Der Klima-Krieg

Feuer in den Northwest Territories Kanadas. Bild: NASA/Peter Griffith

Nach Paris-Austritt und Nord Stream2 formiert sich der nächste Angriff aus Trumps USA, die Kriegserklärung gegen den Klimaschutz

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Welch ein Zusammentreffen: Die Stadt München ruft den Klima-Notstand aus, dem Beispiel vieler anderer Städte folgend, und zeitgleich veröffentlicht Spiegel-Online einen Beitrag unter dem Titel "Die Zerstörer aus Übersee". Beides klingt nach Krieg, nach Angriff und Verteidigung. Und tatsächlich wird mit dem Spiegel-Beitrag klar: Die unersättliche Gier des amerikanischen Neoliberalismus, der Gewinne zum Goldenen Kalb erklärt hat und jeden staatlichen Einfluss ablehnt, hat Europa den Krieg erklärt, den Klimakrieg.

Es ist ein Angriff auf unsere Meinungsfreiheit, ein Versuch der Manipulation und ein Krieg gegen die Handlungsfähigkeit der Politik. Und das seit langem. Dieser Krieg begann, nachdem sich 1992 auf der UN-Konferenz in Rio alle 145 teilnehmenden Staaten auf enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Klimawandels einigten. Rasch erkannten die Ölkonzerne, dass dies gegen ihr Geschäft mit Öl und Gas gerichtet ist und dass die Weltgemeinschaft sich gegen sie zu verschwören beginnt.

Die Konzernlenker wussten von ihren Wissenschaftlern, dass der Klimawandel eine Riesengefahr für die Bewohnbarkeit unseres Planeten ist. Die Vorstände aber sahen darin nur eine Bedrohung ihrer Geschäfte. Sie begannen einen Lobby-Krieg gegen diese Prognosen mit dem Ziel, allen Politikern Angst zu machen vor großen Wirtschaftskrisen durch den Wegfall der preisgünstigen fossilen Energie und die Glaubhaftigkeit der wissenschaftlichen Aussagen zu erschüttern.

Die Verbände der Erdölindustrie organisierten zuerst den Widerstand. Dann gründeten Exxon und Shell dazu die Lobby-Organisation "Global Climate Coalition", warben weitere Firmen an und statteten alles mit viel Geld aus. Der Krieg gegen die Wissenschaft begann 1992, als der CO2-Ausstoß der Welt bei weniger als der Hälfte von heute lag und erst wenige Klimaveränderungen zu beobachten waren.

Schon damals haben Wissenschaftsjournalisten die Vorgänge warnend beschrieben, am detailliertesten Ross Gelbspan, im Deutschen 1997 erschienen als "Der Klima-Gau". Eindringlich beschreibt er die Verflechtungen von Erdöl, Macht und Politik. Auf erste große Veränderungen aufmerksam gemacht, besuchte er die großen Schelfeisgebiete und berichtet von seinen Tränen, als er die ersten riesigen Abbrüche von der Größe Deutschlands sah, die nach Süden schwimmend für immer auftauten. Die Folgen sind gravierend: Im Laufe von einigen 100 Jahren wird der Meeresspiegel um mindestens 3 m steigen. Der Vorgang gilt heute als irreversibel - und er hat sich beschleunigt. Man hätte es vermeiden können.

Es war Krieg - und keiner ging hin

Ausgelöst durch die Aktionen der Erdölindustrie, hatte ein Lobbying weltweit begonnen, immer ansetzend bei den obersten Ebenen der Politik gegen die Prognosen der Wissenschaft - zunächst nur im Stillen, ohne Medien. Kaum eine Hand hob sich deshalb zur Gegenwehr gegen diese Desinformationskampagnen und so war die Lobby-Arbeit erfolgreich, sehr erfolgreich. 1997 war die Klimakonferenz im japanischen Kyoto bereits geprägt davon: Nichtssagende Protokolle und keinerlei internationale Bereitschaft mehr zu Verpflichtungen. Es war der erste Sieg in einem Meinungskrieg, den in Europa noch kaum jemand wahrnahm.

Das nächste Schlachtfeld dieser "Global Climate Coalition" war der Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft zwischen dem Klima-Aktivisten Al Gore und George W. Bush, dem Kandidaten aus dem Ölland Texas. Al Gore bezeichnete die Koalition als kriminell, aber das verhinderte nicht, dass sie in vielen Talkshows, in Pressespots und nun auch in den Medien allgegenwärtig war. Meist nicht sichtbar, sondern durch Wissenschaftler-Exoten, die vom allgemeinen wissenschaftlichen Trend abwichen, und durch Journalisten, die die Kontroversen für interessant hielten. Es war ein mit teuren Waffen geführter Medienkrieg. Als solcher erkannt wurde er aber kaum und eher als eine in einem freiheitlichen Staat übliche Meinungsdebatte angesehen.

Immerhin, einige der Klimaschutz-Gruppen der USA hielten dagegen, drohten mit Boykottaufrufen und erreichten schließlich die Beendigung dieser Koalition, ein scheinbarer Sieg in diesem Krieg um die Meinungshoheit zum Klimawandel. Denn beendet war der Kampf nicht. Die Anti-Klima-Koalition, genauer gesagt, die Ölkonzerne nahmen sich die Methoden der Tabakindustrie als Beispiel und organisierten nun im Untergrund ihren Widerstand: Sie vermieden Sichtbarkeit und gründeten Stiftungen, heuerten weitere fragwürdige Wissenschaftler an und fanden weitere Journalisten, die sich für die Erzeugung und Verbreitung von Zweifeln hergaben. Zuletzt gut beschrieben im neuen Buch "Die taumelnde Welt. Wofür wir im 21. Jahrhundert kämpfen müssen" des Umwelt-Aktivisten Bill McKIbben und durchaus mit Tiefgang in einem Beitrag zur Leugnung der menschgemachten Erderwärmung bei Wikipedia.

Entschlossene Maßnahmen gegen den Klimawandel erstickten so damals im Keim. Weder die Politik noch die öffentliche Meinung wollten sich in diesem unklaren Argumentationsfeld wirklich festlegen. Der Kampf gegen den Klimawandel unterblieb, er war gewandelt in einen Kampf der Meinungen. "Sicher ist," schreibt McKibben, "dass uns diese Desinformationskampagne jene Menschengeneration gekostet hat, die den entscheidenden Unterschied im Klimakampf hätte ausmachen können." Eine "räuberische Verzögerung" nennt es der Umwelt-Autor Alex Steffen.

Heute vor Gericht

Heute, zwanzig Jahre später, sind die Wirkungen des Klimawandels in vielen Teilen der Welt deutlich sichtbar und nun gibt es ein böses Erwachen. Gerade die USA sind durch riesige Waldbrände, Wirbelstürme, mehr Trockenheit und den beginnenden Meeresanstieg betroffen. Trotz eines uneinsichtigen Präsidenten handeln nun viele Bundesstaaten und auch Teile der Industrie und man beginnt sich zu besinnen, warum solange nichts geschah. Man erinnert sich - und die Firmen der damaligen Koalition kommen vor Untersuchungsausschüsse und vor Gericht - wegen Falschinformation der Öffentlichkeit. Die Waffen des Rechtsstaats holen zum Gegenschlag aus.

Im gerade erschienenen letzten Newsletter von Exxonknew fasste man zusammen, "Time to wrap up..." und zählte die großen juristischen Ereignisse des ablaufenden Jahres auf. Es ist eine lange Liste von Verfahren gegen Exxon und ihre damaligen Partner. Für die amerikanischen Gerichte dürfte dabei die Anhörung vor einem Kongress-Ausschuss eine besondere Unterstützung sein. Denn zwei der damaligen Wissenschaftler von Exxon zeigten, wie präzise sie damals (ca. 1986) den verheerenden Einfluss der fossilen Energien vorhergesagt hatten. "Wir waren exzellente Wissenschaftler." Und einer fügte hinzu, wie die Unternehmensleitung "diese Ergebnisse bewusst als zweifelhaft anprangern ließ".

Gerade hat ein Gericht in New York Exxon in einer Anklage wegen Falschinformation der Aktionäre freigesprochen. Aber ein Erfolg für Exxon ist das nicht. Denn das Gericht stellt klar, dass es nur über die Falschinformation von Aktionären und nicht über die Falschinformation der Öffentlichkeit zu urteilen hatte. Und dazu hat der anklagende Staatsanwalt reichlich gesammelt, reichlich Material für die zahlreichen Klagen von Bundesstaaten und von großen Städten und Naturschutzorganisationen.

So hat beispielsweise die Hauptstadt von Hawaii, Honolulu, die beteiligten Erdölfirmen verklagt zur Übernahme der Kosten des klimabedingten Meeresspiegelanstiegs und der immer heftiger werdenden Stürme. Eingeklagt ist eine Schadenssumme von 19 Milliarden US-Dollar. Die Schätzung für die Gesamtkosten an den amerikanischen Küsten beläuft sich aktuell auf 400 Milliarden! Der Kampf des Rechts gegen die Gier der großen Konzerne hat also in den USA begonnen. Die Regierung Trump allerdings verhindert nach wie vor viele Maßnahmen zur Minderung der klimaschädlichen Emissionen. Sie verdankt ihren Sieg ganz wesentlich diesen starken neoliberalen Kräften.

Europa wird wichtig

In dieser Konstellation wird es für diese Gruppen wichtig, dass Europa nicht zum Vorreiter wird und ein Beispiel dafür gibt, wie politische Maßnahmen zum Klimaschutz aussehen können. Nimmt man den Spiegel-Bericht, dann wollen die amerikanischen Klimaleugner-Organisationen ihren Einfluss in Europa erheblich steigern und jeden Konsens schon frühzeitig weitest möglich zerstören. Die Organisationen der Klimaskeptiker und Klimaräuber waren deshalb auf dem Weltkongress in Madrid, und sie sind nun in allen europäischen Ländern unterwegs. Angewandt werden wohl die gleichen Methoden wie vorher in den USA. Widersprechen, Zweifel sähen, Vorträge halten, Kommentare schreiben, Journalisten gewinnen oder bedrohen wie auch NGOs. Mehrfach bereits wurden ich und Organisationen, in denen ich aktiv bin, mit juristischen Schritten bedroht, wenn wir den Klimawandel als bewiesen darstellten.

Solche Tendenzen führen zur Frage, welche Waffen wir als Abwehr gegen Desinformations-Kampagnen haben und ob die Ausrufung des Notstands in manchen Städten reicht. Und wie der Rechtsstaat gegen solche Trends gestärkt werden kann.

Klimaschutz ins Grundgesetz

Heute ist der Klimawandel ein wissenschaftliches Faktum und im Abkommen von Paris völkerrechtlich anerkannt als eine grundlegende Gefahr für das Überleben unserer Zivilisation. Von daher liegt es nahe, den Klimaschutz genauso wie den Naturschutz mit in das Grundgesetz aufzunehmen. Denn damit fällt organisierte Hetze gegen den Klimaschutz in die gleiche Kategorie wie die organisierte Bedrohung von rechts. Die Grenze zwischen Desinformation und Volksverhetzung verschiebt sich, ermöglicht Verbote und stärkt die Waffen des Rechtsstaats.

Im Grundgesetz verankert, wird jede klimafeindliche Subvention ungesetzlich, jedes Gesetzesvorhaben auch unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen sein und die Festlegung der Politik auf konsequenten Klimaschutz eindeutig. Es passt zusammen, dass die neue SPD-Spitze fordert, den Schutz der Kinderrechte in das Grundgesetz aufzunehmen. Wer über Kinderrechte nachdenkt, wird auch deren Recht auf zukünftige humane Lebensbedingungen akzeptieren.

Darüber herrscht Krieg. Es ist ein Kampf um Werte und Generationenverantwortung. Es geht dabei um unsere Köpfe, um politisches Handeln und um unsere politische Gestaltungsfreiheit. Wir wurden in eine erdgeschichtliche Periode mit ausgeglichenen klimatischen Bedingungen hineingeboren. Dieses Glück begründete die Stärke unserer Zivilisation, aber es berechtigt nicht, die heutigen Risiken für den Fortbestand dieser günstigen Bedingungen zu missachten. Risiken vorzubeugen, war immer eine Eigenschaft einer starken Zivilisation. Ohne diese Eigenschaft geht sie unter.

Dr. Peter H. Grassmann studierte Physik in München, promovierte dort bei Werner Heisenberg und ging ans MIT. Bei Siemens baute er die heute milliardenschwere Sparte der Bildgebenden Systeme auf. Als Vorsitzender von Carl Zeiss (bis 2001) sanierte er das Stiftungsunternehmen in Jena zusammen mit Lothar Späth. Er ist Kritiker einer radikalen Marktwirtschaft und fordert mehr Fairness und Nachhaltigkeit. Grassmann erhielt zahlreiche Auszeichnungen und engagiert sich bei der Münchner Umwelt-Akademie, bei "Mehr Demokratie e.V.", der Carl-Friedrich-von-Weizsäcker-Gesellschaft und dem Senat der Wirtschaft.

Von Peter Grassmann ist im Westend Verlag das Buch erschienen: "Zähmt die Wirtschaft! Ohne bürgerliche Einmischung werden wir die Gier nicht stoppen".

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