Hongkong: Anhaltende Proteste stoßen auf vermehrte Polizeigewalt

Hongkong: Proteste gegen Polizeivorwürfe über "Laserwaffen", am 6. August 2019. Bild: Studio Incendo/CC BY 2.0

Nach Polizeigewalt Flughafen von Demonstranten lahm gelegt. Beijing verschärft die Tonlage

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In der autonomen chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong ist es am Wochenende zu schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Am heutigen Dienstag wurde der Flughafen der Metropole, der als einer der weltweit meist frequentierten gilt, am sechsten Tag in Folge durch Sitzstreiks blockiert, wie die Hong Kong Free Press berichtet. Am Montag waren gemäß einer Meldung der Nachrichtenagentur Xinhua alle ein- und ausgehenden Flüge gestrichen worden.

Die 7,4-Millionen-Stadt ist seit Wochen wegen eines Gesetzentwurfes in Aufruhr, der die Auslieferung an die benachbarte Volksrepublik erheblich erleichtern würde. Die Stadtregierung hat inzwischen Diskussion und Abstimmung über ihren Vorschlag im Legco, dem Stadtparlament, zurückgestellt, was den Demonstranten jedoch nicht reicht. Sie fordern den Rücktritt der als Hardlinerin bekannten Regierungschefin Carry Lam und den vollständigen Rückzug des Gesetzentwurfs.

Der Protest am Flughafen hatte am Montag das Motto "Auge um Auge", schreibt Asia Times Online. Das war die Antwort der rund 5.000 Teilnehmer auf einen Vorfall am Sonntagabend, bei dem einer Frau von einem Polizisten auf kurzer Distanz mit einem Gummigeschoss ins rechte Auge geschossen wurde.

Behandelnde Ärzte werden mit der Aussage zitiert, dass die Schwere der Verletzung vermuten lasse, der Schütze habe die Frau töten wollen. 200 Krankenschwestern eines Krankenhauses haben daraufhin am Montag eine Protestkundgebung abgehalten, bei der die Teilnehmerinnen das rechte Auge verbunden hatten und der Polizei versuchten Mord vorwarfen.

Verschiedene Berichte sprechen davon, dass die Polizei in mindestens einem Fall Tränengas in einer U-Bahnstation eingesetzt hat, was in Räumen besonders gefährlich ist. Ein Video zeigt, wie offensichtlich mit Helm und Gasmaske als Demonstranten verkleidete mutmaßliche Polizeibeamte einen jungen Mann festnehmen und dabei sein in einer Blutlache liegendes Gesicht immer wieder auf den Straßenbeton drücken. Zeitweise kniet ein Mann auf dem Nacken des vor Schmerzen schreienden Festgenommenen.

Verschärfter Ton

Unterdessen verschärft die Regierung im fernen Beijing den Ton. Hong Kong Free Press zitiert einen Sprecher des Staatsrates, also der Regierung in Beijing, mit den Worten, die Proteste seien "die ersten Zeichen eines entstehenden Terrorismus".

Yang Guang, in der Regierung für Hongkong und Macao zuständig, bezog sich dabei auf einen Teil der Demonstranten, die einem Xinhua-Kommentar zur Folge Steine und Molotow-Cocktails geworfen hätten. Dieser "schwarzgekleidete Mob" habe eine "Atmosphäre des Terrors in Hongkongs Straßen geschaffen" und drohe die Stadt in den Abgrund zu ziehen, so der Kommentar der Agentur.

"An diesem kritischen Wendepunkt für Hongkongs Zukunft ist es eine zwingende Pflicht für jeden, dem Hongkongs Zukunft nicht egal ist, die Stimme gegen die gewalttätigen Radikalen zu erheben und die Regierung der Hongkonger Sonderverwaltungsregion bei der Stabilisierung der Situation zu helfen."
Xinhua-Kommentar

Das lässt sich durchaus als propagandistische Eskalation und Vorbereitung für härtere Maßnahmen lesen. Entsprechend mutmaßen auch einige erfahrene linke Hongkonger, dass der Regierung an der Eskalation durchaus gelegen ist, um den Protest zu diskreditieren und letztlich zu zerschlagen.

Nicht erstaunlich also, dass – wie hierzulande ebenfalls durchaus üblich – der eine oder andere Polizist die Uniform ausgezogen hat, um auf der anderen Seite als Agent provocateur zu wirken. Parallelen, die die hiesige, voreingenommene Presse ungern zieht.

Ebenso ist natürlich auffällig, dass über das Vorgehen der Hongkonger Polizei in einer ganz anderen Tonlage als zum Beispiel über die ausufernde Polizeigewalt in Frankreich geschrieben wird. Und der Fall der Demonstrantin, der ins Auge geschossen wurde, erinnert hierzulande Stuttgarter natürlich an die Proteste gegen die dortige Bahnhofsbaustelle, bei denen im Herbst 2010 mindestens zwei Menschen mit einem Wasserwerfer-Strahl das Augenlicht zerstört oder schwer verletzt wurde.