Kohleausstieg: Massenhafter ziviler Ungehorsam

Rhein: Niedrigwasser gegenüber von Oberwesel, Oktober 2018. Bild: Marion Halft/ CC BY-SA 4.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Blockierer ziehen Bilanz und sehen großen Zeitdruck im Klimaschutz, während der Wetterdienst von einer anhaltenden extremen Dürre in Deutschland spricht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es war auf jeden Fall ein beeindruckender Protest. 6.500 Menschen aus dem ganzen Land und dem europäischen Ausland waren nach Angaben der Organisatoren von "Ende Gelände" zu den Blockaden am vergangenen Wochenende in und am Hambacher Tagebau gekommen.

Wie berichtet, hatte es schon im Vorfeld Auseinandersetzungen um den Ort des Protest-Camps und auch heftige Schmähungen der jungen Demonstranten seitens der örtlichen SPD gegeben. Laut einer Pressemitteilung einer örtlichen Initiative und verschiedener Umweltorganisationen haben am Samstag außerdem mehrere Tausend Menschen mit einer Demonstration am Hambacher Forst ihre Solidarität mit den Aktionen von Ende Gelände bekundet.

"Wir können nachvollziehen, dass sich viele Menschen aufgrund der drohenden Klimakatastrophe an Aktionen des zivilen Ungehorsam beteiligen", heißt es in der Erklärung, die auch von der ortsansässigen Initiative Buirer für Buir mitgetragen wurde. Im Vorfeld hatte unter anderem auch der Verfassungsschutz ein wenig Stimmungsmache betrieben.

Der Kölner Stadtanzeiger zitiert einen ungenannt bleibenden Sprecher der Behörde mit der merkwürdigen NSU-Demenz, wonach die Interventionistische Linke, "die mobilisierungsstärkste Organisation im Linksextremismus", hinter den Protesten stecke und "eine erfolgreiche Radikalisierungsstrategie" betreibe.

Dabei ist diese offenbar in den Augen der Schlapphüte besonders hinterhältig: "Ein wesentliches Merkmal der Kampagnen sei 'der Verzicht auf die offene Propagierung von Gewalt, um auch Nicht-Extremisten für ihre Positionen zu gewinnen'", so das Blatt.

Radikal, weil nicht mehr viel Zeit bleibt ...

Kathrin Henneberg, eine der Sprecherinnen von Ende Gelände, kann mit den Vorwürfen nicht viel anfangen. Der Protest habe gerade erst begonnen. Sie sieht den Begriff angesichts der Klimakrise eher positiv belegt. Man radikalisiere sich, insofern man Verantwortung übernehme. Es bleibe nicht mehr viel Zeit, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Danach werde es für die Menschheit gefährlich, da diverse Kipppunkte überschritten würden.

Mit letzterem ist gemeint, dass zum Beispiel größere Eismassen in der Antarktis oder auf Grönland derart destabilisiert werden, dass ihr Abschmelzen nicht mehr aufgehalten werden kann. Darauf hatte unter anderem der kürzlich veröffentlichte neue Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Zwischenstaatlicher Ausschuss für Fragen des Klimawandels), der UN-Organisation für Klimawissenschaften hingewiesen.

... aber keine Eskalation

Auch auf den immer wieder mal kolportierten Vorwurf, Teile der Bewegung seien gewaltbereit, hat Henneberg eine Antwort: "Wir haben einen Aktionskonsens in dem ganz klar formuliert wird, dass von uns keine Eskalation ausgeht und dass wir keine Menschen gefährden. Der ist seit Jahren bekannt und daran halten sich die Menschen, die bei uns mitmachen."

Bedrohliche Situationen habe sie allerdings seitens der Polizei erlebt. So sei sie Zeugin gewesen, als Polizeipferde in eine Menschenmenge von über 1.000 Menschen geritten worden seien, um diese abzudrängen. "Die Pferde hätten sehr leicht in Panik geraten können, und ich habe wirklich Angst um die Menschen, Tiere und auch Reiter bekommen", so Henneberger.

Auch sonst sei die Polizei nicht zimperlich gewesen. Sie wisse von einem Fall, bei dem einem Aktivisten Zähne ausgeschlagen worden seien. In einer Pressemitteilung schreibt Ende Gelände von verschiedenen Aktivisten, die im Krankenhaus hätten behandelt werden müssen, "unter anderem wegen einer Gehirnerschütterung und einem eingedrücktem Kehlkopf".

Amtliche Falschmeldungen

Im Vorfeld waren am Freitag vergangener Woche rund Tausend Reisende eines Sonderzugs am Bahnhof von Düren rund zehn Stunden festgehalten worden. Das Neue Deutschland berichtet, dass jeder Demonstrant einzeln von der Polizei kontrolliert worden sei. Wer keinen Ausweis vorzeigen wollte, sei fotografiert und ihm seien Fingerabdrücke genommen worden. Die Polizei habe das damit begründet, dass es um Straftaten ginge, zu denen aufgerufen worden sei.

Ob das haltbar ist, werden wohl demnächst noch Gerichte entscheiden. Die Aktivisten von "Ende Gelände" sehen in der am nächsten Tag, dem Samstag, durchgeführten Besetzung der am Tagebau entlang führenden Kohlebahn nur eine Ordnungswidrigkeit. Auch bei der ebenfalls erfolgten Besetzung eines Baggers im Tagebau dürfte es sich nicht um viel mehr als um Hausfriedensbruch gehandelt haben.

Aber Desinformation gehört wie immer zum Geschäft. So wurden auf den Bahnhöfen in der Region die zahlreichen Zugausfälle und Verzögerungen aufgrund des andauernden Polizeikessels am Bahnhof Düren mit der Durchsage "Aktivisten auf dem Gleis" begründet. Tatsächlich war aber niemand auf dem Gleis, sondern die Einschränkung des Bahnverkehrs von der Polizei angeordnet worden.

Ähnlich verhielt es sich mit der in gut zwei Kilometer Entfernung am Tagebau entlang führenden Autobahn und den parallel zu dieser verlaufenden S-Bahn-Gleisen. Nach Darstellung der Polizei wurde die am Hambacher Forst vorbei führende Autobahn gesperrt, weil Aktivisten die Fahrbahn querten.

Ende-Gelände-Sprecherin Henneberger schildert den Zusammenhang jedoch ganz anders. Dies sei eine Falschmeldung gewesen, die später korrigiert wurde. Die Polizei habe vielmehr Autobahn und Schienen abgesperrt, bevor die Aktivisten überhaupt in der Nähe waren. Diese seien keineswegs auf eine befahrene Straße gegangen.

Erst als Straße und Schienen abgesperrt gewesen seien, habe man sich entschlossen, diese als Abkürzung zu überqueren und sei dabei mit Pfefferspray und Wasserwerfern attackiert worden. Die Überquerung habe 15 Minuten gedauert, heißt es in einer Richtigstellung auf der Kampagnenseite.