"Millionen Menschen erreichen schneller das Ewige Leben"

Atomwaffentest Operation Dominic. Bild: US-Regierung

Die Evangelische Synode soll im November Herstellung, Besitz und Doktrin der Atombombe ächten - manche Stimmen wünschen sich aber eine regierungstreue Unentschiedenheit

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Vom 11.-13. November tritt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zu einer Friedens-Synode in Dresden zusammen. Die evangelischen Friedensverbände rufen - im Gefolge mehrerer "Basis-Synoden" am Nuklearstandort Büchel (Eifel) - die Versammlung einstimmig dazu auf, Atomwaffen und nukleare Abschreckungspraxis zu ächten. Damit würden die deutschen Protestanten Anschluss finden an den Diskurs der ehemaligen DDR-Kirchen, das Bekenntnis der weltweiten Ökumene und die Position von Papst Franziskus.

Allerdings findet man im jüngst vorgelegten Synoden-Lesebuch ebenfalls ein gewichtiges Votum für die Beibehaltung der vor sechs Jahrzehnten erfundenen "Sowohl-als-auch"-Linie. Ein solcher Kurs wäre im Sinne der deutschen Regierung, denn diese vertritt in Missachtung eines starken Parlamentsvotums von 2010 auf allen Ebenen die Interessen der Atombombenbesitzer und verteidigt die eigene Nuklearwaffen-Teilhabe.

Ein langer Weg im deutschen Protestantismus

Der "deutschnational" schlimm vorbelastete Bischof Otto Dibelius, CDU-Gründungsmitglied und 1949-1961 erster EKD-Ratsvorsitzender, fand Militärtechnologien zur Massenvernichtung keineswegs per se schlimm. 1954 gab er auf der 2. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Evanston (USA) kund:

Die Anwendung einer Wasserstoffbombe ist vom christlichen Standpunkt aus nicht einmal eine so schreckliche Sache, da wir alle dem ewigen Leben zustreben. Und wenn zum Beispiel eine einzelne Wasserstoffbombe eine Millionen Menschen töte, so erreichen die Betroffenen umso schneller das ewige Leben.

Otto Dibelius

Nachlesen kann man diese Gotteslästerung z.B. in Manfred Görtemakers "Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" (1999, S. 259). Einen Einsatz der "christlichen Bombe" hielt der Jesuit Gustav Gundlach sogar dann für erwägenswert, wenn die ganze Menschheit zur größeren Ehre Gottes geopfert werden müsste.

Anfang 1958 erklärten indessen die in der Tradition der Bekennenden Kirche stehenden "Bruderschaften" in Deutschland, es solle eine bevorstehende Berliner Synode "als verbindliches Bekenntnis der evangelischen Kirche postulieren, dass ein Christ sich der Sünde schuldig macht, wenn er Atomwaffen plant, baut, lagert, mit ihnen hantiert oder sie gar anwendet".

Der evangelischen Militärseelsorge, die die Interessen des atomwaffenfreundlichen Adenauer-Staates teilte, kam dieser kompromisslose Bekenntnis-Standpunkt wenig gelegen. Sie regte die Bildung einer Kommission an, welche dann die berühmten "Heidelberger Thesen" von 1959 formulierte. Darin wurde "die Beteiligung an dem Versuch, durch das Dasein von Atomwaffen einen Frieden in Freiheit zu sichern, als eine heute noch mögliche christliche Handlungsweise" anerkannt.

"Heidelberger Thesen" in alle Ewigkeit?

Die "Heidelberger Thesen" ermöglichten es der Evangelischen Kirchenleitung, auch noch in den Auseinandersetzungen der 1980er Jahre "neutral" zu bleiben. Nur der Reformierte Bund erklärte schon vor vier Jahrzehnten, man könne nicht gleichzeitig Gott und der Atombombe dienen. Die evangelische Basis Westdeutschlands brachte ihr Kirchentagsvotum 1983 auf lila Tüchern zum Ausdruck, zigtausendfach: "Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungsmitteln."

Die EKD-Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen" deutete erst im Jahr 2007 an, dass man den Sowohl-als-auch-Standpunkt (mögliche Duldung einer vorübergehenden Atombewaffnung) nicht endlos weiter fortschreiben könne - ohne sich lächerlich zu machen. Wo bliebe die Glaubwürdigkeit? Eine Entscheidung wurde jedoch immer noch nicht getroffen. Abschreckung mit Atombomben, die jetzt als "politische Waffen" bezeichnet wurden, sollte eine mögliche Option bleiben. Dies, obwohl man "die Drohung mit Nuklearwaffen" nicht mehr als "Mittel legitimer Selbstverteidigung" betrachtete. Nichts ist unmöglich, alles kann man zusammenreimen.

Einsprüche gegen eine kompromisslose Atombomben-Ächtung im Jahr 2019

In diesem Jahr nun erhofften sich friedenskirchlich ausgerichtete Protestanten zuerst von der Landeskirche in Hessen-Nassau ein klares "Nein zu Atomwaffen". Mehrere Synodale hielten die Abschreckung jedoch für eine bewährtes System, und die Abstimmung wurde vertagt.

In einem neuen Buch des evangelischen Militärbischofs sind keinerlei Vorbehalte gegen die herrschende Atomwaffenpolitik erkennbar (Der Militärbischof und der gerechte Krieg). - Realisten sollten insgesamt damit rechnen, dass der alte Nationalprotestantismus noch lange nicht begraben ist.

Im frei abrufbaren Lesebuch zur Dresdener EKD-Synode im November findet man auf Seite 148 bis 154 erstaunliche Ausführungen von PD Dr. Ines-Jacqueline Werkner (FEST/ Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft). Die Autorin betrachtet die Entwicklung neuer taktischer Nuklearwaffen als keine allzu große Veränderung, kann dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag (errungen durch eine vom Weltkirchenrat mitgetragene Kampagne) nicht besonders viel abgewinnen und plädiert "für ein Ernstnehmen der Komplementarität der Heidelberger Thesen unter Einschluss der nuklearen Abschreckung" - also: weiter so wie schon anno 1959.

Frau Dr. I.-J. Werkner ist Herausgeberin mehrerer Buchbände zu einem u.a. von der Militärseelsorge geförderten Konsultationsprozess der laufenden Synode. Wird der Heidelberger Formel zum staatstreuen "Nichts sagen" in ihrem Sinne vielleicht wirklich eine neue Aktualität beschieden sein?

Weltweite Ökumene: Absage an den "Götzen der Atombombe"

Bereits die erste Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) hatte 1948 in Amsterdam die Kriegsführung mit atomaren oder anderen modernen Waffen als "Sünde gegen Gott" qualifiziert. Die Sechste Vollversammlung des Weltkirchenrats in Vancouver erklärte 1983, "dass sowohl die Herstellung und Stationierung als auch der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellen und dass ein solches Vorgehen aus ethischer und theologischer Sicht verurteilt werden muss". Daran knüpfte zuletzt die zehnte ÖRK-Vollversammlung 2013 in Busan (Südkorea) an.

Bischof Franziskus von Rom hat wiederholt - ohne Einschränkung - den bloßen Besitz von Atomwaffen verurteilt, klärt über die Gefahren einer versehentlichen Explosion durch Systemfehler auf und lobt - u.a. in seiner Ansprache an die Teilnehmer*innen eines Internationalen Symposions am 10.11.2017 - den UN-Atomwaffenverbotsvertrag.

Der Theologieprofessor Norbert Mette vermerkt hierzu: "Damit hat der Papst die Frist für die eingeschränkte moralische Billigung der nuklearen Abschreckungsdoktrin, wie sie in […] Hirtenbriefen zu Beginn der 1980er Jahre noch eingeräumt worden ist, definitiv für abgelaufen erklärt."

Auch die Deutsche Kommission Justitia et Pax erklärt in ihrem Votum vom 17.06.2019,

dass die bisherige moralische Duldung der Strategie der nuklearen Abschreckung als Konzept der Kriegsverhütung aufgegeben werden muss. Die mächtigsten Atomwaffenstaaten lassen keinen ernsthaften Willen erkennen, von ihr abzurücken, sondern setzen programmatisch darauf, einen Atomkrieg führen, begrenzen und gewinnen zu können.

Justitia et Pax

Ein prophetisches Votum?

Im November werden wir sehen, ob man ein prophetisches Friedensvotum erwarten darf von einer Kirche, deren Militärseelsorger und Bischöfe vom Staat bezahlt werden. Der EKD-Synode steht es im Verbund mit der weltweiten Ökumene frei, ohne jede Hintertür eine Absage an Konstruktion, Herstellung, Verbreitung, Besitz (Stationierung), Drohkomplex und "militärethische" Apologien der Atombombe auszusprechen.

Bei Vorträgen an vielen Orten und z.B. auch in einem aktuellen Beitrag für das franziskanische Magazin/ macht der Protestant Andreas Zumach auf einen äußerst wichtigen Punkt aufmerksam: Sämtliche Formen der "nuklearen Teilhabe" Deutschlands (z.B. in Büchel oder über eine gemeinsame "EU-Armee") müssten in einer entsprechenden Beschlussfassung eigens genannt werden, denn sie wurden ja z.B. auch im Einigungsvertrag 1990 gezielt ausgeklammert.

Die nicht staats-servilen Christenmenschen der DDR-Zeiten haben im letzten Jahr eine klare Forderung formuliert: Das Atomwaffenverbot gehört ins Grundgesetz! Dies sollte auch eine glaubwürdige Synode in Dresden allen mit auf den Weg geben.

Der Verfasser ist Theologe und hält jegliche Zusammenarbeit mit dem Atombomben-Komplex für unvereinbar mit dem christlichen Bekenntnis.

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