Kurzgeschorene Rasen müssen peinlich werden

Blumenwiese statt Kurzrasen. Bild: T. Rieg

Viele reden von Klima- und Umweltschutz - doch die meisten heimischen Gärten wie öffentlichen Parks zeigen, wie sehr sich die Menschen von der Natur entfremdet haben

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Ein vermutlich nie dagewesenes Artensterben erleidet die Welt derzeit, vermeldete der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) kürzlich. Dieser Bericht, der in unglaublicher Fleißarbeit Erkenntnisse aus etwa 15.000 Studien zusammengetragen hat, war natürlich allen Medien eine Nachricht wert: "bedrückend" fand das ZDF die Nachricht. "Es sieht nicht gut aus - für den Menschen" befand der Berliner Tagesspiegel. Aber es blieb eine Meldung unter vielen, eine News, die am Folgetag schon wieder alt und bedeutungslos war. Nachrichtenroutine.

In Bayern hatten bis Februar 1,7 Millionen Wahlberechtigte das "Bienenvolksbegehren" unterzeichnet, Ministerpräsident Markus Söder beugte sich überraschend schnell und weit. Nach diesem bayerischen Vorbild laufen derzeit zahlreiche Initiativen in Deutschland. Doch das sollte nicht zu dem Eindruck führen, in der Bevölkerung gäbe es eine spürbare, gar mehrheitliche Stimmung "zurück zur Natur". Zwar sprechen sich zwei Drittel dafür aus, dass es in Städten Orte geben soll, "wo sich Natur spontan entwickeln kann beziehungsweise sich selbst überlassen bleibt" (Studie "Naturbewusstsein 2015", Seite 47). Doch ein Blick in beliebige Wohnsiedlungen dieser Republik zeigt, wie es um dieses Naturbewusstsein steht, sobald jemand frei herrschen darf.

Das haben bisher - drittes Spotlight - die "Fridays for Future"-Demos nicht geändert, trotz großen Rückhalts in der Bevölkerung: selbst wo sich Tausende versammeln, geht das Leben drumherum seinen gewohnten, routinierten Gang, behördliche Sanktionen inklusive.

Dass in der Ökologie alles mit allem zusammenhängt wird allmählich Alltagswissen: CO2-Reduktion, Artenerhalt, Naturbewahrung - es geht stets darum, den immensen, wirkmächtigen, zu seiner Biomasse weit überproportionalen Eingriff des Menschen in Natursysteme deutlich zu verringern. Weil das allerdings unsere heutige Lebensweise radikal infrage stellt, fokussieren sich Diskussionen gerne auf Einzelaspekte: Glühbirnen, Plastiktüten, Einweg-Kaffeebecher - die Politik reagiert mit dem immer gleichen Herrschaftsinstrumenten Besteuern und/ oder Verbieten. Und doch steigt das Tempo, in dem dieser Planet - auch für uns selbst existenziell - verändert wird.

Verödung der Landschaft

Wer, am besten mit einem Regionalzug, im oberen Stockwerk sitzend, durch Deutschland fährt, kann das grundlegende Problem kaum übersehen. Jedenfalls nicht, wenn man sich kurz vorzustellen versucht, wie es wohl dort, wo man gerade hinschaut, noch vor 20, vor 200 und vor 2000 Jahren ausgesehen haben mag. Denn man wird kaum einen Quadratmeter erspähen, der nicht dem Menschen untertan gemacht wurde. Überall sind Neubaugebiete entstanden, nicht weil die Bevölkerung gewachsen ist, sondern weil der Traum vom Eigenheim und damit ein Arbeitsleben für die Bank zum kapitalistischen Ethos gehört.

Überall entstehen Gewerbeflächen - hässliche Flachbauten, asphaltiertes Außengelände, eigene Zufahrten mit Beleuchtung -, obwohl Produktion doch immer effektiver wird und aus Maloche Dienstleistung geworden ist. Aber jedes verkaufte Fleckchen Erde bringt jemandem Geld, und jede noch so dämliche Unternehmung lässt Kommunen auf Gewerbesteuer hoffen. In jedem Waldstück kann man Spuren des menschlichen Wirtschaftens erblicken: Ansitze der Jäger, Markierungen für die Baumfäller, Verwüstungsspuren der Harvester.

Blumen in der Großstadt. Bild: T. Rieg

Die Wiesen und Felder sind eintönig, auch ohne Kenntnisse der Botanik als Monokulturen zu erkennen, denen die Artenvielfalt mechanisch und chemisch ausgetrieben wurde. Dazwischen immer wieder Bautätigkeit für neue Straßen, Brücken, Kanäle, für neue Kabel und Pipelines und weiß der Kuckuck was alles. Wo gerade kein Bagger baggert, stehen wenigstens schon Markierungen für die Zukunft.

Inzwischen ist es tatsächlich in vielen Städten bunter als in der "Natur", wenn auch ökologisch oft ähnlich wertlos: Die "Wechselbepflanzungen" mit farbigen, aber sterilen Blumenzüchtungen, geometrisch exakt angeordnet, gehören zum Standardprogramm der Grünflächenämter. Sie sind Wohlstandsexzess und Naturentfremdung wie all unsere Neubaugebiete, wie Wald und Flur: Naturbezwingung nicht zum Überleben, sondern als Selbstzweck, als Insignium menschlicher Überlegenheit.

Es ist kein Wunder, dass privater Garten ums "Haus im Grünen" eine Miniatur städtischer Grünanlagen ist, schließlich sind heutige Dorfbewohner überwiegend Luxusmigranten, und wer nicht aus der Stadt in ihren Speckgürtel zieht, sondern schon immer "im ländlichen Raum" wohnt, der ist trotzdem mit größter Wahrscheinlichkeit nie bäuerlich sozialisiert worden, hat also nicht erlebt, warum und wozu Dörfer einst entstanden sind.