Als die Daten reisen lernten

SX-64-Monitor. Bild: Stefan Höltgen

Eine Archäologie der Disketten-Magazine

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Kaum eine Technologie auf dem Computersektor ist wirklich neu. Die meisten Dinge, die als Neuerung erscheinen, haben entweder direkte Vorläufer oder unter ihren Oberflächen zeigen sich Verwandtschaften zu Vergangenem als Spuren von Ideen, die manchmal bis weit zurück in die Geschichte führen. Dass beispielsweise die logischen Schaltkreise der Computer auf Ideen beruhen, die vor 3500 Jahren in der griechischen Philosophie ersonnen wurden, zählt ebenso hierzu, wie die Herkunft der Pixelgrafik aus der Technik der Weberei und die Ordnung der Binärzahlen aus der chinesischen I-Ging-Philosophie.

Solche Spuren zu suchen, stellt eine Art Archäologie dar - eine Archäologie der Gegenwart, denn sie gräbt nicht in Ruinen nach den Relikten vergangener Generationen, sondern nach verborgenen Ideen in gegenwärtigen Technologien.

Ich möchte diesen Gedanken im Folgenden für das Medienformat des Disketten-Magazins (kurz: Diskmags) ausführen und zeigen, aus welchen Technologien, Ideen und kulturellen Bedingungen es hervorgegangen ist. Dies wird uns von US-amerikanischen Studenten der 1950er-Jahre über verschiedene Netzwerke der 1980er-Jahre bis zu den Datenverteilungstechnologien der Gegenwart führen, in welchen die Diskmags schließlich "aufgehoben" sind. (Dieser Beitrag stellt die leicht überarbeitete Fassung eines Essays dar, der in der Ausgabe 108 des Diskmags "Digital Talk" veröffentlicht wurde.)

Diskmags als Medien

Zuvor sollte zuerst einmal geklärt werden, was überhaupt unter "Medien" zu verstehen ist. Wenn man heute von "den Medien" spricht, dann sind damit zumeist die Massenmedien, ihre Produzenten, Formate oder Inhalte gemeint: Das Fernsehen und seine Sendungen, die Printmedien und ihre Texte, Hollywood und seine Filme etc. Ich möchte den Begriff aber etwas enger fassen und als Medien konkrete Apparate zum Verarbeiten, Speichern und Übertragen von Informationen bezeichnen; statt "das Fernsehen" also "den Fernsehapparat", statt "die Printmedien" also "das Papier" und statt der "den Computer" (im Kollektivsingular) die Computer und ihre spezifischen Funktionsweisen.

Die meisten historischen Medien sind heute in Computerprozessen "aufgegangen": entweder man benutzt einen Fernseher, der eigentlich ein computergesteuertes Pixel-Display ist, oder man liest die Online-Ausgabe einer Zeitung direkt am Computerbildschirm. Mit diesem Verschwinden der einzelnen, spezialisierten Medientechnologien und -apparate findet eine Konvertierung statt: Digitalisierung meint dabei die Computerisierung von Medieninhalten, Algorithmisierung die Computerisierung von Medienfunktionen.

Diskmags waren, so betrachtet, also nie ein Medium, sondern immer schon ein Format, in dem spezifische Inhalte wiedergegeben werden können: Texte, Bilder, Töne. Aber wie bei allen Medienformaten nimmt auch bei Diskmags das technische Dispositiv Einfluss auf diese Inhalte. Anders als Zeitungen können Beiträge hier hypertextuell sein, denn sie erlauben das Springen zu bestimmten Inhalten per Tastendruck. Von der ersten Seite gelangt man damit genauso schnell zur zweiten wie zur dreißigsten Seite.

Und dennoch sind sie noch "weniger" als Internetseiten, denn die Sprünge können nicht beliebig weit und nicht jenseits des Systems führen: Es gibt eine Speichergrenze der Diskette(nseite), die bei Erreichen ein spezifisches "Umblättern" erfordert: das Umdrehen oder Wechseln der Diskette. Und es gibt eine Systemgrenze, die nicht übersprungen werden kann (etwa zu einem Text, der auf einem anderen Computer gespeichert ist). Und anders als bei gedruckten Medieninhalten sind auch der Zeichenvorrat und die Zeichenstile begrenzt sowie die Illustrationsmöglichkeiten in Auflösung und Farbtiefe eingeschränkt.

Das technische System (hier der C64 und seine Peripherien) definiert also deutlich die Grenzen und Möglichkeiten des Formats Diskmag und seiner Inhalte. Man könnte sagen: Der C64 schreibt sich in meinen Beitrag ein und an diesem mit, indem er mich und meine Lesern in seine 1982 gesteckten Grenzen verweist.

SX-64-Monitor. Menü der Digital Talk (Ausgabe 100), 160 mal 200 in 16 Farben. / Öffentlicher Brief in der Digital Tals (Ausgabe 107), 16 Zeilen und 40 Zeichen. Bilder: Stefan Höltgen

Diese Erkenntnis mag zunächst trivial erscheinen, an ihr kann jedoch der "hybride" Status von Diskmags gut gezeigt werden. Sie existieren in einem medientechnischen Zwischenraum und einer Zwischenzeit: Sie sind noch keine Webseiten, aber auch keine bloßen Zeitungen mehr. Sie ähneln damit eher Brückentechnologien wie dem BTX oder dem Videotext - von denen sie sich aber nicht nur durch ihre Soundtracks und Animationen, sondern vor allem durch ihre Distribution deutlich unterscheiden.

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