Death Factory

"First Aid", Versorgung von Private Benny Barron bei Schevenhütte am 18. November 1944. Bild: National Archives, Washington

Die Schlacht um den Hürtgenwald in der Nordeifel im November 1944 hinterließ ein amerikanisches Trauma. Lange Zeit fast vergessen, gilt sie mehr und mehr als Parabel für die Sinnlosigkeit und Brutalität des Krieges

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Ein morastiger, phosphorgetränkter Kreis der Hölle erwartet Ende Oktober 1944 die 28. US Infantry Division südwestlich von Düren, in einem Areal, das als "Todeswald" traurige Berühmtheit erlangen sollte. Viele der US-amerikanischen Soldaten, die dem Inferno bei "Utah" und "Omaha Beach" an der Atlantikküste im Sommer 1944 entkommen sind, blicken hier, am Westwall unweit Aachen, erneut dem Tod ins Angesicht - in ein finsteres, grausames und schmutziges Gesicht.

Dabei hatte alles zunächst so einfach ausgesehen: Der alliierte Generalstab träumte Anfang Oktober 1944 noch von einem glatten Durchbruch durch den Dürener Raum auf die Rheinebene und die Kölner Bucht zu. Das Rheinland und die Talsperren von Rur und Urft liegen zum Greifen nahe. Das Ziel: Die deutschen Kräfte vor Wintereinbruch zu erschöpfen, sie über den Rhein zurückzudrängen und vor den Russen im Ruhrgebiet zu stehen. Der Plan erweist sich als katastrophales Debakel.

Der "schwarzgrüne Ozean", Mythos und Todesfalle

Die Amerikaner erkennen die Risiken nicht. Kaum den Unterschied zwischen der großen Schwester "Ruhr" (nach der das Ruhrgebiet genannt wird) und der kleineren "Rur", die dem Hohen Venn entspringt, kannten die GIs und ihre Befehlshaber. Man weiß nichts von der strategischen Bedeutung der Rurtalsperren, die fest in deutscher Hand liegen.

Die US-Stäbe verfügen über keine exakten Karten, die die tiefen Taleinschnitte des Waldgebietes der Eifel bei Hürtgen entlang der "Siegfriedlinie" zeigen, das in den entscheidenden Herbst- und Winterwochen 1944 für Zigtausende zur Todesfalle werden soll: Death Factory wird hier zum Schlagwort und Fanal bei der Truppe, jener "schwarzgrüne Ozean aus Wald, in dem Hänsel und Gretel vom Weg abkamen".

Die Generäle, allen voran Dwight D. Eisenhower und Omar Bradley, unterschätzten einfach alles: den Widerstandswillen der deutschen Wehrmacht, die Topographie der Landschaft, die Härten des einbrechenden Winters. Die materielle Übermacht der Amerikaner erwies sich als trügerisch. Nachschubwege versanken in Schlamm und Morast, Wagen und Panzer stockten, Soldaten mussten zu Äxten greifen, um im Walddickicht Schneisen zu schlagen. Ihre ständigen Begleiter: Kälte, Orientierungslosigkeit, totale Erschöpfung. Das Gelände machte den Aufbau einer einheitlichen Front unmöglich, Minen, Scharfschützen und die gefürchteten "Baumkrepierer" rissen die Männer massenhaft in den Tod.

Propaganda, Verzweiflung, Konfusion

Schätzungen zufolge kostete der strategische Irrsinn bis zu 70.000 Menschen das Leben. Die Deutschen kämpften erbittert in der Nordeifel um einen Mythos, den die Demagogie mythisch auflud: der Wald als heiliger deutscher Hort. Jedoch mischte sich in die Triebfeder der Propaganda längst bittere Verzweiflung. Konfusion auf amerikanischer Seite: Als mit Beginn der Operation Queen US-Flieger das Städtchen Düren bombardieren, sterben innerhalb von 20 Minuten 3500 Zivilisten. Mehr als eine taktisch sinnlose Machtdemonstration ist das Unterfangen nicht. Die 1. und 9. US-Armee setzen die Offensive am 16. November 1944 fort, allein am 18. November verlieren sie dabei 6000 Mann.

In Geschichtsbüchern taucht die "Schlacht im Hürtgenwald" zunächst nur als Marginalie auf. In der Agitation der Deutschen blieb "der Wald als Verbündeter" eine Legende und ein seltsam ahistorisches Faszinosum, auf amerikanischer Seite grub sich das Trauma der Katastrophe (nach der verlustreichen Invasion in der Normandie wenige Monate zuvor) tief in das Bewusstsein, rührte an kaum verheilte Wunden und blockierte die Erinnerung. Allein in der zweiten Welle, der berühmt-berüchtigten "Allerseelenschlacht um Vossenack", sterben zwischen dem 2. und 10. November 1944 mehr als 15.000 amerikanische Soldaten.

Salinger und Hemingway: Zeugen der Bluttaufe

Im Ergebnis gerät die Schlacht im "Huertgen Forest" zu einer beklemmenden Parabel von der Sinnlosigkeit und Brutalität des Krieges, die zuletzt weit über den lokalen Schauplatz hinaus Beachtung finden sollte. Die "Allerseelenschlacht" wird zur schlimmsten Niederlage, die je eine amerikanische Division in Europa hinzunehmen hatte. Die Amerikaner zahlen einen höheren Blutzoll als im gesamten Vietnamkrieg. In der Offizierskaderschule Fort Leavenworth, USA, wird das Gemetzel bei Vossenack und Schmidt als amerikanisches Desaster gelehrt.

Vier US-Divisionen wurden im Todeswald nacheinander aufgerieben, unter anderem die Vierte, bei der der Schriftsteller Jerome D. Salinger ("Der Fänger im Roggen") diente. Salinger war für den Rest seines Lebens traumatisiert; auch Hemingway reiste (als trinkfester und unerschrockener Kriegsreporter) im Tross der U.S. Army mit - und wurde so Augenzeuge der "Bluttaufe" der späteren Supermacht in der winterlichen Nordeifel. Die jährt sich in diesen Tagen zum 75. Mal.

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