Idlib: Im Deal mit der Türkei verzichtet Russland auf die militärische Offensive

Ein Abkommen, das Entscheidungen hinausschiebt. Bild: Kreml

Idlib soll mit einer Pufferzone zu einer "gated community" oder zu einem Gefängnis werden, aber die Dschihadisten werden nicht mitspielen

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Es war eigentlich unwahrscheinlich, dass der türkische und der russische Präsident mit ihren gegensätzlichen Interessen bei ihrem Treffen in Sotchi eine Lösung für Idlib finden könnten. Offenbar war der Druck aber auf beide Seiten so groß, einen militärischen Konflikt zu vermeiden und das Gesicht zu wahren, dass ein Kompromiss gefunden wurde, der eher zugunsten der Türkei und gegen die Interessen der syrischen Regierung auszufallen scheint. Allerdings wurden damit auch mögliche Angriffspläne der USA und ihrer Alliierten ausgehebelt. Vereinbart wurde auch, gegen etwaige Provokationen, gemeint ist wohl ein fingierter Giftgasanschlag, vorzugehen. Es wird vorerst, wie der russische Verteidigungsminister Shoigu versicherte, keine Angriffe auf Idlib geben.

Erdogan erklärte, damit habe man eine humanitäre Katastrophe verhindert, Putin sagte, man habe vereinbart, in Syrien den Terrorismus in allen Formen zu bekämpfen. Erdogan betonte dabei vor allem, dass die größte Gefahr von "Terrornestern" im Osten des Euphrat ausgehen. Die Hauptgefahr für die Integrität Syriens und der nationalen Sicherheit der Türkei, so Erdogan, seien die Kurden der PYD/YPG, offenbar nicht die Dschihadisten. Damit konfrontiert sich Erdogan mit den USA, die weiterhin die Kurden unterstütze, um so gegen die verbliebenen IS-Strukturen zu kämpfen und weiter militärische Stützpunkte in Syrien auszubauen. Ein Affront gegen Washington ist auch, dass Erdogan hervorhebt, dass der Handel zwischen Russland und der Türkei in lokalen Währungen, also nicht mehr in US-Dollar, stattfinden soll.

Der russische Präsident Putin sagte, man sich in Bezug auf Idlib und "der Präsenz großer militanter Gruppen und deren Infrastruktur" darauf geeinigt habe, eine demilitarisierte Pufferzone zwischen der syrischen Armee und den Militanten bis zum 10. Oktober einzurichten. Die Zone soll 15-20 km breit sein, alle "Militanten", auch Jabhat al-Nusra oder HTS, müssten sich daraus zurückziehen. Auch alle schweren Waffen müssten abgezogen werden. Russische und türkische Truppen sollen in gemeinsamen Patrouillen die Pufferzone kontrollieren. An der türkischen Grenze gibt es bereits eine Grenzmauer.

Es wurden dabei auch syrische Interessen berücksichtigt. Nicht nur werden die Militanten und Dschihadisten in Idlib wie in einem großen Gefängnis eingesperrt, es sollen bis zu Ende des Jahres auch die wichtigen Straßen zwischen Aleppo und Hama und zwischen Aleppo und Latakia für den Verkehr durch türkische und russische Truppen wieder eröffnet werden. Das heißt, die militanten "Rebellen" und Dschihadisten müssten sich dort zurückziehen. Nach Putin habe vor allem deswegen das Abkommen mit der Türkei die "allgemeine Zustimmung" von Damaskus gefunden.

Ob das Abkommen wirkliche Ergebnisse bringen wird, darf bezweifelt werden. Es ist eher ein Aufschub, um vielleicht andere Lösungen zu finden oder die bewaffneten Gruppen zu zermürben. Nach Erdogan muss das von der Pufferzone eingeschlossene Gebiet ebenfalls demilitarisiert werden, damit die "syrische Opposition" hier bleiben könne: "Aber zusammen mit Russland werden wir uns bemühen, diese Gebiete von radikalen Elementen zu säubern."

Bild: Kevork Almassian / Twitter

Kaum vorstellbar, dass HTS und andere dschihadistische Gruppen das Gebiet - wohin auch? - kampflos räumen werden. Sie haben sich bereits geweigert, sich in der Nationalen Befreiungsfront (NLF) der Türkei aufzulösen und wollen wie der IS in Raqqa und Mosul lieber bis zum Märtyrertod kämpfen. Wie aber wollen die Türkei und Russland die militanten Dschihadisten, darunter viele Nicht-Syrer, dazu bringen, sich zurückzuziehen und womöglich aus Idlib abzuziehen.

Ohne militärische Interventionen wird das nicht gehen - und dann müsste wieder ausgehandelt werden, was bislang nicht erreicht wurde, wie man gemäßigte und radikale Gruppen und deren Gebiete trennen kann, also wo man wen angreifen kann und wo nicht. Und es ist auch nicht klar, wo genau die Pufferzone verlaufen und wie sie gegen die Dschihadisten durchgesetzt werden soll, wenn sie nicht dem Druck der Türkei nachgeben.

Dass das russisch-türkische Abkommen auch anderen interessierten Parteien nicht passt, belegen die vom Meer kommenden Raketenangriffe auf Latakia, die nach syrischen Medien nachts um 22 Uhr gegen technische Anlagen wie ein E-Werk oder eine Aluminiumfabrik stattgefunden haben. Wer sie ausgeführt hat, ist noch nicht klar. Nach syrischen Angaben wurden einige der Raketen abgeschossen. Ob auch die russischen Raketenabwehrsysteme auf dem Stützpunkt Khmeimim aktiv waren, ist nicht bekannt. Bislang haben sich die Russen zurückgehalten, ihre neuen Raketenabwehrsysteme einzuschalten und es den Syrern überlassen, mit den veralteten Systemen Angriffe abzuwehren.