Die westliche Zivilisation und ihre Feinde

Donald Trump verkündet die Siegesmeldung. Bild: Weißes Haus

Von einem komplementären Verhältnis in Rhetorik und Praxis - Ein Kommentar

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Die abscheuliche, bewusst dehumanisierende Rhetorik des gegenwärtigen US-Präsidenten taucht der SZ-Kommentator Bernd Graff durchaus ins richtige Licht: Ihm schwant bei aller Abscheu gegenüber Trump, dass der etablierte verbale Humanismus der "zivilisierten" Welt nur die Firnis, die ideologische Schönfärberei von herrschaftlichen Gewaltverhältnissen darstellt, die sich über die Jahrtausende nicht geändert haben. Andersherum: Die Kriege werden durch eine gediegene Wortwahl nicht humaner.

Dennoch fällt Trump rhetorisch ein Stück weit hinter die bedingte Versachlichung moderner Gewalt zurück: Normalerweise reicht den politischen Akteuren von heute, ihrer unanfechtbaren moralischen Legitimität gewiss, eine grimmige, aber betont moderate Feier des mörderischen Siegs über den Feind: Osama bin Laden vernichtet, Daumen nach oben, Schulterklopfen - das war's! Was nicht heißt, dass irgendjemand außerhalb der islamistisch-terroristischen Szene Mitleid mit solch ruchlosen Terrorkriegern haben müsste.

Nur: Ihr letztlich überlegener, imperialer, doch so zivilisierter, menschenrechtsbewaffneter Gegner führt seine Kriege nicht viel anders als sie ihre Terroraktionen, wie nicht erst der Vietnamkrieg gezeigt hat; Assange ist seines Lebens eben deswegen nicht mehr sicher, weil er nachgewiesen hat, dass sich die erobernde Speerspitze der bürgerlichen Zivilisation genauso gnaden- und rücksichtslos aufführt wie ihr religiös fanatisierter, mittelalterlich anmutender Feind, weder auf Zivilisten noch auf hehre Ideale, die nur für Sonntagsreden taugen, Rücksicht nimmt. Der technisch-organisatorisch-logistisch haushoch überlegenen Gewalt des Militärapparats imperialer Mächte stehen die fanatischen Guerilla- und Kamikaze-Aktionen ihrer unterlegenen, aber zu allem entschlossenen Feinde gegenüber, die sich im Falle des IS durch eine besonders irrwitzige, (selbst)mörderische Ideologie aufputschen.

Allgemein zeigt sich, vom IS bis zu den Irak- und Afghanistan-Einsätzen der Russen und Amerikaner: Die Grausamkeit einer aufgehetzten und aufgeputschten Soldateska ist nirgendwo auszurotten, wo Krieg stattfindet - zumindest solange nicht, bis Robotsoldaten den Feind emotionslos, streng nach Zweckmäßigkeitskriterien massakrieren. Wobei diese Kriterien dann nach wie vor die politische Macht, die den Krieg führt, festlegen wird. Massaker wird Massaker bleiben.

Trotz alledem: Der bösartige, erniedrigende, hämische Furor, den Trump quasi spiegelbildlich zu den IS-Ideologen verbal inszeniert, verweist auf eine Zuspitzung der Gewaltverhältnisse in der aktuellen Weltsituation: Diplomatie ist mehr und mehr abgesagt; der Feind muss einfach vernichtet werden. Gelingt dies, ist ihm Häme, Schadenfreude und Verachtung sicher.

Die westliche Zivilisation nähert sich damit auch formell und verbal den Sichtweisen und Brutalitäten ihrer angeblich so archaischen, zivilisationsfernen Feinde an. Erdogan droht damit, die Köpfe seiner kurdischen Gegner "zu zerquetschen" und findet damit wohl bei seinen eingefleischten nationalistischen Anhängern Widerhall. Die Dehumanisierung des Feindes legitimiert jede Grausamkeit.

Die Maßlosigkeit der Feindschaft führt auch den Sieger in den Abgrund

Die Überschreitung aller Grenzen führt letztlich alle Beteiligten in den Untergang, wie Homer vor etwa 2800 Jahren in der "Ilias" zu verdeutlichen suchte: Der grausame, haltlose Furor Achills, der gegen alle Regeln der Kriegerehre den Leichnam des von ihm getöteten Hectors nicht zur ehrenvollen Bestattung freigibt, sondern diesen verspottet, beleidigt und schändet, wird durch die Trauer von Hectors Vater, des trojanischen Königs Priamos, gerührt; der maßlos zornige Sieger erfasst die Ruchlosigkeit, Abgründigkeit seines Handelns und verfällt in tiefe Depression, die bei einem Helden wie ihm schnell in Selbstmitleid übergeht. Homer lässt ihn wohl nicht zuletzt auch dafür sterben: Die Maßlosigkeit der Feindschaft führt auch den Sieger in den Abgrund, über kurz oder lang.

Der polnische Sozialwissenschaftler Zygmunt Bauman hat in seinem Werk "Moderne und Ambivalenz" zu zeigen versucht, dass die gefeierte Überwindung religiöser Borniertheit und archaischer Grausamkeit durch die aufgeklärte Moderne nicht zur Abschaffung von Gewalt, sondern zu deren Rationalisierung, zur zweckmäßigen Perfektionierung ihres Einsatzes geführt hat: Die Selektionsrampe von Auschwitz als industriell durchorganisierte Vernichtungsmaschinerie, die Millionen Menschen in sich hineinfrisst, steht für die Extremform herrschaftlicher Gewalt der modernen Staatenwelt.

Dennoch scheinen die modernen Staaten des rationalen Weltkapitalismus auf die Grausamkeit des Krieges nicht verzichten zu können, da diese ein Wesensmerkmal kriegerischen Handelns darstellt. Deshalb schrieben auch beispielsweise Bomberpiloten im Irak-Krieg "For Saddam with Love" auf ihre Bomben: Der Hass auf den Feind motiviert besser als alles andere.

Und in diesem Hass wissen sich die ungleichen Gegner gleich, insofern auch auf verquere Weise zueinander hingezogen: Eine Soldatin auf einem US-Kriegsschiff, das sich auf dem Weg in den Irak-Krieg befand, stellte in einem damaligen Fernsehbeitrag dazu fest: Wir lieben die Terroristen, denn sie denken genauso wie wir. Sie kämpfen für ihre Ideale und wir für unsere.

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