktuell als Arbeitsminister gehandelt, der 81-Jährige ehemalige Handelsminister Paolo Savona als Finanzminister. Dieser Ökonom wird in Brüssel gefürchtet, weil er den Euro als "deutsches Gefängnis" für Italien bezeichnete und die Auffassung vertrat, dass ein EU-Austritt nach britischem Vorbild nach zeitlich begrenzten Anpassungsschwierigkeiten mittel- und langfristig positive Folgen für das Mittelmeerland hätte.

Finanzpolitik

Auch wenn Savona nicht Finanzminister werden sollte, haben sich durch die Koalition in Italien doch die Frontlinien unter den 28 EU-Staaten geändert. Aktuell gibt es mindestens drei solcher Frontlinien, die zwischen unterschiedlichen Gruppen von Staaten verlaufen:

Eine finanzpolitische Front verläuft zwischen den stabile Währungen gewohnten Nordstaaten wie Holland, Irland, Dänemark, Schweden, Finnland, Estlands, Lettland und Litauen auf der einen und den weichwährungsfordernden Mittelmeeranrainern, an deren Spitze nun Italien steht, auf der anderen Seite (vgl. Skandinavische und baltische Länder wollen sich Macron und Merkel entgegenstellen).

Migrationspolitik

Eine weitere Frontlinie ist die migrationspolitische. Hier stehen die ehemals ganz oder teilweise zum Habsburgerreich gehörenden Länder Österreich, Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen vor allem gegen die aktuelle deutsche Regierung. Italien (das sich nach dem Ersten Weltkrieg mit Südtirol, Trient, Triest und Istrien ebenfalls einen Teil des Habsburgerreiches einverleibte) gehört nun in Sachen Migrationspolitik zu dieser Gruppe: Vor allem die Lega verlautbarte bereits im Wahlkampf, dass sie sich in dieser Hinsicht die türkis-blaue Koalition in Wien zum Vorbild genommen hat.

Finanzpolitisch stehen Österreich und Italien aber auf unterschiedlichen Seiten. Das zeigte sich gestern, als der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz beim Wiener Salon der Kleinen Zeitung zum Programm der neuen Regierung in Rom meinte, es sei "höchst unverantwortlich" und könne "in Richtung Griechenland gehen" und den Euro gefährden.

Hintergrund seiner Sorge ist ein geplantes Paket aus einer Steuersenkung, einem Grundeinkommen und einer Rentenreformrücknahme, das den italienischen Staatshaushalt mit geschätzten 75 bis 90 Milliarden Euro belasten dürfte. Da unwahrscheinlich ist, dass dieses Geld durch Wachstumseffekte sofort wieder hereinkommt, gehen Beobachter von einer Erhöhung der Staatsschulden aus, die mit aktuell 2,26 Billionen Euro die höchsten in Europa und mit 132 Prozent der Wirtschaftsleistung deutlich mehr als doppelt so hoch wie in der Euro-Zone theoretisch höchstens erlaubt sind.

Außenpolitik

Eine dritte Front ist die außenpolitische. Hier geht es vor allem um das Verhältnis zu Russland und zu den USA. In Sachen Russlandpolitik gehört Italien nach der Wahl mit Österreich und Tschechien zu den Staaten, die die Sanktionen so bald wie möglich beenden wollen (vgl. Mitteleuropäischer Block gegen Russlandsanktionen). Das gemeinsame Regierungsprogramm von Lega und M5S sieht nicht nur eine "sofortige Rücknahme" dieser Sanktionen", sondern auch die "Rehabilitation als strategischen Partner" vor, der "keine militärische Bedrohung" ist.

Auf der entgegengesetzten Seite stehen Polen und die baltischen Staaten. Berlin nimmt hier eine Sonderposition ein: Es will einerseits die Sanktionen aufrecht erhalten, andererseits aber auch über die Pipeline Nord-Stream-2 direkt Erdgas aus Russland beziehen, was die bisherigen Transitstaaten via Brüssel verbieten möchten (vgl. Osteuropäer, Italiener, Grüne und CDU-Politiker gegen Nord Stream 2).

Was das Verhältnis zu den USA betrifft, haben die EU-Staaten ebenfalls unterschiedliche Interessen. Nicht jedes Land profitiert vom Export von Autos, deren Zölle der US-Präsident Donald Trump seit gestern überprüfen lässt. Dafür haben sich Matteo Salvini, Sebastian Kurz, Viktor Orbán, Miloš Zeman und viele andere mittel- und osteuropäische Länder vor und nach der letzten US-Präsidentschaftswahl weniger eindeutig an der Seite Hillary Clintons platziert als Merkel und Maas, was ihnen jetzt diplomatisch zugutekommt.