Wissenschaft im Gegenwind

Über Wissenschaft, rechte Elitenkritik und die Vertrauenskrise Teil 1

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Der mächtigste Staat der Welt wird bekanntlich von einem Mann regiert, der den Klimawandel für einen Schwindel hält. 13 Prozent der Deutschen sehen das ähnlich, auch wenn sie die Schuld nicht den Chinesen, sondern einer ominösen "Klimalobby" geben, die sich den Zusammenhang zwischen der Erwärmung der Erdatmosphäre und dem Verbrennen fossiler Energieträger angeblich ausgedacht hat.

Der Anteil der Klimaleugner (dieser Ausdruck hat sich eingebürgert, auch wenn sie natürlich nicht das Klima, sondern die anthropogene Ursachen der Erwärmung leugnen) ist im vergangenen Jahrzehnt sogar leicht gestiegen. Trotz eines überwältigenden wissenschaftlichen Konsens, obwohl wir mittlerweile die Klimakrise im Alltag zu spüren bekommen.

Ignoranz und Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es nicht nur beim Thema Klima. In Meinungsumfragen äußert einer von fünf Deutschen Zweifel an der Evolutionstheorie. In den USA sorgte vergangenes Jahr eine Umfrage für Schlagzeilen, in der nur 84 Prozent eindeutig überzeugt waren, dass die Erde tatsächlich rund ist. Je jünger die Befragten, umso größer war die Unsicherheit: 16 Prozent in der Altersgruppe 18 und 24 antworteten mit "nicht sicher", weitere 9 Prozent sagten, sie hätten in letzter Zeit zu zweifeln begonnen (wobei diese Zahlen vorsichtig interpretiert werden müssen). Große Teile der Bevölkerung setzen auf medizinische Behandlungen wie die Homöopathie, die keine wissenschaftliche Grundlage hat. Dafür werden wirksame und sichere Therapien wie Impfungen skeptisch betrachtet.

Bei repräsentativen Umfragen wie dem jährlich erhobenen "Wissenschaftsbarometer" erklärt zwar nur eine Minderheit von sieben Prozent ausdrücklich, dass sie der Wissenschaft misstraut, aber ein gutes Drittel zeigt sich unentschieden. Auf einzelne Forschungsgebiete wie Genetik oder medizinische Forschung angesprochen, wächst die Ablehnung. Welche Ursachen hat sie - und was können die Wissenschaft und ihre Freunde dagegen tun?

Fördern die Sozialen Medien die Wissenschaftsskepsis?

Wenn es um die Entfremdung zwischen Bevölkerung und Wissenschaft geht, fehlt selten der Verweis auf die Sozialen Medien. Angeblich koppeln sich Teile der Bevölkerung von der nationalen Öffentlichkeit ab und schaffen sich in den Nischen des Internet ihre eigene, weltanschaulich bestimmte Wirklichkeit. Die Geschichte geht ungefähr so: Aufgrund der besonderen Erregungsdynamik in den Sozialen Medien dringen selbst einfache Wahrheiten nicht mehr durch. Abweichende Standpunkte und Differenzierungen werden nicht zur Kenntnis genommen, weshalb es zu einer immer stärkeren Polarisierung und Radikalisierung kommt. Digitale "Filterblasen" und "Echokammern" führen dazu, dass Verschwörungstheoretiker und Wissenschaftsskeptiker den Ton angeben. Kein Wunder also, dass wir in "post-faktischen" Zeiten leben.

Dieses Narrativ liegt unzähligen Zeitungsartikeln und Sachbüchern zugrunde, mittlerweile zählen "Filterblasen" und "Echokammern" geradezu um Allgemeingut des gesunden Menschenverstandes. Aber ist das Internet wirklich schuld? Trotz intensiver Forschung gibt es für all diese Annahmen keine Belege. Bereits die angebliche technische Grundlage einer Filterblase, wie sie Eli Pariser als erster beschrieb, ist fragwürdig, weil sowohl das Ausmaß als auch die Wirkung der Personalisierung durch die Internetmedien massiv überschätzt werden. Auch Echokammer-Effekte lassen sich nicht oder nicht sicher nachweisen.

Soziale Medien wie Facebook oder Twitter führen typischerweise dazu, dass das Informationsverhalten diverser wird. Dies gilt übrigens auch für weltanschaulich motivierte Nutzer, die übers Internet gerne mal den gegnerischen Stammtisch besuchen, ohne Ohrfeigen befürchten zu müssen. Kurz, selten klafften Forschungsergebnisse und Feuilleton so weit auseinander.

Die Online-Netzwerke dienen diversen weltanschaulichen Strömungen und politischen Bewegungen zur Agitation und Rekrutierung. YouTube, Google und Facebook beschränken zwar in jüngster Zeit die Verbreitung obskurer Inhalte ("Borderline Content"), dennoch finden sich immer noch massenhaft Pamphlete und Tiraden von Impfkritikern, Naturheilkundlern, Pseudohistorikern oder Klimaleugnern.

Es gibt aber keinen Nachweis dafür, dass dieses reichhaltige Angebot oder die Empfehlungsalgorithmen der Plattformen selbst "ein radikalisierender Faktor" wären. Auch enorm umfangreiche Studien leiden an der ewig unausrottbaren Schwierigkeit der Medienrezeptionsforschung, dass beispielsweise Rechtsextreme gerne rechtsextreme Internet-Filmchen gucken, ohne dass deshalb gesagt wäre, dass sie diese Filmchen rechtsextrem gemacht hätten.

Pathologisierung führt nicht weit

Die Internetmedien verursachen die massenhafte Wissenschaftsskepsis nicht, sie bringen sie lediglich ans Licht. Die Medien-Konsumenten leiten weiter, empfehlen, bewerten ("Daumen rauf oder runter"), gelegentlich kommentieren sie. Dadurch wird die sogenannte Anschlusskommunikation sichtbar. Dieser Begriff bezeichnet den Austausch der Empfänger einer medialen Botschaft über diese Botschaft. Anschlusskommunikation gab es immer, und sie war immer wichtig für die Macht der Sender. Früher fand sie nur am Frühstückstisch oder in der Kneipe statt, heute wird sie zum Teil selbst wieder öffentlich. In den Foren und Kommentarspalten der Online-Medien und in den Sozialen Netzwerken stellt sich heraus, was die Masse denkt - und oft eben auch, wie ungern sie nachdenkt.

Auch auf der Seite der Sender wurde der Mainstream geschwächt, weil die Sozialen Medien mit ihren minimalen Markteintrittskosten es fast jedem ermöglichen, im Meinungsmarkt mitzumischen. So kommt es, dass Amateur-Wissenschaftler mit großem, aber unberechtigtem Selbstvertrauen Tatsachenbehauptungen aufstellen, die, vorsichtig ausgedrückt, mit dem überlieferten Kanon schwer vereinbar sind. Wie ticken solche Leute eigentlich?

Eine erste wichtige Unterscheidung betrifft die Beweggründe. Ein beachtlicher Teil der wissenschaftskeptischen YouTube-Kanäle oder Blogs zielt auf Werbeeinnahmen, Spenden oder den Verkauf von Waren. Ironischerweise sind die "Desinformanten" mit hauptsächlich finanziellen Motiven, denen Wahrheit oder Unwahrheit ihrer Aussagen eher gleichgültig ist, psychisch unauffälliger. Aber auch Menschen, die im Ernst an der amerikanischen Mondlandung zweifeln oder sich vor der MMR-Impfung fürchten, zeigen wenige Abweichungen von der psychischen Norm. Vier Jahrzehnte der Forschung haben kaum mehr gebracht als die dünne Erkenntnis, dass geistig einigermaßen normale Menschen absurden Theorien anhängen können, wie es der australische Psychologe Preston Bost formuliert.

Besonders intensiv wurden Menschen untersucht, die gesellschaftliche Entwicklungen und Ereignisse auf die geheimen Aktivitäten bestimmter sozialer Gruppen zurückführen ("Verschwörungstheoretiker"). Sie weisen in einigen Studien im "Big Five"-Persönlichkeitsmodell (mit den Varianten Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus) eine unterdurchschnittliche Verträglichkeit auf, das heißt: eine Neigung zu Feindseligkeit und Misstrauen. Eine andere Studie ermittelte eine mehrheitlich antiautoritäre Haltung. Bezogen auf gesellschaftliche Fragen fällt auf, dass sie häufiger Ohnmachtsgefühle und geringe Selbstwirksamkeitserwartungen berichten. Insgesamt zeigen die bisherigen Untersuchungen aber, dass eine Pathologisierung in die Irre führt: Wissenschaftsskeptiker und Verschwörungsgläubige sind nicht geisteskrank, nicht einmal besonders auffällig.

Wissenschaftsskepsis als rechte Elitenkritik

Wenn individualpsychologische Erklärungen versagen, was dann? Feindseligkeit, Misstrauen gegenüber Autoritäten und Ohnmachtsgefühle sind schließlich Emotionen, die unter Umständen durchaus angebracht sind. Dass Menschen die wissenschaftlichen Mehrheitsmeinungen ablehnen und vom Wissenschaftsbetrieb keine zuverlässigen Informationen erwarten, lässt sich nur gesellschaftspolitisch erklären. Welchen Charakter hat also die Wissenschaftsskepsis?

Sie gehört zur rechten Elitenkritik (und ist damit eine elitäre Elitenkritik, wie gleich deutlich werden wird). Besonders die Klimaleugnung ist inhaltlich und auch personell eng mit rechten und nationalistischen Bewegungen verwoben, aber auch einige Strömungen der Alternativmedizin und Impfkritik speisen sich aus rechten sozialdarwinistischen und esoterischen Ideen.

Wissenschaftsskepsis ist allerdings eine missverständliche Bezeichnung, die von den Gemeinten in der Regel empört zurückgewiesen wird. In gewisser Hinsicht mit Recht, denn zumindest der ambitionierte Teil der diversen Leugner und Desinformaten argumentiert mit Evidenz, Statistik, Wahrscheinlichkeit, "mit Zahlen". Subjektiv empfindet er sich als die bessere Wissenschaft, auch wenn man lediglich selektiv Belege für die vorgefasste Überzeugung zusammensucht.

Methodische Fragen wie "Laborbedingungen versus Feldforschung" oder "Spezialisierung versus Interdisziplinarität" interessieren sie nicht, höchstens wird auf unsichere Messfehler verwiesen, um bestimmte Ergebnisse zu verwässern. Theorien in der Tradition von Ludwik Fleck oder Thomas Kuhn fehlen völlig, obwohl diese Ansätze die gruppendynamischen Prozesse in der Forschung hinterfragen und eine relativistische Haltung gegenüber wissenschaftlicher Wahrheit stützen könnten. Aber die sogenannten Wissenschaftsskeptiker stehen mit beiden Beinen fest auf positivistischem Boden: Ein Fakt ist ein Fakt ist ein Fakt. Nur sind diese besonderen, unerwünschten Fakten angeblich keine, sondern Lügen.

Die Skepsis richtet sich nämlich nicht gegen die Wissenschaft, sondern gegen den gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb oder, noch besser gesagt, gegen einzelne Forscherinnen und Forscher. Sie gelten als korrupt und interessengeleitet und verkaufen das Volk angeblich für dumm. Die Wissenschaft dient somit gegenwärtig den falschen Interessen, aber im Prinzip könnte sie verlässliche Erkenntnisse liefern. Analog zur rechten Elitenkritik insgesamt soll eine schlechte wissenschaftliche Elite durch ein bessere ersetzt werden, die fortan wirklich unabhängig und nur dem Gemeinwohl verpflichtet forschen und lehren würde.

Wie in anderen Politikfeldern wendet sich die Kritik von rechts gegen angeblich privilegierte Personen und Gruppen, nicht gegen die Eigentums- und Machtverhältnisse. Das Machtgefälle an sich - in diesem Fall das Verhältnis zwischen Experten, Laien und Entscheidern - gilt als natürlich und selbstverständlich, nur sollen die gegenwärtig Mächtigen ungünstigerweise die falschen sein. Daher rührt die Angewohnheit dieses Milieus, das Wort "Elite" in Anführungszeichen zu setzen oder mit "angebliche" zu ergänzen.

Diese Wissenschaftskritik entwickelt keine politischen Forderungen, die auf andere organisatorische Strukturen zielen würden, etwa alternativen zur gegenwärtigen Forschungsfinanzierung, warum auch, geht es doch im wesentlichen darum, Personen zu diskreditieren. Allerdings wendet sie sich häufig gegen den angeblich übertriebenen Pluralismus und Partikularismus der Forschungsansätze und bedroht damit die Selbstorganisation der Wissenschaft.

Auf naturwissenschaftlicher und medizinischer Ebene haben Impfgegner, Klimaleugner und andere Obskuranten wenig vorzuweisen. Ihre Überzeugungskraft beruht gerade auf der populären Kritik an selbstsüchtigen Eliten. Fehlanreize und Fehlverhalten in der Wissenschaft liefern leider reichlich Beispiele dafür, dass ein gewisses Misstrauen angebracht ist. Das Erfolgsgeheimnis der rechten Wissenschaftsskepsis lautet nun: "Keep it simple - dann darf's ruhig auch absurd sein!" So erklärt sie die Warnungen der Klimawissenschaft mit den Profitinteressen einer "Klimalobby", Impfungen mit den Machenschaften der Pharmaindustrie etc. Gerade weil gegenteilige Fakten scheinbar "von oben" kommen - aus der Funktionselite Wissenschaft -, überzeugen sie nicht.

Im Hang zur Personalisierung und Individualisierung überschneiden sich Wissenschaftsskepsis und Verschwörungsmythen, wie Michael Butter in seinem Buch "Nichts ist, wie es scheint" herausgearbeitet hat. Beide erklären ihren Gegenstand aus den Interessen von mächtigen Akteuren. "Nichts ist gefährlicher als eine Idee, wenn es die einzige ist", heißt es bei Alain. Dies gilt ganz besonders für die beliebte Frage "Cui bono"? Es geschehen nämlich durchaus nützliche Dinge, die niemand in Auftrag gegeben hat, und noch deutlich mehr, die sich gar in Auftrag geben lassen.

In der milderen Form gibt es keine strukturellen Zwänge, sondern nur persönliche Bereicherung, nebenbei bemerkt: ein durchaus neoliberales Welt- und Menschenbild, und tatsächlich lesen sich die Auslassungen der Skeptiker oft wie Zitate des Ökonomen Gary Becker, der das menschlichen Verhalten insgesamt auf kalkulierenden Eigennutz zurückführen wollte. In der extremen Form sind gesellschaftliche Entwicklungen niemals kontingent, sondern geplant. So existiert eine Strömung der Klimaleugnung, die vertritt, eine globale Elite würde das Wetter kontrollieren.

Mit den Vorstellungen eines übergeordneten Plans nähert sich der Verschwörungsglauben dem Religiösen an. Tatsächlich mag er ähnliche Bedürfnisse stillen: nach Trost, Beruhigung und Hoffnung. In einer Untersuchung von klimaskeptischen Publikationen erklären Jens Soentgen und Helena Bilandzic, dass die Vorstellung einer Klimawissenschaft, die die Bevölkerung bewusst täuscht, für die Anhänger solcher Theorien angenehmer ist als die Realität der Klimakrise. "Verschwörungstheorien um den Klimawandel haben also eine besondere Anziehungskraft, weil sie die Folgen des Klimawandels weniger gravierend erscheinen lassen und damit entlasten", erklären sie.

Eine bedrohliche Situation wie der Klimawandel, der auch bei maximalen Bemühungen nicht vollständig durch Menschen kontrollierbar ist und erhebliche Folgen haben kann, wird in eine andere, weitaus weniger bedrohliche Situation uminterpretiert, nämlich die, in der eine überschaubare Gruppe von Menschen zu ihrem eigenen Vorteil konspiriert; eine Angelegenheit, die zutiefst menschlich und mit gewöhnlichen menschlichen Mitteln zu regeln ist.

Jens Soentgen und Helena Bilandzic

Problematisch an "Cui bono-Theorien" ist nicht, dass es keine Macht- und Profitinteressen gäbe, sondern ihre Banalität. Sie personalisieren das Problem und verfehlen daher das System Wissenschaft. Fehlanreize im Wissenschaftsbetrieb entstehen aus der Finanzierung, das Publikationswesen, die Ausbildung, den akademischen Arbeitsmarkt und vieles mehr. Wissenschaftler auszutauschen, würde nichts besser machen.

Trotz großer Probleme liefert Wissenschaft immer noch die verlässlichste Entscheidungsgrundlage, die wir haben - verlässlicher jedenfalls als der Glaube oder die Intuition oder die Weisheit von alten Männern und ihrer Väter. Wissenschaftlichkeit bedeutet (unter anderem) Nachvollziehbarkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit, Systematik, vor allem aber Desinteresse. Möglicherweise wünscht sich eine Forscherin ein bestimmtes Ergebnis, dennoch muss sie alles tun, damit ihre Analyse nicht von ihren Wünschen gefärbt wird. Wissenschaftler sind die wahren Skeptiker. Permanent suchen sie in der Argumentation ihrer Kolleginnen nach Lücken und Fehlern. Sie machen Versuche und Berechnungen nach, um zu widerlegen. Wissenschaft ist organisierte Skepsis, wie der amerikanische Soziologe Robert Merton definiert hat.

Sollte es einem Wissenschaftler nun wirklich gelingen, ein schlüssiges Klimamodell ohne die anthropogenen Treibhausgase vorzulegen, wäre seine Karriere gemacht. (Nicht nur das, die einschlägigen Wissenschaftler wären froh und erleichtert, nicht recht zu behalten.) Die Idee, der wissenschaftliche Konsens über die Rolle von Kohlendioxid in der Klimakrise beruhe auf den unmittelbaren Interessen einer Öko-Elite, ist absurd. Nicht nur, weil diese Gruppe sich gegen die tatsächlich existierende Öl-, Gas- und Autoindustrie durchgesetzt haben müsste, sondern weil die Sache so einfach nicht läuft. Das Entstehen und Vergehen wissenschaftlicher Wahrheiten ist eine deutlich kompliziertere Sache.