Offener Brief an die ortsansässige Agrargenossenschaft

Postwurfschreiben mit Blumensamen. Foto: Christopher Stark

Als Reaktion auf politische Diskussionen über Landwirtschaft sieht sich eine konventionell wirtschaftende Agrargenossenschaft genötigt, per Post die Werbetrommel zu rühren - hier eine Erwiderung auf das Werbeschreiben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Januar lag ein Brief nebst einer Packung mit Blumensamen im Briefkasten des Wochenendhauses des Autors, gelegen im ländlichen Raum Brandenburgs. Der Absender: Die im Ort ansässige Agrargenossenschaft, die Position bezieht zur aktuellen Diskussion um die industrielle Landwirtschaft.

Der Brief beinhaltet vier Grundaussagen:

  1. Die Selbstinszenierung als Opfer des in der Öffentlichkeit stattfindenden Streits um Ökologie in der Landwirtschaft: "In den letzten Jahren ist die Landwirtschaft immer mehr mit Anschuldigungen belastet worden, die nicht auf fachlich fundiertem Wissen beruhen."
  2. Der Fingerzeig und die Schuldzuweisung in Richtung anderer Länder, was die Schädigung der ökologischen Grundlagen angeht: "Entgegen der Auffassung, in den bevölkerungsreichsten Ländern dieser Erde, wie z.B. in China, Indien, Pakistan, Indonesien und den USA müssen wir Anstrengungen unternehmen um die Klimaneutralität und die Vielfalt der Pflanzen und Tierwelt zu sichern."
  3. Der Aussage, man könne nicht mehr wirtschaftlich arbeiten, wenn die geplanten "Restriktionen" der Politik umgesetzt werden müssten: "Die Anschuldigungen und Restriktionen sowie das jetzige Preisniveau für landwirtschaftliche Produkte gefährden die Existenz der Landwirtschaft."
  4. Das zähneknirschende Eingeständnis, nun handeln zu müssen: "Wir werden uns dazu bemühen [...] durch einen reduzierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und den Anbau von Zwischenfrüchten den Insekten verbesserte Lebensbedingungen zu geben."

Das Schreiben Agrargenossenschaft ist als PDF-Datei hier zu lesen. Im Folgenden die Antwort des Autors auf diesen Brief.

"Kein Freund von Golfrasen"

Sehr geehrte Mitarbeiter*innen der Agrargenossenschaft Welsickendorf,

vielen Dank für Ihr Informationsschreiben und das Saatgut, das ich sehr gerne in meinem Garten aussäen werde. Wie Sie an meinem Garten sehen können, bin ich ohnehin kein Freund von Golfrasen und tendiere nicht dazu, die Natur aufräumen zu wollen. Ihre (Selbst-)Kritik an Gärten ohne ökologische Vielfalt teile ich ("Dafür haben wir in unseren Gärten oft Rasen, der regelmäßig alle 10-14 Tage kurzgehalten wird").

Ich möchte inhaltlich auf Ihr Schreiben eingehen und versuchen, die aus meiner Sicht legitime Kritik aus der Gesellschaft (die Sie als "Anschuldigungen" bezeichnen) sachlich zu untermauern:

Die Einwohner in Welsickendorf mit ihren kleinen Gärten sollen Ihnen also helfen, den Teil der Natur zu bewahren, der notwendig ist, damit Ihre Ackerpflanzen bestäubt werden. Die Privathaushalte vor Ort verfügen aber, wenn überhaupt, nur über ein Tausendstel der Fläche der Agrargenossenschaft. Bei geschätzten 100 Privatgärten in Welsickendorf wären die von Ihnen vorgeschlagenen 20 m² Blühwiesen in Summe gerade einmal 0,2 Hektar.

Das bringt sicherlich sehr wenig im Lichte der riesigen Monokulturflächen, die das Dorf umgeben - mit augenscheinlich rücksichtsloser Zerschneidung von Habitaten von Säugetieren und dem für Insekten tödlichen Einsatz von Pestiziden.

Nun, da die Ernteverluste infolge des Raubbaus der Menschheit an der Natur sowie des vom Menschen verursachten Klimawandels ansteigen, - und zum Teil 40 bis 60% Ihrer Ernten in der Trockenheit verkümmert sind; nun, da das Grundwasser ganzer Landstriche hierzulande mit Nitrat verseucht ist und Pflanzen häufig nicht mehr ausreichend bestäubt werden. Nun endlich bewegt sich sogar eine ewig auf der Bremse stehende CDU.

Wenngleich nur deshalb, um dem Druck aus der Bevölkerung etwas nachzugeben und um Strafzahlungen an die EU zu verhindern. Auf einmal stehen Fragen der Ökologie im Raum, die sonst so geflissentlich ignoriert wurden. Von konventionellen Bauern wie Ihnen, vom Bauernverband und von CDU/CSU-Ministern sowieso.

Es sickert offenbar langsam, aber sicher die Erkenntnis zu den bisher Uneinsichtigen durch, dass es kein großindustrielles "Weiter wie bisher" in der Landwirtschaft geben kann. Leider nicht aus tatsächlicher Einsicht, sondern aus ökonomischer Not heraus, aber immerhin.

Die Felder in Welsickendorf

Mit Ihren Schuldzuweisungen an das Ausland, an Länder wie China oder die USA, können Sie nicht von Ihrer eigenen Verantwortung ablenken. Ich möchte Sie daran erinnern, dass insbesondere, aber bei weitem nicht nur Bayer-Monsanto und BASF (deutsche Konzerne!) die gesamte Welt mit Gen-Saatgut und Pestiziden beliefern - und damit weltweit maßgeblich zum Artensterben und Sterben von Insekten beitragen.

Aber wenden wir unseren Fokus auf Welsickendorf: Zwischen Ihren Feldern sind keine naturnahen Flächen wie Blühstreifen, Ackerränder, Hecken oder Feldgehölze zu erkennen. Dies wird beim Blick auf das folgende Foto ersichtlich. Der struppige Garten im Vordergrund gehört nicht dazu.

Blick auf Ackerrandstreifenlose Felder der Agrargenossenschaft. Foto: Christopher Stark

Auch auf dem Foto in diesem Artikel sind keine Böschungen oder naturnahen Streifen erkennbar, die für Insekten und Wildtiere ein Zuhause bieten. Es gibt zwar einen Blühstreifen der Agrargenossenschaft, den Sie medienwirksam präsentiert haben, aber es handelt sich hier offenbar um ein Feigenblatt, während sich der Rest der Äcker ohne "störende Natur" bis zum Horizont erstrecken.

Die Frage ist, ob es hier reicht zu kleckern, oder ob man nicht endlich klotzen und konsequenten Naturschutz betreiben muss. Etwa, indem 10% Ihrer landwirtschaftlichen Gesamtfläche für einen solchen naturnahen Bewuchs reserviert werden - bei gleichzeitiger deutlichen Verkleinerung der Feldgrößen. Das kostet zwar Geld, aber die Alternative ist, dass Sie langfristig Menschen einstellen müssen, die per Hand bestäuben - und das wird richtig teuer.

Bleibt es weiterhin bei einer weitgehenden Untätigkeit von Ihnen, anderen konventionellen Bauern, der EU und der Bundesregierung - muss die Zivilgesellschaft aktiv werden, zum Beispiel mit einem systematischen Aufkauf von Agrar-Kleinstflächen, wie hier vorgeschlagen.

Sie schreiben, wir sollten "gemeinsam" daran arbeiten, "den Insekten, vor allem aber den Bienen eine bessere Lebensgrundlage zu schaffen."

Es gibt viele mögliche Maßnahmen für mehr Ökologie auf dem Acker, nicht nur möglichst durchgängigen Ackerrand- und Blühstreifen oder Hecken. Wissenschaftliche Empfehlungen zum Thema kann man etwa diesem Dokument entnehmen.

Sie kündigen an, weniger Pestizide einsetzen zu wollen, was sehr zu loben ist. Aber die Erkenntnis, dass Pestizide für Säugetiere, Insekten, Wildpflanzen und Menschen schädlich sind, war ja schon vorher da. Weshalb also setzen Sie überhaupt chemische Pestizide ein und betreiben keinen ökologischen Landbau, so wie es in Deutschland über 30.000 Betriebe tun (rund 10% aller Bauernhöfe)?

Gestatten Sie mir den Hinweis darauf, dass der ökologische Landbau 100 Jahre alt ist. Da kann man schon von einer zeitlich verzögerten Einsicht sprechen, wenn man erst jetzt zu begreifen beginnt, dass ökologischer Handlungsbedarf besteht.

Bisher sind Sie in Welsickendorf lieber mit der Glyphosat-Keule unterwegs gewesen und haben sogar bei Schülern für diese Art der Landwirtschaft geworben. Wie es in der Märkischen Allgemeinen vielleicht auch etwas spitz unter einem Bild heißt: "Landwirt Paul Ziegelmann erläutert, wie die Giftspritze startklar gemacht wird." Im Bild ein Traktor mit riesigem Pestizid-Spritzanhänger, fast so, als sei man stolz auf ihn.

Nebenbei bemerkt ist das Sprühen von Glyphosat auch potentiell gefährlich für Sie selbst, die Wohnbevölkerung in Welsickendorf - und natürlich auch für den Endverbraucher der Agrarprodukte gesundheitsschädlich.