Instrumentalisierung der Menschenrechte

Der Handelskrieg wird begleitet von einer massiven Propaganda gegen China. Welche Rolle spielen die Uiguren? - Teil 1

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Ob "China Cables", Massenüberwachung, oder Unterdrückung, die Berichterstattung sämtlicher Medienhäuser über die Lage der Uiguren ist ungezügelt alarmistisch. Konzentrationslager, Organraub, Gehirnwäsche, Gulag oder Säuberung sind typische Schlagworte einer "Atrocity"-Kampagne, derer sich eine Presselandschaft bedient, die sich offensichtlich nicht um Zurückhaltung bemühen muss, wenn es um China geht.

Dabei kommt keine Meldung ohne die Zahl von einer Million internierter Uiguren aus, um der angeblich größten Story der letzten Zeit über Menschenrechtsverletzungen den Schein des Faktischen zu geben. Sieht man sich die Quellen genauer an, kommen Zweifel an einer Berichterstattung, die unter dem Deckmantel der Sorge um Menschenrechte der amerikanischen Propaganda gegen China in die Karten spielt. Sie führt zu Sanktionen, die in Zukunft auch die europäische - und allen voran die deutsche - Wirtschaft treffen sollen.

Den Beginn der Kampagne markierte die Nachrichtenagentur Reuters im August 2018. Sie kolportierte unter der Schlagzeile "Die UNO sagt, dass sie glaubwürdige Berichte hat, dass China Millionen von Uiguren in geheimen Lagern hält" jene Zahl, die schnell um die Welt ging. Reuters berief sich auf eine Aussage von Gay McDougall, die am 10. August während der Sitzung eines UN-Komitees zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung in Genf die Zahl nannte.

McDougall, ein Mitglied der Open Society, die sich für LGBTQ-Rechte einsetzt und selbst keine China-Expertin ist, habe sich während der Anhörung der chinesischen Delegation zutiefst besorgt geäußert über "glaubwürdige Berichte", die die Massenverhaftungen von etwa einer Million Uiguren in sogenannten Anti-Extremismus-Zentren und weiteren zwei Millionen in Umerziehungslagern für politische und kulturelle Indoktrination eingewiesenen Uiguren behaupten. McDougall lieferte jedoch keine Quellen für die "glaubwürdigen Berichte".

Zwei Wochen später stellte Ben Norton von The Grayzone fest: Es hat also lediglich ein amerikanisches Mitglied eines Gremiums, das sogar von der UN unabhängig behauptet, dass in China eine Million Muslime interniert sein sollen, und nicht einmal Quellen angegeben. Und, daraus spinnt Reuters eine Story, die den Eindruck erweckt, die Vereinten Nationen würden nun offiziell über die Verhaftung von einer Million Uiguren berichten. Doch die Weltpresse hatte schon längst den Spin vervielfältigt, ohne Zweifel an der Legitimität der Zahlen.

Woher hat McDougall die Zahl?

Für die Zahl gibt es mehrere mögliche Quellen. Alle entstammen aus der amerikanischen Anti-China-Lobby, die mittels NGOs die Menschenrechte instrumentalisiert, um gegen China Stimmung zu machen. Da China selbst keine offiziellen Zahlen zu den vermeintlichen Insassen in Internierungslagern bekannt macht, gibt es viel Spielraum für Spekulationen, Schätzungen und Extrapolationen.

Eine Woche vor jener Sitzung in Genf hatte zum Beispiel China Human Rights Defenders (CHRD) einen Bericht veröffentlicht, auf den sich McDougall vermutlich berufen hat. CHRD rechnet die Gesamtzahl der verhafteten Uiguren auf eine Million hoch. Als Grundlage nimmt CHRD Aussagen von insgesamt acht Uiguren aus acht Dörfern. Im Bericht heißt es:

"In der folgenden Tabelle sind die Daten aufgeführt, die wir anhand von Interviews mit acht ethnischen Uiguren zusammengestellt haben. Ihre Familien leben in acht verschiedenen Dörfern in Landkreisen in der Präfektur Kashgar. Nach Angaben der Befragten hat jedes Dorf eine Bevölkerung zwischen ungefähr 1.500 und 3.000 Einwohnern und die Anzahl der Personen, die in Umerziehungslagern in jedem Dorf inhaftiert wurden, lag zwischen Mitte 2017 und Mitte 2018 zwischen ungefähr 200 und 500."

"Basierend auf der Stichprobe von Interviews in Dörfern in der Präfektur Kashgar haben wir konservativ geschätzt, dass mindestens 10% der Dorfbewohner in Umerziehungslagern inhaftiert sind und 20% gezwungen sind, Tag- / Abend-Umerziehungslager in den Dörfern oder Gemeinden zu besuchen, insgesamt 30% in beiden Arten von Lagern."

"Anhand der Schätzung von 10% der in Umerziehungslagern inhaftierten Einwohner der acht Dörfer als Leitfaden schätzen wir, dass ungefähr 240.000 Landbewohner in Umerziehungslagern in der Präfektur Kashgar und 660.000 im größeren südlichen Xinjiang inhaftiert sein könnten. Unter Zugrundelegung der Schätzung von 20% der Dorfbewohner, die gezwungen sind, Tag- und Abend-Umerziehungsstunden zu besuchen, schätzen wir, dass möglicherweise 480.000 Landbewohner in der Präfektur Kashgar und 1,3 Millionen in der Subregion Süd-Xinjiang gezwungen wurden, an den Umerziehungsstunden in Tag- und Abend-Sitzungen bis Mitte 2018 teilzunehmen."

Vom NED finanzierte NGOs

Wie The Grayzone herausfand, ist CHRD ein in den Büros der Human Rights Watch in Washington untergebrachte Organisation, das vom National Endowment for Democracy (NED), einem oft mit Regime-Changes in Verbindung gebrachtes Think Tank, gesponsert wird. CHRD steht in der Kritik die nötigen Berichte für Anti-China-Kampagnen zu liefern.

Eine andere Quelle ist Radio Free Asia, eine Nachrichtenagentur, die von der CIA während des Kalten Krieges gegründet wurde, und ebenfalls Anti-China-Propaganda verbreitet. Radio Free Asia wird von der US-Regierung finanziert, nicht viel hat sich geändert, seit die New York Times die Organisation ein von der CIA gegründetes weltweites Propaganda-Netzwerk nannte. RFA vermeldete bereits Anfang 2018, dass 120.000 Uiguren in Umerziehungslagern sitzen würden. Dabei stützte sie sich auf Aussagen und "geleakte" Dokumente eines anonymen Wachpersonals einer Gemeinde von Kashgar.

Diese Zahl übernahm wiederum ein gewisser Adrian Zenz, ein Sozialwissenschaftler an der Akademie für Weltmission, einer christlichen Bildungseinrichtung bei Stuttgart. Er ist hierzulande, wie international, zum China-Experten aufgestiegen, seit er für das von der CIA gegründete, neo-konservative Think Tank The Jamestown Foundation Analysen zu China schreibt. Seiner Schätzung zufolge sollen 1200 Einrichtungen mit jeweils 250 bis 880 uigurischen und kasachischen Häftlingen existieren. Zusammenfassend vermutet er in einer vielzitierten Analyse: "Obwohl es keine Gewissheit gibt, darf berechtigterweise spekuliert werden, dass sich die Gesamtzahl an Häftlingen irgendwo zwischen mehreren Hunderttausend und etwas über eine Million bewegen dürfte." Peking scheine fest entschlossen "eine Endlösung für die Uiguren-Frage" zu verfolgen, so der oft zitierte Experte.

Zenz, RFA, CHRD, sie alle dienen als glaubwürdige, unabhängige oder wissenschaftliche Quellen der jüngsten Anti-China-Kampagne der USA. Diese wurde schließlich wasserdicht durch die von der New York Times lancierten "China Cables", eine Reihe von "geleakten" Dokumenten, die dem ICIJ zugespielt wurden. Die ursprüngliche Quelle soll eine Person in Xinjiang sein, deren Identität dem ICIJ nach eigenen Angaben nicht bekannt ist. Die SZ schreibt: "Auch der China-Experte Adrian Zenz, dem die Dokumente unabhängig vom ICIJ zugespielt worden sind, hält sie nach eingehender Untersuchung für echt."

Auch die SZ veröffentlicht die "China Cables" und fragt: "Anfang 2018 veröffentlicht Radio Free Asia schließlich eine Zahl, die aufschrecken lässt: Allein in der Präfektur Kashgar im Westen Xinjiangs seien 120 000 Uiguren interniert. Hochgerechnet auf die gesamte Autonome Region Xinjiang, tief im Nordwesten Chinas, müssten demnach Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Uiguren seit 2017 in Lagern verschwunden sein, ohne dass die Welt davon groß Kenntnis erlangt hätte. Wie kann das sein?"

Während Nachrichtenagenturen und Medienhäuser im Wettbewerb um reißerische Schlagzeilen unhinterfragt Zahlen und Quellen übernehmen, haben die Vereinigten Staaten nun abermals Menschenrechte instrumentalisiert, um Sanktionen im eigenen Interesse auszusprechen. Anfang Dezember wurde das Uyghur Human Rights Policy Act of 2019 nahezu einstimmig verabschiedet. Das Gesetz wäre ohne die massive Kampagne, die von der Anti-China-Lobby selbst lanciert wurde, nicht möglich gewesen. Nun muss Präsident Trump das Gesetz unterschreiben. Das Wohl der Uiguren, zu denen er sich bisher nicht ein einziges Mal geäußert hat, wird ihn kaum interessieren.

Stattdessen hat er Chinas Schwächung im Sinn. Diese Woche forderte Trump von der Weltbank, Kreditvergaben an China endlich zu stoppen. Während die Welt auf Chinas Uiguren blickt, führen die USA den Handelskrieg ungezügelt weiter.

Gestern wurde eine Teileinigung erzielt. Die für Sonntag geplante Zollerhöhung kommt erst einmal nicht, dafür will China vor allem Energie und landwirtschaftliche Produkte kaufen.