Pentagon bombardiert kurz nach Beginn eines Waffenstillstands HTS-Stützpunkt in Idlib

Zirkuliert als Foto von der US-Bombardierung in Idlib.

Rätselraten herrscht, was im komplizierten Konflikt zwischen den USA, Russland und der Türkei der Grund für den Angriff sein könnte

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Bislang wurde die Bombardierung von angeblichen Zielen von Islamisten wie HTS in der so genannten "Rebellenhochburg" Idlib durch syrische und russische Kampfflugzeuge kritisiert, weil dadurch Zivilisten gefährdet seien. Russland hat nach Verhandlungen mit der Türkei einen einseitigen Waffenstillstand für die syrischen Truppen beschlossen, der am Samstag in der "Deeskalationszone" Idlib in Kraft trat. Die bewaffneten Gruppen in Idlib wurden aufgefordert, Provokationen einzustellen und sich dem Friedensprozess anzuschließen. Die syrischen Truppen hatten zuvor weitere Vorstöße im südlichen Idlib gemacht.

Im Hintergrund schwelt ein Konflikt zwischen der Türkei und Russland, nachdem ein türkischer Konvoi und ein türkischer Stützpunkt von syrischen Truppen angegriffen worden waren, während Syrien und Russland verärgert über die Türkei sind, die das im letzten Oktober geschlossene Abkommen nicht umsetzen wollte oder konnte, Islamisten und "Gemäßigte" zu trennen. Mittlerweile kontrolliert HTS praktisch ganz Idlib. Dazu kommt, dass durch die russisch-syrische Offensive wieder Flüchtlingsströme Richtung Türkei ziehen.

Die Türkei liegt allerdings gleichzeitig im Clinch mit den USA. Nicht nur, weil sie trotz der Warnung vor scharfen Reaktionen und der Beendigung der Lieferung von F-35-Kampfflugzeugen weiterhin das russische Raketenabwehrsystem S-400 einführt, während die Türkei auf die Einrichtung einer so genannten Sicherheitszone in Nordsyrien drängt, um dort die Kontrolle über bis jetzt von den Kurden gehaltenen Gebiete zu erhalten und wahrscheinlich türkeifreundliche syrische Flüchtlinge umzusiedeln.

"Die Türkei hat keine Zeit"

Wenn das nicht schnell geschieht, so drohte Präsident Erdogan gestern, werde die Türkei ihren eigenen Aktionsplan beginnen. Innerhalb von drei Wochen müssten türkische Soldaten die Zone kontrollieren: "Die Türkei hat keine Zeit und keine Geduld, sie will so schnell als möglich, dass die Sicherheitszone östlich des Euphrat über ganz Syrien eingerichtet wird."

Die USA hatten mit den Kurden bereits eine Einigung auf eine 5 km breite Sicherheitszone getroffen, was Erdogan nicht zu reichen scheint, der 35-40 km will. Angeblich hatte die SDF bereits Positionen geräumt und sind erste amerikanisch-türkische Patrouillenflüge mit Hubschraubern begonnen worden. Russland erkennt die Sicherheitsinteressen der Türkei als legitim an, so Außenminister Lawrow, aber betont auch die Achtung der syrischen Souveränität. Beides geht wohl nicht zusammen. Nach Beginn des Waffenstillstands, der wohl von Putin und Erdogan in Moskau ausgehandelt worden ist, ist ein türkischer Militärkonvoi bei Kafar Lousin nach Idlib eingefahren.

Idlib als sicherer Hafen für HTS

In dieser komplizierten Situation hat nun das Pentagon am Samstag einen Luftangriff auf einen angeblichen Stützpunkt der HTS in Nord-Idlib durchgeführt, wie das Central Command mitteilte. Ziel seien HTS-Führer gewesen, die verantwortlich für Angriffe seien, die "US-Bürger, unsere Partner und unschuldige Zivilisten" bedrohen. Die Zerstörung dieser Einrichtung wird ihre Fähigkeit weiter mindern, künftige Angriffe zu führen und die Region zu destabilisieren." Jetzt erklärt das Pentagon auf einmal, dass das nordwestliche Syrien ein "sicherer Hafen bleibt, wo HTS-Führer aktiv terroristische Aktivitäten in der ganzen Region und im Westen koordinieren".

Erstaunlich ist das deswegen, weil vor dem russisch-türkischen Abkommen 2016 Russland und die USA mit der Vermittlung des UN-Sondergesandten Staffan de Mistura ein ähnliches Abkommen getroffen hatten, der darauf basierte, dass die syrischen Truppen in bestimmten Gebieten nicht mehr kämpfen sollten, während Russland und die USA gemeinsam gegen al-Nusra, jetzt HTS, und andere dschihadistische Gruppen vorgehen würden, wenn die USA diese von den "Gemäßigten" trennt (Russland und USA einigen sich auf einen Waffenruhe-Plan).

Funktioniert hat das ebenso wenig wie beim Abkommen mit der Türkei, nicht zuletzt deswegen, weil die "Gemäßigten" kaum von den "Extremisten" zu trennen sind und jeweils Interessen der Türkei und der USA bestehen, über die Unterstützung militanter Gruppen ihren Einfluss zu wahren und zu verhindern, dass das Gebiet wieder unter Assads Kontrolle gerät.

Offenbar war die Bombardierung des Stützpunkts von der mit HTS verbündeten Gruppe Horas al-Din nicht mit Russland und der Türkei abgesprochen worden. Das zumindest behauptet der russische Senator Konstantin Kosachev. Für ihn wollen die USA damit zeigen, dass sie mit niemandem kooperieren und eine aktive Rolle spielen, also Russland und Syrien nicht das Feld überlassen wollen. Ziel sei die Demonstration zu zeigen, wer der Herr im Haus ist, es gehe dabei nicht um die Extremisten, aber gefährdet würde damit der Waffenstillstand. Das russische Verteidigungsministerium erklärt, die Bombardierung habe viele Opfer getötet und große Schäden in zwei Dörfern verursacht, sie gefährde den Waffenstillstand und verletzte alle Vereinbarungen. Es sollen Dutzende getötet worden sein.

Zweck der Bombardierung fraglich

Was die USA mit der Bombardierungen erreichen wollten, ist tatsächlich schleierhaft. Sollte die türkisch-russische Kooperation getroffen werden oder wollte man HTS und Co. - und Russland - demonstrieren, dass man nach dem IS gegen die Dschihadisten vorgeht bzw. dass sich die Dschihadisten nich von den USA gedeckt fühlen sollen? Sollte Russland, die Türkei und Syrien gewarnt werden, dass das amerikanische Militär interveniert, wenn amerikanische Interessen gefährdet werden? Ist es gar ein Gesprächsangebot an Moskau und gegen die Türkei gerichtet?

Dass die getroffene Gruppe nicht unmittelbar die USA oder Alliierte gefährdet, wie Kosachev sagt, dürfte wohl richtig sein. HTS bzw. al-Nusra hat im Unterschied zum IS keine Anschläge auf die USA propagiert, sondern wurde von den USA eher protegiert. 2016 hat sich angesichts des russisch-amerikanischn Abkommens al-Nusra schon sicherheitshalber in Jabat Fatah al-Sham umgetauft und angeblich von al-Qaida distanziert, um schließlich Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) zu werden. Symptomatisch für das komplizierte Spiel war, dass die US-Regierung 2014 die militärische Intervention in Syrien nicht mit al-Nusra, sondern mit einer dubiosen al-Qaida-Islamistengruppe Khorasan rechtfertigte (US-Regierung braucht für den neuen Krieg gegen den Terror wieder al-Qaida).

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