"Nationale Notstandsregierung" in Israel

Benjamin Netanjahu (Foto: U.S. Department of State) und Benny Gantz (Foto: Mark Neyman / Government Press Office (Israel), CC BY-SA 3.0)

Benjamin Netanjahu und Benny Gantz haben sich nach der Spaltung des Blau-Weiß-Bündnisses auf eine Koalition geeinigt

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Kurz vor Beginn des heutigen Holocaustgedenktags haben Benjamin Netanjahu und Benny Gantz eine Vereinbarung zur Bildung einer "Nationalen Notstandsregierung" in Israel unterzeichnet. Die Einigung zwischen den beiden sieht vor, dass Netanjahu bis zum Oktober 2021 Ministerpräsident bleibt. Anschließend soll Gantz übernehmen.

Davor wird Gantz Verteidigungsminister und stellvertretender Regierungschef. Sein Parteifreund Gavriel Aschkenasi (der, anders als sein Name suggeriert, ein sephardischer Jude ist) wird bis zum Oktober 2021 Außenminister. Anschließend soll der ehemalige Generalstabschef der Israelischen Streitkräfte das dann frei werdende Verteidigungsministerium übernehmen. Ein dritter Posten, den sich Ganz für sein Bündnis wahrscheinlich sichern konnte, ist der des Justizministers: Diesen Posten soll israelischen Medienberichten nach Avi Nissenkorn von Blau-Weiß übernehmen, ein polnischstämmiger ehemaliger Gewerkschaftsbundchef.

Weitere Koalitionspartner nötig

Die Koalitionsfindung dauerte - je nach Zählweise - zwischen 17 Monaten und 50 Tagen. Die 50 Tage sind seit der letzten Parlamentswahl am 2. März vergangen (vgl. Netanjahu gewinnt - aber wahrscheinlich keine absolute Mehrheit). Aber auf der Suche nach einer neuen Regierungsmehrheit ist man in Israel eigentlich schon seit 17 Monaten und drei Wahlen ohne eindeutigen Sieger.

Gantz lehnte lange eine Koalition mit Netanjahu als Ministerpräsidenten ab (vgl. Israel: Große Koalition ohne Netanjahu?) und änderte erst Mitte März seine Meinung, worauf hin sich sein Bündnis Blau-Weiß spaltete. Der Teil, der weiter zu ihm hält, verfügt in der Knesset über 17 der insgesamt Abgeordneten. Rechnet man die 36 von Netanjahus Likud hinzu, kommt man auf 53 der insgesamt 120. Die neue Koalition ist deshalb auf weitere kleinere Partner angewiesen.

Druck mit Gesetz, das Netanjahu den Ministerpräsidentenposten genommen hätte

Nachdem sich Gantz und Netanjahu auch nach der Spaltung von Blau-Weiß lange nicht einig wurden, hatte der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin letzte Woche das Mandat zur Regierungsbildung für jeden einzelnen Knesset-Abgeordneten freigegeben und den 4. August als nächsten Wahltermin vorgemerkt. Gantz, der vor einigen Wochen zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde, hatte daraufhin gedroht, ein Gesetz zur freien Abstimmung zu stellen, das Personen mit anhängigen Gerichtsverfahren - und damit auch Netanjahu - verboten hätte, das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen. Das wollte man beim Likud anscheinend nicht riskieren und ließ die von Gantz gesetzte Frist für eine Einigung nicht verstreichen.

In der Koalitionsvereinbarung konnte der Likud aber die von ihm vertretene Position durchsetzen, dass jene Teile des Westjordanlandes, die im amerikanischen Nahostfriedensplan als neue Teile Israels vorgesehen sind, schon ab dem Juli in das Land integriert werden. In der Frage der Besetzung hoher Richterposten, bei der der Likud - womöglich nicht zuletzt wegen des Falls Netanjahu - ein Vetorecht forderte, einigte man sich auf einen Kompromiss: Nun entscheidet darüber ein Parlamentsausschuss, in dem der Likud die Chance hat, eigene Mehrheiten abseits der Koalitionsmehrheit zu schmieden.

Haredim ignorieren Corona-Schutzvorschriften

Eine "Nationale Notstandsregierung" soll die neue israelische Regierung wegen der Coronakrise sein, die beide Partner gestern als wichtigen Grund für eine Einigung betonten. Bislang gibt es in Israel 12.982 Sars-CoV-2-Angesteckte und 151 Covid-19-Tote. Ein besonderes Problem sind dabei die "Haredim", die "Gottesfürchtigen", bei denen beispielsweise in Bne Brak 1051,21 Fälle auf 100 000 Einwohner kommen.

"Weite Teile" von ihnen scheren sich dem Eindruck des Tachles-Kommentators Richard C. Schneider nach "nicht einmal im Ansatz um die Verordnungen der israelischen Regierung" und gehen "weiter in die Mikwe [das Bad], weiter in die Schul [die Synagoge], weiter in die Jeschiwe [die Talmudschule] als ob nichts wäre". Die Schuld daran sieht Schneider auch bei Netanjahus bisherigen religiösen Koalitionspartnern: Gesundheitsminister, Yaakov Litzman von der Agudat Jisra’el etwa "holte sich das Virus beim Dawenen in einer Schul, zu einem Zeitpunkt als das [israelische] Versammlungsverbot bereits bestand".

Zur Coronakrise hinzu kommen außenpolitische Probleme, die durch die Seuche etwas in den Aufmerksamkeitshintergrund gerieten, aber nicht unbedingt kleiner wurden: Der noch schwerer von der Coronakrise getroffene Iran vermeldete am Wochenende beispielsweise die Indienststellung dreier neuer Drohnen, die den Angaben des iranischer Verteidigungsministers Amir Hatami nach eine Reichweite von 1500 Kilometern haben und damit auch Israel erreichen können. Außer Kameras können sie seinen Angaben nach auch Bomben und Raketen tragen.

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