Iran: Das Virus und die Sanktionen

Foto: Khamenei.ir/CC BY 4.0

Während die zweite Corona-Welle Iran bereits fest im Griff hat, sind die Aussichten, das Atomabkommen noch zu retten, nicht gut

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Laut dem iranischen Gesundheitsministerium haben sich in Iran bislang rund 280.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, etwa 14.000 Menschen sind den offiziellen Zahlen zufolge an Covid-19 gestorben. Das ist etwa ein Drittel mehr als in Deutschland - bei ungefähr gleicher Bevölkerungsgröße.

Die erste Welle der Pandemie hatte Iran im Februar, März und April heftig erwischt, in vielen Krankenhäusern herrschte Ausnahmezustand. Es fehlte an Intensivbetten, Beatmungsgeräten und Medikamenten, und aufgrund der US-Sanktionen konnte kurzfristig kein Nachschub besorgt werden.

In den Sozialen Medien berichteten damals Krankenhausmitarbeiter und Oppositionsgruppen, aber auch einzelne Kommunalpolitiker, die Todeszahlen seien weit höher als von der Regierung in Teheran eingestanden. Diese hatte anfangs lange gezögert, bevor Maßnahmen ergriffen wurden.

Das Problem wurde kleingeredet, Moscheen und Heiligtümer sollten erst gar nicht geschlossen werden, erst als sich Politiker und ranghohe Angehörige des Regimes infizierten, wurde energischer gehandelt. Einige Journalisten und Internetnutzer, die das kritisierten, wurden festgenommen.

Infektionszahlen steigen wieder

Zwischenzeitlich beruhigte sich die Lage zwar, inzwischen steigen die Infektionszahlen aber wieder - und auch die Sterbezahlen. Aktuell meldet Iran mehr als 200 neue Todesfälle pro Tag. Kinos, Theater, Cafés und andere Orte, an denen viele Menschen zusammenkommen könnten, müssen erneut schließen. Bereits im April hatte es weitreichende Lockdown-Maßnahmen gegeben, weswegen unter anderem die Teheraner Buchmesse abgesagt wurde.

Die Regierung ruft die Bürger auf, nicht leichtsinnig zu sein, im Alltag Schutzmasken zu tragen und Abstand zu halten. Eigentlich erfordern die jüngsten Zahlen einen umgehenden Lockdown, doch davor schrecken Präsident Hassan Rohani und sein Kabinett zurück und begründen das mit der aufgrund der Sanktionen ohnehin stark angeschlagenen Wirtschaft. Eine ungebremste Ausbreitung der Pandemie könnte am Ende allerdings zu einem noch deutlich größeren ökonomischen Problem werden.

Am Wochenende sagte Rohani, neuen Erkenntnissen zufolge könnten sich bereits 25 Millionen Iraner - also fast ein Drittel der Bevölkerung - mit dem Coronavirus infiziert haben. Das gehe aus einer noch unveröffentlichten Studie des Gesundheitsministeriums hervor. Diese Zahlen werfen allerdings Fragen auf - denn bei einer so hohen Infiziertenzahl müsste auch die Zahl der Todesfälle deutlich höher sein.

In den letzten Wochen waren einige prominente iranische Künstler unter den Corona-Opfern. Ende Juni starb beispielsweise der Dichter Alireza Raheb im Alter von nur 53 Jahren nach einem zweiwöchigen Kampf gegen Covid-19 in einem Teheraner Krankenhaus.

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Der 81jährige Schriftsteller Javad Mojabi hat laut iranischen Medien eine heftige Covid-19-Infektion gut überstanden und ist auf dem Weg der Genesung. Seine Frau sagte der Tehran Times, er habe nach monatelanger Selbstisolation an einer Familienfeier teilgenommen und danach Symptome entwickelt, weshalb er stationär behandelt werden musste.

Die Corona-Pandemie trifft Iran in einer ohnehin sehr schwierigen Situation. Die massiven Sanktionen der USA setzen der angeschlagenen Wirtschaft zu, Arbeitslosigkeit und Inflation machten den Iranern schon vor dem Virus zu schaffen, und durch den sanktionsbedingt zusammengebrochenen Außenhandel sind die Zukunftsaussichten düster.

Atomabkommen wackelt

Der Versuch der Europäer, den Iranhandel via Instex zu retten und US-Sanktionen zu umgehen, kommt derweil nicht voran. Zwar wurde im April ein erstes Geschäft hierüber abgewickelt, aber es sieht nicht so aus, als ließen sich mit Instex neue stabile Handelsbeziehungen etablieren - was nicht zuletzt am massiven Druck aus Washington liegt. Die USA drohen Unternehmen, die weiter mit Iran Handel treiben, mit Sanktionen. Und der US-Markt scheint für viele dann doch wichtiger zu sein.

Vor diesem Hintergrund ist auch die Zukunft des 2015 geschlossenen und 2018 von den USA einseitig aufgekündigten Atomabkommens (JCPOA) wackelig. US-Präsident Trump scheint entschlossen, den Deal zu zerschlagen, und die Europäer gehen bei dem Versuch, ihn zu retten, zu zaghaft vor. Der ehemalige Leiter des iranischen Ausschusses für Nationale Sicherheit und Außenbeziehungen, Seyed Hossein Mousavian, kritisiert das.

In einem Gastbeitrag für Zenith schreibt er, das Abkommen sei "ein klarer Sieg des Atomwaffensperrvertrags" und verweist darauf, dass kein Atomprogramm der Welt unter so engmaschiger Kontrolle stünde wie das iranische. Neunzig Prozent der Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) finden demnach in Iran statt. "Durch die Aufkündigung des Atom-Deals hat die Regierung Trump den stärksten jemals vereinbarten Kontrollmechanismus in der Geschichte des Atomwaffensperrvertrags zunichte gemacht", schließt Mousavian.

Er warnt die Europäer davor, auf eine mögliche Abwahl Donald Trumps im Herbst zu warten, da dieser in der Lage sei, noch im Vorfeld genug Porzellan zu zerschlagen, um eine spätere Wiederbelebung des Abkommens unmöglich zu machen.

Sanktionen zementieren Machtverhältnisse

In einer unlängst erschienenen Studie zum deutsch-iranischen akademischen und kulturellen Austausch kommt der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad zur Ansicht, dass die Sanktionen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Öffnung des Landes oder gar einen Demokratisierungsprozess absolut kontraproduktiv sind, da sie bestehende Machtverhältnisse zementieren:

Es ist essentiell, ein Sanktionsregime zu beenden, das sich als zutiefst kontraproduktiv in Bezug auf den Einsatz für Demokratie erwiesen hat.

Ali Fathollah-Nejad

2021 wird in Iran ein neuer Präsident gewählt. Nach zwei Amtszeiten kann Hassan Rohani nicht erneut kandidieren. Die Gefahr, dass die Hardliner-Fraktion um Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei, die bereits das Parlament dominiert, auch das Präsidentenamt wieder übernehmen wird, ist groß. Für die Lösung internationaler Konflikte wäre das ein weiterer Rückschlag.