Wenn ein Taz-Kommentar zur Staatsaffäre wird

Eben noch schien die Taz sich über eine satirische Kolumne zu zerstreiten. Dann drohte Innenminister Seehofer mit Strafanzeige gegen die Autorin und die alten Reflexe aus Sponti-Zeiten funktionieren noch

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Da hat die Taz-Redaktion noch mal Glück gehabt. Nachdem Bundesinnenminister Seehofer eine Klage gegen eine Taz-Mitarbeiterin erwogen hat, weht ein Hauch von Kampfgeist aus der "Sponti-Zeit" durch die Redaktion. In der Ausgabe vom Montag wurde gleich in mehreren Beiträgen klare Kante gegen den konservativen Innenminister gezeigt und die angegriffene Kollegin verteidigt.

Seehofer greife die Pressefreiheit an, so die Kolumne von Barbara Junge in der Taz. Dabei hat der Minister ja nicht - wie 1962 Franz Josef Strauß den Spiegel -, die Taz-Redaktion von der Polizei durchsuchen und die Chefredaktion verhaften lassen. Das wäre nun tatsächlich ein Angriff auf die Pressefreiheit. Warum aber so eine Aufregung wegen einer Anzeige?

Ist nicht gerade das grünennahe Milieu sehr anfällig dafür, schnell mal nach einem Verbot zu rufen, wenn im Internet oder in der realen Welt eine der vielen Identitäten, die sich die Menschen im Spätkapitalismus konstruieren, angegriffen wird? Nun scheint das Drohpotential schärfer, wenn eine Anzeige von einem Innenminister kommt. Andererseits muss rein formal im bürgerlichen Rechtsstaat die Anzeige eines Innenministers genauso behandelt werden wie die jedes andere Bürgers.

Der bürgerliche Grundsatz der formalen Gleichheit vor Gericht ist eben nicht nur Propaganda, sondern ein wichtiger Bestandteil der bürgerlichen Gewaltenteilung und sorgt auch für die relative Stabilität des bürgerlichen Staates. Daher ist es eigentlich übertrieben, wenn Seehofer jetzt vorgeworfen wird, er wolle die Pressefreiheit aushebeln, wie es in der Türkei und in Ungarn schon geschehe.

Tatsächlich wäre die Kritik dann berechtigt, wenn die Anzeige von Seehofer eben nicht wie die jedes anderen Bürgers behandelt würde. Doch die Tatsache, dass Seehofer eine Anzeige erstatten will, scheint ja gerade die Rechtsstaatideologie zu bestätigen, dass alle, auch ein Minister, vor dem Gesetz gleich sind.

Die alten Sponti-Reflexe funktionieren noch

Aber die Taz soll nicht dafür kritisiert werden, dass sie ausnahmsweise mal in die Repressionskritik ihrer Anfangsjahre zurückfällt. Da wurde, wie noch heute bei Teilen der Autonomen, mit einer verkürzten Repressionskritik jede staatliche Maßnahme als Weg in die Diktatur oder gar in den Faschismus klassifiziert und dabei übersehen, dass es in der Regel um das Funktionieren eines bürgerlichen Staates ging.

Es ist der Taz aber positiv anzurechnen, dass sie sich hinter eine angegriffene Kollegin stellt, auch wenn sie nicht Opfer eines diktatorischen Ministers wurde. Es würde nur der Rechtsstaat walten, wenn es überhaupt zu Seehofers Anzeige kommt. Es ist beruhigend, dass im Fall der Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah, so heißt die Taz-Kolumnistin, die Seehofer anzeigen will, die alten Sponti-Reflexe noch funktionieren, dass man interne politische Differenzen zurückstellt, wenn die staatlichen Apparate an- und eingreifen.

Die Differenzen zur inkriminierten Kolumne waren groß, wie die heftige Diskussion in der Taz in den letzten Tagen zeigte. Die Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah hatte in einer Polemik über Verwendungsmöglichkeiten der Polizei nach deren von Anti-Rassisten in den USA geforderten Abschaffung nachgedacht und kam zu folgenden Schluss:

Über (Bio-)Bauernhöfe brauchen wir gar nicht erst zu sprechen, die sind jetzt schon zu Szenejobs für Neonazis avanciert. Und wenn man sie einfach Keramik bemalen ließe? Nein. Zu naheliegend, dass sie unter der Hand Hakenkreuz-Teeservice herstellen und sich mit den Einnahmen das nächste Terrornetzwerk querfinanzieren.

Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.

Hengameh Yaghoobifarah, Taz

Nun ist das unverkennbar eine satirische Polemik im Titanic-Stil oder zumindest ein Versuch, der Titanic nachzueifern. Wer sich als Humorkritiker berufen fühlt, möge beurteilen, ob ihr das geglückt ist. In den letzten Tagen zumindest gab es bei der Taz Stimmen, die hier eine redaktionelle Grenze überschritten sahen und der Kollegin vorwarfen, die Menschenwürde verletzt zu haben.

Polizeibeamte wurden in dem Manuskript, um das es hier geht, mit Abfall gleichgesetzt. Ich denke, die Autorin wollte genau das sagen. Es wäre herablassend, ihr zu unterstellen, dass sie ahnungslos über ein Feld von Tretminen tanzte. Sie wusste, was sie schrieb. Und sie hat die Menschenwürde verletzt. Was denn sonst?

Bettina Gaus, Taz

"Dafür ist die Taz nicht gegründet worden"

Am Ende zeigte Gaus eine Spaltungslinie auf, die nicht so einfach zu kitten sein dürfte.

Die internen Diskussionen offenbaren Gräben, über die wir reden müssen. Dringend. Wer die Kolumne verteidigt, tut dies im Regelfall unter Verweis auf eine Opferrolle. Zusammengefasst: Ihr privilegierten Weißen habt ja keine Ahnung. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt, aufgrund äußerer Merkmale diskriminiert zu werden, lebenslang benachteiligt zu sein. Und deshalb eine - ja, auch unsachliche - Wut zu empfinden. Stimmt. Das wissen wir nicht. Aber das rechtfertigt nicht jeden Tabubruch. Die Achtung der Menschenwürde ist nicht verhandelbar, egal, wer sie verletzt.

Deshalb werde ich die Kolumne, um die es hier geht, auch nicht brav nach außen hin verteidigen und nur intern kritisieren. Das wäre falsch verstandene Solidarität. Den Korpsgeist, der andere Organisationen auszeichnet, halte ich im Hinblick auf die taz nicht für erstrebenswert. Dafür - oh ja, wirklich: dafür - ist die Zeitung nicht gegründet worden.

Bettina Gaus, Taz

Der Inlandsredakteur der Taz, Stefan Reinecke, kritisierte die Kolumne ebenfalls scharf:

Man identifiziert eine Gruppe, die in der eigenen Community als Feindbild tauglich erscheint, und bekübelt sie mit Herabwürdigungen, die ein kleines bisschen - zwinker, zwinker - lustig gemeint sind. Im Kern aber eben nicht.

Stefan Reinecke, Taz

Reinecke geht tiefer mit seiner Kritik, wenn er die Dogma mittelständischer Identitätspolitik seziert:

Das linksalternative Bild, dass eine taz-Autor:in mit Migrationshintergrund, die "nach oben" (Polizei) tritt, alles darf, weil sie angeblich aus einer Position der strukturellen Unterlegenheit schreibt, ist allzu gemütlich. Den Text durchzieht eine Geste sozialer Verachtung, die in der Müll-Metapher mündet. Die Polizisten, die unbrauchbar für alles sind - das ist der Blick von den Anhöhen diskursiver Bildungs- und Sprachmacht nach unten.

Stefan Reinecke, Taz

Wer ist gleicher in der Taz?

Darauf kam eine scharfe Replik von Saskia Hödl in der Taz.

Was die Aufregung um die taz-zwei-Kolumne derzeit vor allem offenlegt, ist, dass wir innerhalb der Redaktion nicht alle gleich sind. Zum einen, weil Solidarität etwas ist, das nicht allen im gleichen Maße und ohne Zögern zuteil wird.

Zum anderen, weil das Wort "Identitätspolitik" von einigen, meist weißen Kolleg:innen immer wieder gebraucht wird, um Autor:innen, Redakteur:innen und Ressortleiter:innen, die sich selbst als BPoC (Schwarze Menschen und People of Color) verstehen, Kompetenz, Vernunft, Objektivität oder Relevanz abzusprechen.

Saskia Hödl, Taz

Bei der Debatte über die Identitäten geht es um Kämpfe um Sichtbarkeit und Relevanz im mittelständischen Milieu. Ein erwerbsloser migrantischer Kollege oder eine junge Migrantin, die den Dreck wegräumt, den der diverse Mittelstand gemacht hat, ist damit genauso wenig gemeint wie ein weißer Arbeiter. Doch es stimmt tatsächlich, dass auch in der Taz wie überall in der Gesellschaft nicht alle gleich sind.

Anselm Lenz, der als freier Journalist für die Taz arbeitete, bekam redaktionsintern keine Solidarität, als er wegen der von ihm initiierten Hygienedemonstrationen von den Staatsapparaten angegriffen wurde. Die Distanzierungen erfolgten schon zu einer Zeit, als noch nicht abzusehen war, dass sich die Hygienedemonstrationen letztlich in eine irrationale Richtung entwickelten. Dabei war das Engagement von Lenz doch in der Redaktion politisch genau so umstritten wie die Kolumne von Yaghoobifarah.

Doch sie hat eine systemtransformierende Ebene, die oft überlesen wird. Ihre Überlegungen standen unter der Prämisse, was zu tun ist, "falls die Polizei abgeschafft wird, der Kapitalismus aber nicht". Die Kollegin kann sich zumindest eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus vorstellen, viele ihrer Kritikerinnen und Kritiker, aber auch ihrer Verteidiger scheinbar nicht.