Durchbruch für den Frieden in der Ost-Ukraine?

Hat das Treffen zwischen Donald Trump und Wolodymir Selenskyi zu einem Durchbruch zur Lösung des Konflikts geführt? Bild: Presidential Office of Ukraine/ CC BY-SA-4.0

Vertreter der Ukraine, der "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk und Russlands einigten sich auf Wahlen und einen Sonderstatus der Gebiete Donezk und Lugansk, doch Präsident Selenski stellt neue Bedingungen

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Ist das der Anfang vom Ende eines fünf Jahre dauernden Krieges, der bereits 13.000 Menschenleben gekostet hat? Oder ist es nur ein weiterer Luftballon, der bald platzt? Das fragen sich Beobachter in der Ukraine, nachdem am 1. Oktober Vertreter der Ukraine, der international nicht anerkannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk sowie Russlands in der Minsker Kontaktgruppe als ersten Schritt zur Umsetzung des Minsker Abkommens die sogenannte "Steinmeier-Formel" beschlossen haben.

Nur trockene Berichte über eine historische Einigung

Die Einigung der Minsker Kontaktgruppe hat historische Bedeutung. Es ist das erste Mal seit 2015, dass der Mechanismus für einen Frieden in Gang gesetzt wird. Doch die ARD-"Tagesschau", die 2014 und 2015 noch in ständigen Live-Schaltungen über die Ukraine berichtete, brachte über den am Dienstag zustande gekommenen Kompromiss von Minsk nur eine 30-Sekunden-Meldung ohne O-Ton, was auffällig war, denn es gab einen O-Ton. Präsident Selenski hatte die Einigung von Minsk am Dienstagabend auf einer Pressekonferenz in Kiew vorgestellt und auch Fragen beantwortet. Aber offenbar wollen die großen deutschen Medien den Kompromiss von Minsk nicht hochhängen. Weil man an seine Umsetzung nicht glaubt?

Das russische Portal Ukraina.ru schrieb, die Vereinbarung der Minsker Kontaktgruppe sei in Absprache zwischen Berlin, Paris und Washington zustande gekommen.

Die Vereinbarung der Minsker Kontaktgruppe, die vom Vertreter der Ukraine - dem ehemaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma und dem Vertreter Russlands - Wladislaw Surkow - unterschrieben wurde - enthält nur zwei Punkte:

  1. An dem Tag, an dem in den Gebieten um Donezk und Lugansk unter Aufsicht der OSZE Wahlen stattfinden, tritt nach Beendigung der Wahlen, um 20:00 Uhr, ein vorläufiger Sonderstatus für diese Gebiete in Kraft, der mit einem ukrainischen Gesetz geregelt wird.
  2. Das ukrainische Gesetz über einen Sonderstatus der Gebiete Donezk und Lugansk tritt endgültig in Kraft, nachdem die OSZE die Wahl als demokratisch anerkannt hat.

Wie die Presssprecherin von Leonid Kutschma, Daria Olifer, mitteilte, wurde der Text des am Dienstag unterzeichneten Kompromisses bereits am 11. September von den Regierungen der Ukraine, Deutschlands, Frankreichs und Russlands vereinbart.

Bei einem Treffen der Minsker Kontaktgruppe am 20. September hatte der Vertreter der Ukraine in der Kontaktgruppe, Leonid Kutschma, dem Kompromiss noch nicht zugestimmt. Dass er es dann am 1. Oktober 2019 tat, ist nach Meinung des regierungskritischen, ukrainischen Internet-Portals Strana.ua Folge des Drängens von Donald Trump.

Trump zu Selenski: "Lösen Sie ihre Probleme mit Putin"

Tatsächlich ist auffällig, dass die Vereinbarung in der Kontaktgruppe von Minsk nur eine Woche nach dem Treffen von Trump und Selenski in New York erzielt wurde. Während des für die Presse öffentlichen Teil dieses Treffens, das am 25. September stattfand, erklärte Trump dem ukrainischen Präsidenten eindringlich, wie nützlich es sei, mit Putin zusammenzuarbeiten.

Ich denke, Sie und Präsident Putin können sich treffen und ihre Probleme lösen. Und ich weiß, sie versuchen es. Sie machen große Fortschritte mit Russland, machen sie weiter so und beenden das Unglück.

Donald Trump

Mit dem Unglück meinte Trump den Krieg im Donbass.

Als ein Zeichen, dass die USA ihre Politik gegenüber der Ukraine neu ausrichten, wertete Strana.ua, dass Kurt Volker, seit 2017 Ukraine-Beauftragten der USA, am 27. September von seinem Posten zurücktrat. Volker ist nach Einschätzung des Internet-Portals ein "Falke", der alles dafür getan hat, die Umsetzung des Minsker Abkommens zu unterlaufen.

Hat die "Steinmeier-Formel" jetzt eine Chance?

Die "Steinmeier-Formel", welche die Kontaktgruppe in Minsk am Dienstag beschlossen hat, geht auf einen Vorschlag des damaligen deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier aus dem Jahre 2016 zurück. Von dem "Steinmeier-Vorschlag" gibt es keine schriftliche Fassung.

Der Vorschlag des ehemaligen deutschen Außenministers sah so aus: Nach Wahlen in der Ostukraine, die von der OSZE überwacht werden, soll in der ukrainischen Verfassung - so Steinmeier 2016 - ein Sonderstatus für die Gebiete Donezk und Lugansk festgeschrieben werden. Parallel dazu sollten Truppen von dem Territorium abgezogen werden, das die Ukraine nicht kontrolliert.

Moskau hatte den Steinmeier-Vorschlag immer unterstützt. Der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte den Vorschlag als "Verrat" abgelehnt. Poroschenko wollte die Reihenfolge der Maßnahmen genau andersherum, erst "Truppenabzug" dann Wahlen. Mit Truppen waren immer "russische Truppen" gemeint, obwohl diese Truppen bisher niemand gesichtet hat.

Der Kiewer Politologe Michail Pogrebinski erklärte gegenüber Strana.ua, die ukrainische Regierung komme jetzt nicht umhin, das Gesetz über Wahlen in den Gebieten Donezk und Lugansk mit den dortigen Regierungen abzusprechen. Denn nach dem ukrainischen Gesetz müssten zu den Wahlen alle ukrainischen Parteien zugelassen werden. Es sei aber nur schwer vorstellbar, dass die extrem antirussische ukrainische Partei "Swoboda" (Freiheit) auf den Straßen von Donezk Wahlkampf betreiben kann.

Minsker Kontaktgruppe erfüllte Bedingungen Russlands

Russland hatte für ein neues Treffen der Staatsoberhäupter im Normandie-Format - das letzte Treffen fand im Mai 2016 statt - zwei Bedingungen gestellt: die Anerkennung der "Steinmeier-Formel" und der Abzug aller Truppen beidseitig zweier konkreter Frontgebiete. Beide Bedingungen seien erfüllt worden, heißt es von russischer Seite.

Der ukrainische Präsident erklärt am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Kiew, das Treffen der Staatsoberhäupter im Normandie-Format solle bald stattfinden. Der französische Präsident Macron begrüßte die Vereinbarung der Kontaktgruppe und erklärte, das Treffen im Normandie-Format werde in "den nächsten Wochen" stattfinden. Der deutsche Außenminister Heiko Maas erklärte zu Einigung der Kontaktgruppe: "Ich freue mich, dass die konstruktive Atmosphäre in der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk heute zu lang erhofften Fortschritten geführt hat." Paris ist zurzeit besonders bei der Wiederherstellung der Kontakte mit Russland engagiert. Im August empfing Macron Putin in seiner Sommerresidenz. Russland sei "ein notwendiger Partner" und "großer Nachbar" heißt es aus dem Elysée-Palast. Anfang September tagte das erste Mal seit 2014 wieder der russisch-französische Kooperationsrat. Paris und Moskau wollten eine europäische Sicherheitsarchitektur erarbeiten, kulturpolitisch kooperieren und einen Krisenmechanismus erstellen, berichtet das "Handelsblatt".

Präsident Selenski: "Es wird keine Kapitulation geben"

Der ukrainische Präsident Wolodymir Selenski (Selenskyi) gab die Vereinbarung am Dienstagabend auf einer Pressekonferenz bekannt, schränkte den Verhandlungserfolg - offenbar zur Beruhigung der ukrainischen Nationalisten - ein, indem er neue Bedingungen stellte.

Natürlich würden die Wahlen "nicht unter Gewehrläufen stattfinden". Man würde in den Gebieten um Donezk und Lugansk keine Wahlen durchführen, "wenn dort Soldaten sind". Gemeint waren offenbar russische Soldaten und Soldaten der Donezk- und Lugansk-Streitkräfte. Das Gesetz über Wahlen in den Gebieten um Donezk und Lugansk, welches jetzt vom ukrainischen Parlament ausgearbeitet werden muss, werde "keine rote Linie überschreiten", erklärte Selenski. Es werde "niemals eine Kapitulation" der Ukraine geben.

Auf die Frage eines Journalisten, wann die "russischen Truppen aus den okkupierten Gebieten abgezogen werden", erklärte der ukrainische Präsident, diese Frage werde auf dem nächsten Normandie-Treffen besprochen. Selenski erklärte auch, die Grenze zwischen den "Volksrepubliken" und Russland müsse unter ukrainische Kontrolle kommen. Russland hat dies immer abgelehnt, solange es keine Amnestie für alle Kämpfer der "Volksrepubliken" gibt.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, meinte, die Vereinbarung der Kontaktgruppe "verbessere die Atmosphäre" zur Umsetzung des Minsker Abkommens.

Der russische Senator Franz Klinzewitsch dagegen glaubt an eine Finte der ukrainischen Seite. Der Senator vermutet, dass die Ukraine eine Provokation an der Kontaktlinie zwischen "Volksrepubliken" und Zentral-Ukraine plane. Während der letzten fünf Jahre wurden vereinbarte Waffenstillstände immer wieder gebrochen.

Ukrainische Nationalisten sprechen von "Kapitulation"

Ukrainische Politologen und Journalisten, die dem nationalistischen Lager nahestehen, kritisierten die Vereinbarung der Minsker Kontaktgruppe als "Niederlage" und "Kapitulation".

Am Dienstagabend versammelte sich vor dem Amtssitz des ukrainischen Präsidenten in Kiew Nationalisten mit einem Transparent, auf dem stand "Nein zur Kapitulation!". Am Mittwoch gab es weitere kleine Protestaktionen von ukrainischen Nationalisten in anderen Städten der Ukraine.

Der ehemalige ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, mit dem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel 15 mal getroffen hatte, warnte, die "Steinmeier-Formel" werde dazu führen, dass die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden.

Der ehemalige Maidan-Kommandant und ehemalige Parlamentsvorsitzende Andrej Parubi erklärte, die Vereinbarung von Minsk führe "zur Demontage des ukrainischen Staates". Alle "staatlich orientierten Kräfte" müssten sich "jetzt gegen die Kapitulation vereinigen."

Warum drängt der Westen Selenski zu einer friedlichen Lösung?

Schon seit mehreren Monaten gibt es Anzeichen für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland mit Russland. Russland erhielt wieder Stimmrecht im Europarat und nun die Vereinbarung in der Kontaktgruppe von Minsk. Was sind die Gründe?

  1. Die westlichen Länder erkennen, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen keine Auswirkungen auf die Politik Russlands haben.
  2. Gleichzeitig steigt der Druck der Unternehmen in den westlichen Ländern, die vor 2014 noch stark nach Russland exportiert haben und nun Millionen-Verluste hinnehmen müssen.
  3. Den Falken im Westen, die Russland durch einen Konflikt in der Ost-Ukraine schwächen wollten, sind gegenüber den Pragmatikern, welche in der Ukraine und Russland Geschäfte machen wollen, im öffentlichen Diskurs die Argumente ausgegangen.
  4. Der Westen möchte verhindern, dass Russland sich wirtschaftlich und militärisch immer enger mit China zusammenschließt.
  5. Auch wenn die neue Friedensinitiative scheitert, weil es Selenski mit ihr womöglich nicht ernst meint, oder sich gegen die Opposition in der Ukraine nicht durchsetzen kann, kann man im Westen sagen: "Wir haben es versucht. Wir sind die Guten."

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