Der Indopazifik als neues Mare Nostrum?

Fregatte Hamburg (bei einem Manöver im Persischen Golf, links neben der USNS Bridge und dem Flugzeugträger USS Dwight D. Eisenhower). Foto (2013): U.S. Navy/gemeinfrei

Die Marine entsendet eine Fregatte nach Ostasien

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In Ostasien spielt zunehmend die macht- und geopolitische Musik: Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich zusehends dorthin und die etablierten Westmächte geraten dabei zunehmend in Konflikt mit dem aufstrebenden China, das eingedämmt werden soll.

Schon länger streben deshalb die USA, Großbritannien und Frankreich eine Ausweitung ihrer dortigen maritimen Militärpräsenz an, während Deutschland sich zumindest in dieser Region lange militärisch ziemlich bedeckt hielt.

Doch spätestens ab Sommer letzten Jahres drehte sich der Wind, nachdem die Rufe nach der Entsendung deutscher Kriegsschiffe immer lauter wurden. Am 12. März erfolgte nun der Schritt über den Rubikon, indem die Bundeswehr die Entsendung einer Fregatte in den Indopazifischen Raum ankündigte.

China: Zwischen Rivalität, Neid und Bewunderung

Im November des vorigen Jahres veröffentlichte das Marinekommando seinen Jahresbericht "Fakten und Zahlen zur maritimen Abhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland 2019". Mit einer Mischung aus Neid, Bewunderung und Rivalität beschreibt der Bericht, die chinesische Marine verfüge heute "über mehr als 300 Kriegsschiffe, während die Zahl der US-Schiffe mit weltweiten Einsatzaufgaben in den letzten Jahren zwischen 270 und 290 lag".

Damit sei China eine "außergewöhnliche Transformation" gelungen, es sei in der modernen Geschichte das einzige "Beispiel dafür, wie eine Landmacht zu einer hybriden Land- und Seemacht wird".

Äußerst kritisch werden in dem Bericht die chinesischen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer und die seit einiger Zeit gemeinsam mit Russland abgehaltenen Militärmanöver in der Region beschrieben. Interessant ist dabei aber die Einschätzung, dass die chinesischen Aktivitäten vor allem wirtschafts- bzw. handelspolitisch motiviert seien:

Moskau und Peking nutzen die gemeinsamen Marineübungen, um geopolitische Signale zu setzen. Vorrangig will China seine Seewege sichern, weil seine kommerziellen Interessen weltweit zunehmen. Über 90 % des globalen Ferngüterhandels werden über den Seeweg abgewickelt, zudem ist China der weltweit größte Rohölimporteur.

Marinekommando der Bundeswehr

Was der Jahresbericht hier aber für China kritisiert, ist so ziemlich genau das, was einige Seiten weiter vorne für Deutschland in Anspruch genommen wurde:

Mehr als 90 % der weltweit gehandelten Güter werden über den Seeweg transportiert, der maritime Weltmarkt steigt jedes Jahr um fast 5 %. […] Als eine der führenden Exportnationen und als Hochtechnologiestandort ist Deutschland auf die freie und ungehinderte Nutzung der See angewiesen.

Marinekommando der Bundeswehr

Schritt für Schritt gen Osten

Seit Jahren schiebt die deutsche Marine ihre Präsenz Schritt für Schritt in Richtung Osten. Den Anfang machte der EU-Einsatz ATALANTA am Horn von Afrika, an dem sich die Marine seit seinem Beginn im Jahr 2008 beteiligt. Der Einsatz vor der Küste Somalias zielt auf die Kontrolle des Golfs von Aden ab, eines der weltweit wichtigsten Nadelöhre der Handels- und Tankerschifffahrt.

Aus diesem Grund wird ATALANTA seither nahezu routinemäßig weiter verlängert, wodurch sich eine Art militärischer Dauerpräsenz zur Absicherung dieses zentralen Handelsweges ergibt. Seither wird immer wieder gefordert, die Fühler weiter nach Osten auszustrecken. Eine zentrale Figur ist hier unter anderem Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München. Bereits 2015 schrieb er in einem Papier für die Konrad-Adenauer-Stiftung:

Nach dem Mittelmeer in Antike und Mittelalter und dem Atlantik in der Neuzeit, gilt der indische Ozean als das wichtigste Weltmeer des 21. Jahrhunderts. Die Bedeutung des Indischen Ozeans leitet sich von seinen engen Zufahrtswegen und seiner Rolle als Transitozean der Weltwirtschaft ab. Mit dem Golf von Aden, dem Bab el-Mandeb, dem Suez-Kanal, der Straße von Hormuz, der Straße von Malakka, der Sundastraße und der Straße von Lombok befinden sich die global wichtigsten maritimen Nadelöhre in dieser Region. […] Deutschlands Wohlstand hängt vom freien, internationalen Seehandel und vom ungehinderten Zugang zu den Rohstoffmärkten ab. Die Gewährleistung maritimer Sicherheit im Indischen Ozean ist daher essentielles Interesse Deutschlands. Berlin muss sich - viel stärker als bisher - in der Region engagieren.

Carlo Masala

Weiter führte Masala aus, es gehe zwar darum, sich auf ganz verschiedene Arten einzubringen, ein "militärisches Engagement" solle dabei aber auch "nicht ausgeschlossen werden".

Masala war dann auch ein wichtiger Akteur, als im Sommer des vergangenen Jahres die Debatte um eine Entsendung deutscher Kriegsschiffe an den Persischen Golf Fahrt aufnahm. Mit einem Handelsblatt-Artikel, der provokativ mit "Kein Blut für Öl?" betitelt war, sowie mit einem in viel diskutierten Optionspapier, wie eine deutsche Militärpräsenz am Golf konkret aussehen könnte, brachte sich der Bundeswehr-Professor hier mit dementsprechenden Forderungen ein.

Die Debatte mündete bislang zwar (noch) nicht in eine konkrete deutsche Militärpräsenz am Golf, sie führte aber unter anderem zum Beschluss der "Europäischen Marine-Überwachungsmission in der Meerenge von Hormus" ("European Maritime Awareness in the Strait of Hormuz", EMASOH) im Januar 2020.

In ihrem Rahmen entsenden nun Frankreich, Dänemark und die Niederlanden Kriegsschiffe in die Region und werden dabei von fünf weiteren europäischen Ländern, darunter auch Deutschland, politisch unterstützt (siehe Blut für Öl!?).

Auf Kurs nach Ostasien?

Ungefähr um dieselbe Zeit, wie die Debatte um deutsche Kriegsschiffe am Persischen Golf losgetreten wurde, tauchten auch erste Berichte auf, im Verteidigungsministerium werde darüber nachgedacht, sich mit eigenen Kriegsschiffen an Manövern für die Freiheit der Schifffahrt (Freedom of navigation operations, FONOPS) in Ostasien zu beteiligen.

Dabei geht es darum, etwaige chinesische Ansprüche auf die Kontrolle von Schifffahrtswegen zu konterkarieren bzw. ihnen mit einer eigenen Präsenz zur Kontrolle der besagten Nadelöhre entgegenzutreten.

Zwar sind hier derzeit westlicherseits primär die USA (und in etwas abgeschwächter Form Großbritannien und Frankreich) aktiv, doch aus den Reihen des sicherheitspolitischen Establishments wurde zu diesem Zeitpunkt vermehrt nach einer deutschen Beteiligung gerufen, um die Verbündeten in ihren Bestrebungen zur Eindämmung Chinas zu unterstützen und damit gleich auch als eine Art Kollateralnutzen das eigene militär- und machtpolitische Profil zu stärken ("Dunkle Sturmwolken").

Der nächste sicherheitspolitische Meilenstein für eine deutsche Militärpräsenz in Ostasien war dann die Grundsatzrede von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Anfang November 2019, in der sie ganz generell forderte, Deutschland müsse (noch) mehr militärische "Verantwortung" übernehmen. Ganz konkret äußerte sie sich aber mit Blick auf Ostasien:

Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum - allen voran Australien, Japan und Südkorea, aber auch Indien - fühlen sich von Chinas Machtanspruch zunehmend bedrängt. Sie wünschen sich ein klares Zeichen der Solidarität. Für geltendes internationales Recht, für unversehrtes Territorium, für freie Schifffahrt. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch ein solches Zeichen setzt, indem wir mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region zeigen. Weil wir ein Interesse daran haben, dass bestehendes Recht respektiert wird. Und weil wir nur dann auf die Solidarität anderer zählen können, wenn wir selbst solidarisch sind.

Annegret Kramp-Karrenbauer

Ungeachtet der Tatsache, dass "bestehendes Recht" keineswegs respektiert wird, wenn es westlichen Interessen zuwiderläuft (Der amerikanisch-britische Stützpunkt Diego Garcia verstößt gegen das Völkerrecht), ist entscheidend, dass diesen Worten nun anscheinend Taten folgen sollen.