Der Corona-Gehorsam

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Das Verhalten von Politikern, Behörden und Bürgern in der "Corona-Krise" zeigt, was vor allem Intellektuelle als durch die Aufklärung überwunden glauben: den fatalen Hang des Menschen zur Gefolgschaft. Ein Kommentar

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Inzwischen haben Behörden das Leben schon sehr weitreichend verboten - selbst private Treffen unterliegen der Regulierung -, und die einzig ethologisch spannende Frage bleibt, mit wie viel Staatsgewalt "authorities" ihre Anweisungen exekutieren werden. Wie wird die Polizei reagieren, wenn über Notruf der Verdacht einer illegalen Geburtstagsparty gemeldet wird? Wie viel Aufwand werden Gesundheitsämter betreiben, noch des letzten potentiellen Virusträgers einer Teilnehmerliste habhaft zu werden, um ihn in Quarantäne zu schicken? Verhilft Corona nun endlich der Bundeswehr zum Mandat für den Inlandseinsatz? Söder hat es schon einmal gefordert.

Doch viel mustergültiger war das Verhalten davor, als wir überwiegend noch im Bereich von Empfehlungen waren (Spahn: Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen sollten abgesagt werden, 8. März 2020). Wer immer glauben konnte, irgendwo "verantwortlich zu sein" für andere Menschen, für Besucher, Angestellte, Kollegen, trat ein in den Wettbewerb um die größtmögliche Entmündigung des Einzelnen. Wer sein Chefsein Gassi führen wollte, schrieb Rundmails mit Handlungsanweisungen für die Krise. Diese Anweisungen wurden täglich, zum Teil stündlich spezifiziert und vor allem verschärft - stets unter Berufung auf höhere Mächte. Dank Social Media gibt es eine Heerschaar von Chefs, die zwar kein Territorium, gleichwohl aber Untergebene beherrschen und Tiefsinniges in aphoristischer Kürze unters Volk tweeten.

Die Stilllegung des (öffentlichen) Lebens jedenfalls funktionierte. Ohne Militär, ohne Erdbeben, ohne Leichen auf den Straßen.

Führen und Folgen

Es soll hier gar nicht diskutiert werden, welche der vielen Ge- und Verbotsmaßnahmen unsinnig sind. Es soll nur eine Einladung sein, den menschlichen Gehorsam einmal global zu bestaunen. Der ist natürlich immer präsent, aber in den allermeisten Fällen reklamiert jeder Follower, allein kraft eigenen Denkens zu seinem Handeln, zu seinen Parolen, zu seiner Fahne gekommen zu sein.

Das geht beim Corona-Gehorsam nun wirklich nicht. Und zwar nicht, weil die Menschheit historisch kein einziges Beispiel für eine global einheitliche und gleichwohl richtige Handlung zu bieten hat, so dass allein empirisch die Restvernunft allergrößte Zweifel bei der Behauptung eines Präzedenzfalls haben sollte. Vielmehr, weil es gar keine Diskussionen gab, weil kollektiv aufs Denken zugunsten einer Expertenhörigkeit verzichtet wird. Weil es gar keinen Versuch gibt, Kosten und Nutzen zu benennen und eine demokratische Abwägung zu ermöglichen. Weil Nebenwirkungen wie so oft komplett ausgeblendet werden. Rationale öffentliche Entscheidungen und ein Befolgen dieser auf der Basis aufgeklärten Denkens sind schlicht unmöglich.

Wer in die Vergangenheit schaut, mag natürlich nicht zu der Erkenntnis kommen, dass alles jederzeit wieder möglich ist und sich das eigene Verhalten nicht von dem der Vorfahren unterscheiden wird. Die Genome derer, die "kreuzigt ihn", riefen und derer, die "kaserniert sie", rufen, sind identisch, und auch die viel gepriesene kulturelle Entwicklung erweist sich bei nüchterner Betrachtung nur als Variation des Immergleichen.

Es war die längste Zeit der bescheiden kurzen evolutionären Menschenentwicklung zweckdienlich, Führern zu folgen und nur in besonderen Fällen selbst die Führerschaft anzustreben. Geändert hat sich dies, als Führer die Kosten ihres Führens nicht mehr mittragen mussten.

Heutige Führer entziehen sich der biologischen Evaluation. Was ihr Handling in der Corona-Krise betrifft, steht schon heute das Ergebnis fest: Am Ende werden alle Entscheidungen entweder richtig gewesen sein (sehr unwahrscheinlich), oder richtig, aber noch nicht konsequent und drakonisch genug. Sind die Führer mit der Zahl von Toten und Verletzten zufrieden, waren sie erfolgreich. Sind die Führer mit der Bilanz am Ende nicht zufrieden, kündigen sie fürs nächste Mal eine Steigerung ihres autoritären Kurses an. Die Forderung nach neuen Befugnissen, besserer Totalüberwachung, mehr Geld für dies und das wird unweigerlich kommen - und es wird ihr gehorsamst stattgegeben werden.

Möglicherweise wären fatales Führen und Folgen mit Demokratie einzuhegen. Aber nicht jetzt: Gehorsam ist die erste Bürgerpflicht.