Maskerade von COVID-19 könnte die Entwicklung eines Impfstoffes schwierig machen

Bild: NIAID/CC BY-2.0

Kölner Immunologe nennt die Hoffnungen auf einen Impfstoff "trügerisch", Sars-CoV-2 verfüge über eine clevere Trickkiste

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Coronavirus Sars-CoV-2 befällt primär Zellen in den Atemwegen und der Lunge. Zum Eintritt benötigt das Virus Andockstellen und Kofaktoren. Nach solchen im Atemtrakt sind Forscher gezielt auf der Suche. Sie möchten herausfinden, welche Voraussetzungen es sind, die dem Virus die nötigen Einfallstore bieten.

Die Eintrittsproteine: ACE2 und TMPRSS2

Das Andocken erfolgt mittels eines Enzyms, dabei handelt es sich um das sogenannte Angiotensin-Converting Enzyme 2 (ACE2). Übrigens ein Rezeptor, der auch vom verwandten SARS-Virus zum Zelleintritt gebraucht wird, wie bereits bekannt ist. ACE2 ist im Gewebe von Lunge, Niere, Herz und auch im Verdauungstrakt vorhanden.

Um in die Wirtszelle zu gelangen, benutzt das Coronavirus das ihm eigene Spike-Protein (ein hervorstehendes Hüllprotein). Zusätzlich benötigt das Virus wahrscheinlich einen oder mehrere auf der Zellmembran sitzende sogenannte Kofaktoren. Diese sind beim Eintritt in die Wirtszelle behilflich.

Lunge und Bronchien

Analysen der Berliner Charité und des Berlin Institute of Health zeigen, dass in der Lunge vor allem ein bestimmter Zelltyp den ACE2-Rezeptor ausbildet, und zwar in den Lungenbläschen. Es handelt sich bei diesem Zelltyp um sogenannte Alveolozyten vom Typ 2 (AT2). Sie bedecken etwa fünf Prozent der Innenfläche in den Lungenbläschen. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Austauschfläche zwischen Blutgefäßen und Luft feucht zu halten. Das ist für die Atmung wichtig.

Etwas anders sieht es bei den Bronchien aus. Hier fand man heraus, dass sogenannte "Vorläuferzellen" sowohl den ACE2-Rezeptor, aber auch den Kofaktor TMPRSS2 in besonders starkem Maße produzieren. Diese Vorläuferzellen sind daher gegenüber der Sars-CoV-2-Infektion wohl besonders anfällig. Aus solchen Vorläuferzellen entwickeln sich normalerweise die Zellen im Atemtrakt, die mit ihren Flimmerhärchen Schleim und Bakterien aus der Lunge transportieren.

Als interessanten Nebenbefund stellten die Berliner Forscher fest, dass die Dichte des ACE2-Rezeptors auf den Zellen mit dem Alter der Patienten offenbar ansteigt.

Privilegierter Zugang: Nase, Auge, Darm

Eine Parallele zu diesen Befunden liefert gerade eine Forschergruppe mehrerer Länder, die im Human Cell Atlas (HCA) Lung Biological Network zusammengeschlossen sind. Das weltweit tätige Konsortium hat sich zum Ziel gesetzt, eine Kartierung der Atemwegszellen zu erstellen und will aktuell weitere Hinweise auf Zellen und Merkmale gewinnen, die wahrscheinlich an COVID-19 beteiligt sind.

Die Wissenschaftler entdeckten bei Becherzellen und Flimmerepithel in der Nase besonders viele der Proteine, die SARS-CoV-2 bei der Infektion benutzt. Es fanden sich hohe Konzentrationen beider Eintrittsproteine. Das mache diese Zellen im Nasenraum zu einem privilegierten Erstinfektionsweg für das Virus, so Waradon Sungnak vom Wellcome Sanger Institute, einer der Hauptautoren der Gruppe.

Die beiden Eintrittsproteine ACE2 und TMPRSS2 seien auch in Hornhautzellen des Auges und in der Darmschleimhaut zu finden, berichten die HCA-Forscher weiter. Das deutet nach ihren Angaben auf einen möglichen Infektionsweg über das Auge beziehungsweise die Tränendrüsen hin. Ihre Ergebnisse haben die Autoren im Fachjournal "Nature Medicine" veröffentlicht.

Ein weiterer Befund: ACE2 ist auch im Herzen zu finden. Etliche der im Krankenhaus behandelten COVID-19-PatientInnen erleiden Schäden des Herzmuskels bis hin zum Herzversagen. Dabei ist bislang aber nicht klar, ob das Virus selbst die Schäden am Herzen verursacht, oder ob es sich um sekundäre Effekte handelt.

Impfen als Königsweg?

Die Ausbildung von Antikörpern kann das Eindringen von Viren in ihre Zielzellen verhindern. Bei der Suche nach einem wirksamen und möglichst lange anhaltenden Impfstoff liegt hier der Dreh- und Angelpunkt. Der Kölner Immunologe Martin Krönke, Institutsdirektor an der Uniklinik Köln, dämpft allerdings zu hohe Erwartungen.

Es sei, so Krönke in einem am Wochenende im Kölner Stadt-Anzeiger veröffentlichten Interview, in den vergangenen 18 Jahren nicht gelungen, eine Impfung gegen SARS oder gegen ein anderes Coronavirus zu entwickeln. Zudem könne man nach etwa zwei Jahren nach einer durchgemachten Coronavirus-Infektion wieder erneut mit demselben Erreger erkranken, was darauf hindeute, dass allenfalls eine kurzzeitige Immunität vorstellbar sei.

Clever: Das Virus tarnt sich durch Zucker

Antikörper gegen das Spike-Protein des Coronavirus sind der Ansatz der meisten aktuellen Impfstoffprojekte. Jedoch im Unterschied zu allen anderen Coronaviren weise die Erbinformation des Sars-CoV-2 einige Besonderheiten auf. Dazu gehört, dass sich das Virus gegen die Erkennung durch Antikörper wirkungsvoll "maskieren" könne. Dabei benutzt es angelagerte Zuckermoleküle, die zur Maskerade beitragen. Es sei, so Krönke, daher zweifelhaft, ob Antikörper gegen das Spike-Protein im Fall von COVID-19 die entscheidende Rolle für die Ausbildung einer Immunität überhaupt spielen könnten.

Neben den Antikörpern helfen sogenannte zytotoxische T-Zellen gegen Viren. Die Hauptaufgabe der T-Zellen besteht darin, befallene Körperzellen zu erkennen und zu eliminieren. Das tun sie anhand von virusspezifischen Antigenen. Das Problem ist: Auf die Weise kann zwar die Vermehrung des Virus gestoppt werden, aber zugleich werden auch die infizierten Zellen zerstört.

Problem: Überschießende Entzündungsreaktion

Wird bei der Sars-CoV-2-Infektion das Lungengewebe geschädigt, was in der Regel der Fall ist, führt in den günstigsten Fällen die einsetzende Entzündungsreaktion zur Heilung. Leider wird gerade bei älteren Patienten diese Regulation zum Desaster. Sie sterben an einer überschießenden Entzündungsreaktion. Martin Krönke formuliert es so: "Die Regulation einer balancierten Aktivität von T-Zellen und der Entzündungsreaktion" gerate außer Kontrolle, was zum tödlichen Verkauf von Covid-19 führt.

Zumindest sei mit einem Impfstoff eine Teilimmunität zu erreichen. Allerdings lauere hier die Gefahr, dass bei einigen der geimpften Personen - vor allem bei älteren Menschen - schwerere Verläufe von Covid-19 auftreten. Dieses sogenannte "Immune Enhancement" wurde bereits bei der Impfstoffentwicklung gegen das Dengue-Virus, aber auch bei SARS beobachtet, und es wird auch bei COVID-19 als unerwünschte Nebenwirkung befürchtet. Für die Sicherheit von Corona-Impfstoffen, und damit auch für Zulassung, kann das laut Krönke zu einem echten Problem werden. Hier benötige man noch "ein viel tieferes Verständnis von Sars-CoV-2".

Die "Trickkiste des Virus" nennt der Kölner Immunologe einstweilen "zu groß". "Eines ist völlig ausgeschlossen: das Verschwinden des Virus (…) Wir werden mit dem Virus leben müssen, und die Hoffnung auf einen Impfstoff ist trügerisch."