Der gescheiterte Abrüstungsgipfel in Paris, illegale Atomwaffentests der USA in Patagonien und Adolf Eichmann

Der linke argentinische Präsident Frondizi mit US-Präsident Eisenhower im Februar 1960. Bild: unbekannt, wahrscheinlich Weißes Haus.

Russisches Außenministerium gibt Dokumente frei - Neues vom Mai 1960 - Teil 1

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Vor zwei Jahren haben meine Anwältinnen aus Sankt Petersburg - Team 29 - beim russischen Außenministerium (MID) die Freigabe historischer Dokumente beantragt. Artikel 29 der russischen Verfassung garantiert eine offene und bürgernahe Verwaltung. Und - welch Überraschung - nach anderthalb Jahren habe ich tatsächlich Papiere erhalten!

Es geht um den Mai 1960, um den gescheiterten Abrüstungsgipfel in Paris, um illegale Atomwaffentests der USA in Patagonien und um Adolf Eichmann, den Nazi-Kriegsverbrecher, von dem der Mossad behauptet, ihn jahrelang gesucht und am 11. Mai 1960 in Buenos Aires entführt zu haben. In Wirklichkeit ist die Geschichte ganz anders verlaufen. Es war ein Gangsterstück der CIA, um den sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow zu erpressen (Krater für den Frieden: Wie der militärisch-industrielle Komplex die Abrüstung überlebte).

Chruschtschow war nach Stalins Tod (1953) Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei geworden und fünf Jahre später Regierungschef. Er war ein Reformer, wollte den Kalten Krieg und das Wettrüsten beenden, um die sowjetische Volkswirtschaft zu modernisieren. Dazu wollte er einen Schluss-Strich unter das Kapitel des Nationalsozialismus ziehen und einem neutralen Deutschland die Wiedervereinigung erlauben. Die tausende nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika geflüchteten Nazis sollten zurückkehren können, nur die mit Haftbefehl Gesuchten ihren Richtern zugeführt werden. Und das waren zwei: der KZ-Arzt Josef Mengele und Adolf Eichmann, beide wohnhaft in Buenos Aires.

Vor allem wollte er eine atomwaffenfreie Welt und hatte dies in den Vereinten Nationen verkündet. Sie sollte auf einem Abrüstungsgipfel der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in Paris am 16. Mai 1960 beschlossen werden, und der Kreml suchte für dieses gewaltige Vorhaben Unterstützer in aller Welt. Er fand sie nicht nur im Lager des realen Sozialismus, sondern auch in Argentinien.

Dort regierte seit 1958 Präsident Arturo Frondizi und seine linke UCRI. Frondizi hatte zuvor für die Internationale Rote Hilfe gearbeitet, sein Innenminister für die kommunistische Insurrexit. Frondizi war Anti-Faschist und störte sich an der Präsenz von tausenden Nazis, die General Juan Perón nach 1945 ins Land geholt hatte. Natürlich konnte er die Bitte Chruschtschows, die beiden gesuchten Nazis festzusetzen, nicht ablehnen. Der Kreml-Chef wollte ihre Verhaftung auf dem Pariser Abrüstungsgipfel feierlich bekannt geben. Das steht in einem Vermerk des Bundesnachrichtendienstes, den ich auf dem Gerichtsweg erhalten habe.

Mit Castro hatte sich Frondizi 1959, kurz nach der siegreichen Revolution zum Missfallen der USA getroffen. Bild: unbekannt

Seine Regierung wurde von den Militärs und den eigenen Geheimdiensten überwacht, die Telefone abgehört. Technische Hilfe kam aus Langley, denn die CIA arbeitete eng mit den südamerikanischen Streitkräften zusammen, und wie in Argentinien auch gegen die demokratisch gewählten Regierungen.

Frondizi wollte den Einfluss der US-Erdölgesellschaften zurückdrängen, die bei dem letzten Militärputsch (1955) eine aktive Rolle gespielt hatten. Er wollte selbst den Rohstoff fördern und mit den Erlösen die eigene Volkswirtschaft stärken. Dafür brauchte er technische und finanzielle Hilfe - und fand sie in der Sowjetunion. 1958 schickte er seinen engen Vertrauten, den UCRI-Abgeordneten José Liceaga, als Leiter der argentinischen Handelsdelegation nach Moskau und bekam einen 100-Millionen-Dollar Kredit für technische Unterstützung der argentinischen Erdölindustrie. Ein Jahr später stimmte der argentinische Vertreter auf der 14. Generalversammlung der Vereinten Nationen ausdrücklich für den sowjetischen Vorschlag einer atomwaffenfreien Welt. All dies sahen die US-Regierung und die mit ihnen verbündeten argentinischen Militärs mit großer Sorge.

US-Präsident Dwight D. Eisenhower wollte die Abrüstung um jeden Preis verhindern, konnte das aber nicht laut sagen. Eine weltweite Friedensbewegung, auch innerhalb der USA, war inzwischen entstanden, und die Bösen sollten die Kommunisten sein. Auch den Vorschlag eines neutralen und wiedervereinigten Deutschlands lehnten er und Bundeskanzler Konrad Adenauer strikt ab. In Washington war man der Überzeugung, auf nuklearem Gebiet gegenüber der Sowjetunion einen technologischen Vorsprung zu besitzen, die Errichtung der Waffenschmieden hatte Milliarden verschlungen. Und diese Machtposition sollte man plötzlich aufgeben? So kam der Militärisch-Industrielle Komplex auf die Idee, Atombomben künftig nur noch für zivile Zwecke einsetzen zu wollen, beim Kanalbau etwa. In den fünfziger Jahren entstanden das Programm "Atoms for Peace" und das "Project Plowshare".

Für diese - heute würde man sagen - Schnapsidee suchte Eisenhower Verbündete und fand sie bei den argentinischen Streitkräften. Diese verfügten dank der nach dem Zweiten Weltkrieg eingewanderten Nazis über mehrere atomare Forschungszentren und träumten, sehr zum Unmut Frondizis, von einer eigenen Atombombe. Die USA konnten wegen eines Moratoriums keine Atomtests auf ihrem Territorium durchführen und suchten nach einem Ort, wo man ihnen dies erlaubte. Es boten sich die argentinischen Militärs an, die vorschlugen, in Patagonien mit nuklearem Sprengmaterial eine Flussmündung frei zu bomben.

US-Provokationen

Die US-Administration wollte den Abrüstungsgipfel durch gezielte Provokationen zum Scheitern bringen. Zwei Wochen vor der Eröffnung, überflogen ihre Spionageflugzeuge sowjetisches Gebiet, so tief, dass es der russischen Luftabwehr unmöglich war, sie zu übersehen. Sie wurden abgeschossen, aber Chruschtschow behielt die Nerven, wollte den Gipfel dadurch nicht belasten, heißt es in einem CIA-Dokument.

Auszug aus dem Bericht des US-Sicherheitsrats. Quelle: National Library Eisenhower

Provokation Nummer zwei war das Entsenden von vier US-Atombombenträgern nach Argentinien. Sie trafen dort ausgerechnet am 16. Mai ein - also am selben Tag, an dem in Paris über die Abrüstung diskutiert werden sollte! Dem Kremlchef war bereits kurz zuvor der Kragen geplatzt. In Buenos Aires hatten zwar die Vertrauten Frondizis Eichmann festgenommen und versteckt, doch die dilettantische Operation war von den Sicherheitskräften aufgemischt und die Geisel samt Geiselnehmern in Gewahrsam genommen worden - mehr dazu im dritten Teil dieser Serie "Onkel Arturo und der Mossad".

In den Augen der Militärs hatten sich Frondizi strafbar gemacht, als er ausländische Beamte (aus Israel) ohne Genehmigung des Parlaments ins Land geholt und ohne die zuständige Polizei jemanden in Geiselhaft genommen hatte.

Spies into custody

Für die CIA war das, unmittelbar vor der Eröffnung des Pariser Abrüstungsgipfels, ein gefundenes Fressen. CIA-Chef Allan Dulles hatte bereits am 11. Mai, also dem Tag der Eichmann-Entführung, den Obersten Sicherheitsberater Eisenhowers Gordan Grey über das Geschehen informiert. Diese Mitteilung liegt in der Eisenhower Presidential Library, Kansas, sie ist bis heute geheim. Die CIA tat das, was sie bereits ein Jahr zuvor getan hatte, als sie, während Chruschtschow vor den Vereinten Nationen für eine atomwaffenfreie Welt warb, zwei russische Agenten gefangen genommen hatte. Das geht aus dem Protokoll des Nationalen Sicherheitsrates hervor, der ebenfalls in Kansas liegt: "the U.S. had taken two soviet spies into custody."

Sie gab Chruschtschow noch vor der Eröffnung des Pariser Gipfels zu verstehen, dass sein Plan gründlich gescheitert war und dass sich seine Verbündeten - die Frondizi-Regierung und die Israelis - strafbar gemacht hatten. Ihr Schicksal hinge jetzt von ihm ab. Man legte ihm nahe, auf seinen Vorschlag einer atomwaffenfreien Welt und die Wiedervereinigung eines neutralen Deutschlands zu verzichten. Und so geschah es. Chruschtschow ließ sich erpressen, das Gipfeltreffen in Paris ging - wie von der Eisenhower-Administration gewünscht - ohne Ergebnis zu Ende.

Vom russischen Außenministerium freigegebenes Dokument

Nach den vom russischen Außenministerium auf meinen Antrag freigegebenen Dokumenten tauchte am 16. Mai, vier Tage nach der Entführung, um 10.30 Uhr, Marisa Liceaga in der sowjetischen Botschaft in Buenos Aires auf, die Ehefrau von José Liceaga, der zwei Jahre zuvor mit der Sowjetunion den Millionen-Kredit ausgehandelt hatte. Unangemeldet, "auf ihre Bitte hin", heißt es in dem Dokument. Frondizi bitte den Genossen Kossygin so bald wie möglich zu einem Gespräch, auch Innenminister Frigerio werde dabei sein. Am 19. Mai fand ein weiteres geheimes Gespräche der russischen Diplomaten mit dem Bürgermeister von Buenos Aires, Hernán Giralt, statt, ebenfalls UCRI-Mitglied. Alexei Kossygin, stellvertretender sowjetischer Ministerpräsident, flog ein und beratschlagte das weitere Vorgehen bei einem Abendessen mit Frondizi und Frigerio. Diese Gesprächsprotokolle sind noch nicht freigegeben.

Das russische Verteidigungsministerium behauptet, über den Pariser Abrüstungsgipfel kein einziges Blatt zu besitzen. Meine Anwältinnen vom Team 29 haben jetzt vom russischen Außenministerium die Freigabe der restlichen Dokumente beantragt. Ich habe Außenminister Sergei Lawrow gebeten, die Entscheidung über die Desklassifizierung selbst zu treffen und nicht seinen Bürokraten zu überlassen, die im Zweifelsfall immer für Geheimhaltung sind.