Partisanen und Spione

Das Zentrum von Kirkenes in der Ost-Finnmark nach dem deutschen Rückzug und der Strategie der "verbrannten Erde". Bild: Riksarkivet

Das russisch-norwegische Verhältnis am Jahrestag der Finnmark-Befreiung

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Am 25. Oktober 1944 eroberte die Rote Armee die norwegische Grenzstadt Kirkenes von den deutschen Truppen, in den folgenden Tagen das Gebiet bis zum Fluss Tana. Es war der Anfang vom Ende der deutschen Besatzung in Norwegen.

Der 75. Jahrestag der Befreiung der Ost-Finnmark wird am Freitag entsprechend gewürdigt: Der norwegische König Harald, Ministerpräsidentin Erna Solberg und der russische Außenminister Sergej Lawrow werden zu einer öffentlichen Zeremonie in Kirkenes erwartet. Dabei wird eine für Norwegen wichtige, aber auch peinliche Frage voraussichtlich immer noch nicht ganz gelöst sein: die um die Zukunft des Kuriers Frode Berg, der in Moskau in Haft sitzt. Der Schlüssel dazu liegt in Litauen. Dort wird gerade über ein Gesetz diskutiert, das einen Agentenaustausch ermöglichen soll, der auch den Norweger einbeziehen würde (Norwegen, Russland und ein Spion, der sich erwischen ließ).

Der pensionierte norwegische Grenzinspektor Frode Berg aus Kirkenes war am 5. Dezember 2017 in Moskau wegen Spionage verhaftet worden. Es gibt praktisch keine inhaltlichen Aussagen der norwegischen Regierung dazu. Öffentlich bekannt ist jedoch inzwischen, dass Berg im Auftrag des norwegischen Nachrichtendienstes als Kurier unterwegs gewesen war. Seine Anwälte hatten dies publik gemacht. Eine Weggefährtin erklärte außerdem, er habe diesen letzten Auftrag nur ungern übernommen und hätte eigentlich aufhören wollen. Im April wurde er zu 14 Jahren Straflager verurteilt, sitzt aber nach wie vor in Moskau. Dies wurde als Zeichen gesehen, dass sich die norwegische Regierung um eine politische Lösung bemüht, auch wenn man davon nichts hörte.

Die norwegischen Medien beschäftigten sich dafür umso mehr mit dem Thema. Der 75. Jahrestag wurde schon lange als ein Datum gehandelt, das symbolische Handlungen und besondere diplomatische Anstrengungen erfordert - Glück für Frode Berg, dass es einen solchen Punkt gab.

Vergangene Woche gab es die ersten Hinweise darauf, dass es klappen könnte. Norwegen hat zwar keinen überführten russischen Spion aufzubieten, den man austauschen könnte, aber Litauen. Dort sitzt FSB-Agent Nikolai Filiptschenko, der unter anderem versucht haben soll, das Präsidentenbüro zu verwanzen. Nach einem litauischen Nachrichtendienst sollen dieser und möglicherweise ein weiterer Russe gegen zwei in Russland sitzende Litauer und einen Norweger ausgetauscht werden. Dahinter vermuten die norwegischen Medien vermutlich zu Recht Frode Berg.

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte allerdings vergangene Woche noch, er wisse von nichts. In Vilnius wird gerade über ein Gesetz beraten, das den Agentenaustausch ermöglichen soll. Die Abstimmung wird aber voraussichtlich erst am 7. November stattfinden. Die Agenten müssten dazu vorher in dem jeweiligen Land begnadigt werden. Laut seiner Anwälte hat Berg inzwischen auch offiziell um Begnadigung gebeten. Diese kann nur der Präsident persönlich gewähren.

Für Russland ist der Jahrestag eine gute Gelegenheit, daran zu erinnern, welch guter Nachbar man doch sei. Einen Spion laufen zu lassen, würde dies noch perfekt machen. Vermehrt russische Militärübungen vor der norwegischen Küste, Scheinangriffe auf das Globus-Radar in Vardø und andere Ziele, GPS-Jamming und die Stationierung eines Missile-Systems nahe der norwegischen Grenze haben Norwegen daran zweifeln lassen. Im neuesten Fachmilitärischen Rat wird die gewachsene militärische Kapazität Russlands thematisiert.

Die russische Seite wiederum fühlt sich provoziert durch die Stationierung amerikanischer Soldaten, auch wenn es nur 700 sind, amerikanische Aufklärungsflugzeuge auf dem Stützpunkt Andøya und insbesondere das neue Globus-Radar in Vardø. Nicht einmal die Norweger selbst glauben, dass das Radar eine norwegische Einrichtung ist.

Die Sowjettruppen verließen 1945 Norwegen ohne Bedingungen

Zurück zum Zweiten Weltkrieg: Das ursprüngliche Ziel der deutschen Truppen im hohen Norden war Murmansk. So weit kamen sie aber nie. Es gab einen langen Stellungskrieg an der Litsa. Erst im Oktober 1944 gelang es der Roten Armee, die deutschen Truppen zurück nach Norwegen zu treiben - und noch ein Stück weiter nach Westen. Die Wehrmacht zog sich aus der Finnmark und Nord-Troms zurück bis zu einer Linie bei Lyngen und hinterließ verbrannte Erde.

Die norwegische Exilregierung in London schickte daraufhin 232 norwegische Soldaten auf dem Seeweg nach Kirkenes. Das Vorgehen bei einem eventuellen Einmarsch hatte der damalige Exil-Außenminister mit der sowjetischen Führung vorab abgesprochen, und die Zusammenarbeit zwischen den sowjetischen und den norwegischen Kräften vor Ort soll gut gewesen sein. Am 8. Mai 1945 ergab sich bekanntlich Nazi-Deutschland und infolge dessen auch die deutschen Truppen in Norwegen.

Am 1. September 1945 verließen die Sowjettruppen Norwegen wieder, ohne Bedingungen. Es gibt Gedankenspiele dazu, wie die Finnmark heute aussehen würde, wenn sich die Sowjetunion anders verhalten hätte, und es gibt Berichte, dass man sich davon auch etwas erhoffte - eine Grenzkorrektur im Norden und mehr Rechte auf Spitzbergen beispielsweise. Dazu kam es aber nie. Litauen, das nun beim Agentenaustausch helfen soll, hat bekanntlich andere Erfahrungen mit der Sowjetunion gemacht.

Kooperation mit den Nazis oder mit den Kommunisten

Nach Ende des Krieges gab es in Norwegen Prozesse gegen Kollaborateure und öffentliche Angriffe auf "Tyskerjenter", Norwegerinnen, die sich mit deutschen Männern eingelassen hatten. Im östlichen Nordnorwegen, der Finnmark, hatte die Geschichte jedoch noch eine weitere Dimension. Als die Nazis begannen, sich in Kirkenes einzurichten, flohen gut 50 Bewohner aus der Grenzregion in die Sowjetunion. Die meisten davon kamen aus dem Küstenort Kiberg auf der Varangerhalbinsel und nahmen den Weg übers Meer. Viele waren überzeugte Kommunisten, andere Familienmitglieder und Nazi-Gegner.

In Stalins Reich wurden sie zunächst keineswegs mit offenen Armen empfangen, da man sie für Spione hielt. Später allerdings besann man sich dieser Ressource: Norweger saßen als Partisanen in den unzugänglichen Felswänden von Varanger und meldeten per Funk die Bewegungen deutscher Versorgungsschiffe nach Kirkenes. Sie fuhren als Lotsen auf russischen U-Booten oder nahmen die Funkmeldungen entgegen. Viele der Partisanen und ihre Helfer wurden bei einer groß angelegten Razzia entdeckt und hingerichtet, andere erschossen sich selbst, um nicht dem Feind in die Hände zu fallen.

Kooperation mit den Nazis war schlecht angesehen im Nachkriegs-Norwegen, doch auf Seite der Roten Armee gegen die Nazis gekämpft zu haben, war vollkommen tabu. Denn bekanntlich drehte sich das Rad der Geschichte schnell weiter. Erst 1992, nach dem Zerfall der Sowjetunion, bat König Harald vor dem Partisanenmonument in Kiberg um Verzeihung. Da waren die meisten, die es betraf, längst tot.

Der Fall des Eisernen Vorhangs hatte in Norwegen insgesamt keine großen Folgen für den Alltag, in der Finnmark aber schon. Diese Region war immer in Austausch mit den östlichen Nachbarn gewesen, bis zur bolschewistischen Revolution. Die Einrichtung der Barents-Kooperation auf Initiative des norwegischen Außenministers Thorvald Stoltenberg knüpfte daran an. Begegnungen von Mensch zu Mensch sollten außerdem dem Frieden in der Region dienen. Davon profitiert die Region auch wirtschaftlich: Die Werft in Kirkenes repariert russische Fischkutter, die Geschäfte haben auch russische Kunden. Als ein wichtiges Element für den Austausch wurde eine spezielle Erlaubnis für Bewohner der Grenzregion geschaffen: Sie dürfen ohne Visum den offiziellen Grenzübergang bei Storskog/ Boris Gleb passieren und sich innerhalb einer 30-Kilometer-Zone frei bewegen.

Ob eine solche Initiative auch heute noch Aussicht auf Erfolg hätte, ist äußerst fraglich, denn das Verhältnis zwischen den Hauptstädten ist in Folge der Krim-Krise bekanntlich abgekühlt. Die Sanktionen sind weiter in Kraft und es gibt Listen mit Leuten, die nicht hier- oder dorthin dürfen. Andererseits ist man weiter pragmatisch, zum Beispiel in der gemeinsamen Bewirtschaftung des Fischbestandes in der Barentssee.

Bei der Zeremonie am Freitag wird sicher die gute Nachbarschaft beschworen. Dazu wird es Gespräche hinter den Kulissen geben, die diese hoffentlich befördern. Es gab eine Reihe von Stimmen in Norwegen, die meinten, die Einladung zum bevorstehenden Jahrestag hätte nicht nur an Lawrow, sondern auch an Wladimir Putin gehen müssen - und das hätte das Verfahren um Frode Berg beschleunigt. Darüber kann man spekulieren. Geschadet hätte es sicher nicht.