Deutsch-lateinamerikanische Matinée: Quadratur des Kreises

Bild: Florian Warweg

Außenminister Maas will die Lateinamerika-Politik mit einer Konferenz in Berlin neu aufstellen. Doch der Neustart wird wohl nicht gelingen

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Multilateralismus, Frauenrechte, Rechtsstaatlichkeit: Mit einer Lateinamerika-Karibik-Initiative und einer Regionalkonferenz im Auswärtigen Amt am gestrigen Dienstag versuchte Außenminister Heiko Maas die Quadratur des Kreises. Der Sozialdemokrat will die Region südlich der USA "stärker ins Zentrum der deutschen Außenpolitik" rücken. Dabei haben Lateinamerika und die Karibik in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland - bis auf wenige und nicht immer positive Ausnahmen - ein Nischendasein gefristet. Es gibt wenige Anzeichen, dass die heutige Berliner Lateinamerika- und Karibik-Konferenz daran etwas ändern wird.

Immerhin empfing Maas am Werderschen Markt in Berlin heute mehr als 20 Außenminister, um die Beziehungen zu den beiden Regionen neu zu beleben. Die bilaterale Zusammenarbeit zu den Staaten südlich der USA sei lange vernachlässigt worden, hieß es dazu aus dem Auswärtigen Amt. "Ziel ist es, unsere Beziehungen auf eine neue Ebene zu heben", so der deutsche Chefdiplomat vor Beginn des Treffens. Wenige Wochen zuvor war er nach Brasilien, Kolumbien und Mexiko gereist. In Brasilien war er unter anderem mit dem rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro zusammengekommen.

Die Lateinamerika-Initiative des Außenministeriums soll in erster Linie die Wirtschaftsbeziehungen beleben. Der Handel mit Lateinamerika und der Karibik macht derzeit gerade einmal 2,6 Prozent des gesamten deutschen Außenhandels aus. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht China baut seine wirtschaftlichen Kontakte mit der Region indes massiv aus und drängt unabhängig von der politischen Ausrichtungen der jeweiligen Regierung auf die Märkte. Das Auswärtige Amt will diesem Trend etwas entgegensetzen und die politische Zusammenarbeit in internationalen Institutionen zugleich ausbauen. Maas sucht dafür in Lateinamerika und der Karibik Verbündete für seine "Allianz der Multilateralisten".

Die Vorhaben stehen, so heißt es aus dem Auswärtigen Amt unter vorgehaltener Hand, in direktem Zusammenhang mit dem Vorsitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat. Maas habe Lateinamerika eher zufällig auserkoren, um auf internationalem Parkett Akzente zu setzen.

Umstrittene Venezuela-Politik

Das ist dem SPD-Politiker durchaus gelungen, allerdings auf eine nicht unumstrittene Weise. Deutschland gehörte zu den ersten Staaten nach den USA, die Anfang Februar den selbsternannten Interimspräsidenten in Venezuela, Juan Guaidó, anerkannt haben. Der Schritt wurde damals von ehemaligen deutschen Diplomaten scharf kritisiert und vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags als völkerrechtswidrig bezeichnet.

Dennoch wurde Venezuela als einziges Land Lateinamerikas zu der Berliner Konferenz nicht eingeladen. Der Machtkampf zwischen Präsident Nicolás Maduro und Guaidó soll auf der Konferenz zwar keine größere Rolle spielen und findet auch im Programm keine Erwähnung. Tatsächlich aber überschattet die deutsche Positionierung zu Venezuela das Treffen. Der deutsche Botschafter in Caracas, Daniel Kriener, ist nach seiner Ausweisung noch nicht wieder auf den Posten zurückgekehrt. Und auch seine Vertreterin Daniela Vogl hat die Botschaft inzwischen verlassen.

Während sich die Bundesregierung in der Venezuela-Krise damit selbst arbeitsunfähig gemacht hat, bereitet Norwegen derzeit eine Verhandlungslösung vor.

Im Vorfeld der Berliner Lateinamerika- und Karibik-Konferenz hatte es auch im lateinamerikanischen diplomatischen Korps Unmut über die Isolierung Venezuelas gegeben - nicht nur bei Vertretern linksgerichteter Regierungen. Vor allem aber der Charakter der Konferenz provozierte Debatten. In einer früheren Programmversion Ende März waren lateinamerikanische Außenminister als Akteure nicht vorgesehen. Stattdessen sollten sie nach Berlin kommen, um sich eine Begrüßungsrede von Reinhold Festge, dem Vorsitzenden der Lateinamerika-Initiative der deutschen Wirtschaft, eine "key note" von Siemens-CEO Joe Kaeser und eine "Intervention" des Vorsitzenden des Lateinamerika-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Andreas Renschler, anzuhören. Nach einigen Debatten wurde das Programm geändert. Knapp zwei Wochen vor der Konferenz wiesen die Organisatoren den amerikanischen Chefdiplomaten zumindest Plätze in den verschiedenen Panels zu.

Frauennetzwerk ohne Plan und ohne Budget

Einige Fragen werden sich aber wohl erst nach der Konferenz stellen. So etwa zu einem lateinamerikanischen und karibischen Frauennetzwerk, das von Maas schon bei seinem Besuch in Brasilien gegründet worden war. Den Termin nutzte der Außenminister für mehrere Werbefotos. Und auch in einer Programmversion zur Lateinamerika-Konferenz war in Zusammenhang mit dem Frauennetzwerk das "Gruppenbild mit Bundesminister" explizit hervorgehoben. Darauf scheint sich die Initiative aber zu beschränken. Bislang ist weder ein mittelfristiges Arbeitsprogramm bekannt, noch ist das Frauennetznetzwerk finanziell ausgestattet. Nach dem Abtritt von Heiko Maas dürfte sich dann auch diese Initiative in Luft auflösen.

Es sei "fragwürdig, weshalb im Rahmen eines deutschen PR-Projekts ein Frauennetzwerk gegründet wird, statt bestehende Initiativen wie das Red Nacional de Mujeres in Kolumbien zu fördern oder die Selbsthilfeorganisation OCNF, die sich in Mexiko gegen Frauenmorde engagiert und immer wieder Todesdrohungen ausgesetzt sind", merkt die Linken-Abgeordnete Heike Hänsel an.

Die Nachrichtenagentur dpa führt als eines der Ziele die Eindämmung der Gewaltkriminalität in Lateinamerika an. Ein Drittel aller weltweiten Tötungsdelikte würden in dieser Region verübt, bei nur acht Prozent der Weltbevölkerung, heißt es in einer entsprechenden Meldung. Außenminister Maas führte in seiner Eröffnungsrede dazu dem Kampf gegen Feminizide (Frauenmorde) an. Was er nicht erwähnte: Die massive Zirkulation von Kleinwaffen in Lateinamerika geht auch auf die lasche deutsche Exportkontrolle zurück. Mitarbeiter der deutschen Waffenschmiede Heckler & Koch wurden vor wenigen Wochen wegen des illegalen Exports von Schusswaffen nach Mexiko verurteilt. Der Fall warf auch ein Schlaglicht auf die Haltung der Bundesregierung, die sich nach wie vor gegen eine effiziente Endverbleibskontrolle bei deutschen Waffenexporten wehrt.

Kritik von Nichtregierungsorganisationen

Kritisch kommentiert wurde die Lateinamerika-Karibik-Initiative von Maas im Vorfeld von Nichtregierungsorganisationen. Es gehe dabei um "geopolitische und geoökonomische Gründe", merkte die industriekritische Koordination gegen BAYER-Gefahren an. Die Bundesregierung registriere misstrauisch den wachsenden Einfluss Chinas auf dem südamerikanischen Kontinent. Zudem sieht sie sich durch Donald Trumps Politik dazu veranlasst, nach neuen Bündnispartnern auf internationalem Parkett und nach alternativen Absatz-Gebieten für die deutsche Industrie Ausschau zu halten.

"Dieses Programm droht die schon bestehenden Ungleichgewichte im Handel Deutschlands gerade mit den großen südamerikanischen Ländern wie Brasilien und Argentinien noch einmal zu verstärken", schreibt die Koordination gegen BAYER-Gefahren. Dabei wirke sich die Geschäftspolitik bundesdeutscher Konzerne wie BAYER und BASF in diesen Staaten bereits jetzt verheerend aus. "Beide Agro-Riesen haben einen großen Anteil an den fatalen Folgen der dort im Großmaßstab betriebenen Landwirtschaft", heißt es in der Erklärung. Die Zahl der Pestizid-Vergiftungen steige von Jahr und Jahr, und die Soja-Plantagen vernichten immer weiter den für das Klima wichtigen Regenwald und gefährdeten damit auch die Lebensgrundlage der indigenen Völker.

Der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko, der Venezuela unlängst bereist und Vertreter beider politischen Langer getroffen hatte, beanstandete die Nicht-Einladung des venezolanischen Chefdiplomaten Jorge Arreaza. "Ausgerechnet der Außenminister desjenigen Landes, wo gerade viel Diplomatie gebraucht wird, ist nicht eingeladen", so Hunko.

Der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez sah übrigens andere Prioritäten als die deutsche Lateinamerika-Karibik-Initiative: Er reiste lieber nach Russland und China, als nach Berlin zu kommen. Venezolanische Regierungsvertreter waren bei der Amtseinführung des neuen südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa anwesend. Europa spielte in beiden Fällen kaum eine Rolle, Deutschland gar keine.