Irre, die AfD hat auch einen Think Tank …

Desiderius Erasmus grüßt vom Rand des Mittelalters

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Deutsch denken: Wie geht das? Die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) zeigt es, dokumentiert ihre Angebote auf eigener Website oder bei YouTube. Praktischer Weise hat die AfD, die früher die Finanzierungstricks der "Kartellparteien" aufs Schärfste verurteilte, 2018 selber eine Stiftung gegründet - parteinah, wie sich‘s gehört, und demnächst wohl mit zig Millionen aus der Staatskasse versorgt. Sie bündelt die rechte Intelligenz und demonstriert, woher deren Gedanken kommen, wie sie in Hochglanz aussehen und worauf sie hinaus wollen.

Die AfD-Bundestagsfraktion hat in ihren Reihen sogar einen Philosophen, den Sloterdijk-Schüler Marc Jongen, der im Eröffnungsband der DES-Schriftenreihe richtiggehenden Tiefsinn - Platon inklusive - zu bieten hat. "Nachdenken für Deutschland", herausgegeben von der Stiftungs-Vorsitzenden Erika Steinbach und dem Fonds-Manager Max Otte, versammelt zwei Dutzend "renommierte" Experten, die sich "Gedanken über die Zukunft machen" und denen MdB-Jongen sein Schlusswort "Deutschland verflüchtigt sich" hinterherschickt.

Das, was hierzulande droht, ist demnach der Volkstod, herbeigeführt durch Merkels "Deutschlandabschaffungskurs", unterstützt durch die kulturelle Hegemonie der 68er - eine Sorge, die Jongen mit einem Breitbart oder Breivik, einem Sarrazin oder Höcke verbindet, wie sie sich genauso im Feindbild des Cultural Marxism einig sind. Was dagegen not tut, ist der volle Einsatz für Deutschland, damit wir eine "Überlebenschance als Staat und Kultur haben".

So weit, so schlicht und deutsch. Warum aber Erasmus von Rotterdam? Warum dieser alte Gelehrte, der als vorbildlicher Opportunist in den Wirren der Reformationsära agierte, weder Juden noch Muslime leiden konnte, stattdessen von einem friedfertigen Europa phantasierte.

Fürs christliche Abendland!

Die Partei bekennt sich mit der Wahl ihres Stiftungspatrons zum christlichen Abendland - eine Bezugnahme auf "unser Europa", die nichts Neues ist. Vor 50 Jahren wies Adorno in einem seiner letzten Vorträge darauf hin, dass der Neofaschismus der BRD sein Etikett "Neo" allenfalls deswegen verdiene, weil er versuche, "die europäische Integration zu usurpieren, etwa von einer 'Nation Europa' zu reden". Das geeinte Europa hat heute propagandistisch eben die doppelte Funktion: als Feindbild für die Unterdrückung der nationalen Identität seiner Völker zu dienen und zugleich als Bollwerk gegen die anstürmenden, mit abendländischen Werten ganz unvertrauten Massen geschätzt zu werden.

DES-Vorstandsmitglied Konrad Adam erläutert die Wahl: "Für Erasmus sprach vor allem, dass er uns als der erste Repräsentant eines kulturell, nicht bloß wirtschaftlich definierten Europas erschien." Es geht darum, eine kulturelle Identität zu fingieren und sie gegen Eindringlinge, die "unser" Europa überfremden, in Stellung zu bringen. Erasmus taugt also vor allem dazu, das Feindbild vom Islamfaschismus mit Tiefgang zu versehen.

Katholische Theologen wie David Berger oder Wolfgang Ockenfels reichen diesem Stiftungsanliegen gern die Hand. Ersterer vermisst in seiner heutigen Kirche die klare Kreuzritter-Position, da "selbst der derzeitige Papst - so scheint es mir jedenfalls - kryptogam-mental längst zum Islam konvertiert" sei. Kollege Ockenfels von der katholischen Soziallehre frischt noch einmal das Marx-Feindbild auf, da der alte Rheinländer, Prototyp des zersetzenden jüdischen Intellektuellen, seine "utopische Ideologie" als billigen Religionsersatz entworfen habe, was "bis heute zu Christen- und Kirchenverfolgungen" stimuliere.

Und wer verfolgt heute Christen, aber auch Juden? Klarstellungen boten sich beim diesjährigen Auschwitz-Gedenken an, das vom Bundespräsidenten mit seinem Auftritt in Yad Vashem gleich auf die richtige Schiene gesetzt wurde: Es gilt, "das Böse" zu bekämpfen, das in uns allen steckt. Da konnte sich auch die AfD am pflichtgemäßen Gedenken beteiligen, fiel gar nicht groß mit "Schuldkult"-Vorwürfen auf, erinnerte sogar in einem Statement daran, dass der Massenmord "durch die Nationalsozialisten begangen" wurde (AfD-kompakt, 27.1.20), während Steinmeier stets von "den Deutschen" sprach.

Korrekt von der AfD! Schließlich hatten Deutsche wie Walter Ulbricht oder Erich Honecker keinen Anteil an diesem "Bösen".

Gegen Islam-Appeasement!

Wenn man - wie der Bundespräsident - den Kampf gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus als Ringen mit dem Bösen mystifiziert, also daraus ein ewig-strebendes Bemühen macht, können sich dem Rechtspopulisten oder -radikale anschließen. Denn eins wissen die Islamkritiker aus dem rechten Lager: Wo zwei oder drei Orientalen im Namen Allahs versammelt sind, da ist das Böse mitten unter ihnen. Und so hat die AfD zum Auschwitz-Gedenktag gleich unbedingte Israel-Solidarität heraushängen lassen und die Bundesregierung aufgefordert, "die Appeasement-Politik gegenüber dem Iran zu ändern" (AfD-kompakt, 27.1.20), also einen Kriegskurs einzuschlagen. Merke: Die AfD ist die wahre Antisemitismus-Bekämpferin.

Bei dieser Parteinahme für die christlich-abendländische Kultur kann man natürlich allerlei (geistes-)geschichtliche Bezüge herstellen. Und DES betreibt das als Renovierung der politischen Kultur. Umgekehrt lassen sich in kritischer Absicht viele Parallelen auffinden. Die Münchner Zeitschrift für Philosophie "Widerspruch", die ihr aktuelles Heft (Nr. 68) dem Thema "Die Neue Rechte" widmete, geht solchen Herleitungen aus faschistischen oder konservativen Traditionsbeständen nach.

Wenn man sich etwa die Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD ansieht, stößt man, wie Helmut Kellershohn nachweist, auf zahlreiche Parallelen zur "national-sozialen Programmatik in der Tradition des Weimarer TAT-Kreises oder der Idee einer europäischen Internationale der Faschisten". Beliebt sind Anleihen bei der "Konservativen Revolution", bei Autoren wie Ernst Jünger oder Oswald Spengler, die sich - durch frühen Tod oder missglückte Karriereplanungen - nicht maßgeblich an der NS-Herrschaft beteiligen konnten.

In der Tat, man kann solche Verbindungslinien ziehen, bei der Diskussion um die Wirtschaftsordnung könnte man etwa noch an das klerikalfaschistische Erbe erinnern. Pater Ockenfels greift z.B. ganz unbefangen auf Papst Pius XI. zurück, der selbst von katholischen Kirchenhistorikern mittlerweile als faschistischer Kollaborateur und Kumpel Mussolinis eingestuft wird (vgl. die deutsche Ausgabe von David Kertzers Studie "Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus" mit dem Vorwort des deutschen Theologen Hubert Wolf).

Pius zog 1931, wie Ockenfels lobend hervorhebt, in "Quadragesimo anno" gegen den "Imperialismus des internationalen Finanzkapitals" vom Leder und entwarf interessante Ideen für einen "geordneten Markt". Dazu gehörte der Ständestaat, eine alte Vorliebe der Päpste im heraufziehenden Kapitalismus und ein Gegenprogramm zur republikanischen Idee, das dann erstmals im österreichischen Dollfuß-Regime realisiert wurde: Auch so ein Vorläufer, der nicht direkt nationalsozialistisch diskreditiert ist und sich zum Anknüpfen eignet!

Allerdings stellt sich gleich eine Frage, wie das "Widerspruch"-Heft vermerkt: Wenn heutzutage Ausländerfeinde aufmarschieren, wenn Nationalisten die AfD oder NPD wählen, ist dann davon auszugehen, dass sie von einem reaktionären Philosophen wie Heidegger inspiriert sind, gar etwas von ihm gelesen haben? Wohl kaum, ist die Antwort, sie werden nicht einmal den Namen kennen.

Der Rechtstrend als politische Bewegung erhält zwar im Maße seiner Ausbreitung einen ideologischen Überbau, in dem solche Bezüge Thema sind. Wie Freerk Huisken im "Widerspruch"-Heft schreibt, hält sich aber der "Rechtspopulismus", der sich mit erfolgreichen Parteien wie FPÖ, RN oder AfD präsentiert, ans demokratische Procedere. Er verspricht sich eine Transformation der jeweiligen völkischen Gesinnung in eine Mehrheit der Wahlstimmen und so eine Abrechnung mit den "Volksverrätern" an der Macht.

Im demokratisch verwalteten Kapitalismus, der das Volk zur nationalen Verfügungsmasse einer zunehmend härteren Staatenkonkurrenz macht, nistet demnach von vornherein die Frontstellung gegen andere Nationen, die im Fall des Falles durch radikalere Varianten abgerufen wird. Wenn sich Menschen in erster Linie und im Sinne einer Naturtatsache als Mitglieder eines "Populus" definieren und ihr Heil in den Händen einer starken Macht sehen, die nicht dem "Globalismus" huldigt, sondern ihrer nationalen Identität, dann ist damit die Bereitschaft gegeben, eine feindselige Stellung gegenüber dem Ausland und den Ausländern einzunehmen und notfalls auszutragen.

Im heutigen Nationalstaat - und nicht in einer fatalen Mentalitätsgeschichte - findet man somit den Grund für den sich ausbreitenden Rechtstrend. Huiskens Fazit: "Kritik des rechten bzw. rechtsradikalen Denkens kommt letztlich nicht aus ohne den Nachweis, dass jede Variante von Nationalismus - sei sie demokratisch oder völkisch - von der die Nationalstaaten bestimmenden Scheidung zwischen In- und Ausländern lebt. Ihren einzigen Grund hat diese Scheidung in der begrenzten territorialen Reichweite der Staatsgewalt. Das signalisieren bewaffnete Grenzen ebenso wie der in Europa auch innerhalb der Demokraten permanent geführte Streit über die Grenzen der Preisgabe nationaler Souveränität."

Johannes Schillo hat 2019 "Die AfD und ihre alternative Nationalerziehung" (Ulm, Edition Pyrrhus) veröffentlicht. Nachweise für obigen Artikel hier.

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