USA: Land der unbegrenzten Machtwillkür?

Justizminister William P. Barr beim Amtseid, Februar 2019. Bild: Weißes Haus

"Anything goes": Justizminister William Barr setzt neue Standards in der Gefolgschaft zum US-Präsidenten. Politischen Gegnern droht er mit Anklagen wegen gewalttätigen Umsturzes. In anderen Ländern wäre die internationale Empörung groß

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"New normal" auf dem Flaggschiff der westlichen Demokratie: Der US-Präsident sägt methodisch an der Legitimität der Wahlen am dritten November. Er präpariert die Öffentlichkeit für den in den USA beispiellosen Fall, dass er deren Ergebnis nicht akzeptieren wird, sollte er verlieren. Sein Justizminister assistiert ihm dabei, den politischen Gegner einzuschüchtern. Beide geben sich als Vertreter von Recht und Ordnung aus.

Der Justizminister und oberste Staatsanwalt der USA, William Barr, soll kürzlich bei einem Telefonat mit den leitenden Staatsanwälten der Bundesstaaten den Vorschlag unterbreitet haben, künftig gewalttätige Teilnehmer von Protesten mit einer Anklage wegen gewalttätigen Umsturzes vor Gericht zu bringen. Damit würde ihnen laut dem dafür zugrunde liegenden Gesetz Haftstrafen von bis zu 20 Jahren drohen.

Es gibt allerdings nur zwei anonyme Quellen aus dem Kreis der Telefonkonferenz, die dem Wall Street Journal von diesem Vorschlag erzählt haben. Berichte dazu, die es auch in deutschsprachigen Medien zu lesen gab, gründen auf diesen Quellen. Das gibt William Barr Spielraum, seine Aussagen zu dementieren oder zu relativieren - falls ihm daraus öffentlich Schwierigkeiten entstehen. An den Machtkämpfen innerhalb des Justizapparates ändert das nichts.

Politik der Angst und der Einschüchterungen

Die sind geprägt von Einschüchterungen und harten, beleidigenden Tönen Barrs gegen Staatsanwälte. Angst wird auch als Grund angegeben, weshalb sich nur zwei der Teilnehmer einem Medium gegenüber zu den Verschärfungsplänen beim Umgang mit Protesten geäußert haben. Sie befürchteten Konsequenzen. Barr ist, ähnlich wie sein Chef im Weißen Haus, nicht zimperlich bei Entlassungen.

Wer es an die obersten Posten in der Justiz gebracht hat, verzichtet nicht so leicht darauf. Auch wenn der Vorschlag des Justizministers darauf hinausläuft, dass die Macht seines Ministeriums in Washington zuungunsten der Befugnisse der leitenden Staatsanwaltschaften in den Bundesstaaten weiter ausgebaut wird.

Selbst wenn die Ankündigung, Teilnehmer von Protesten künftig wegen Aufruhr zu belangen, nur ein Vorschlag, eine Option ist, also nur angedacht ist, so dringt trotzdem ein politisches Signal durch. Auch das läuft auf Einschüchterung hinaus. Der Schock, dass die Justiz unter Trump, ihr Vorgehen gegen Proteste und Demonstranten auf eine neue strafrechtliche Ebene bringen kann, wird in den Köpfen der Protestierenden präsent sein.

Seit Wochen arbeitet Trump und sein Team an der Kampagne, den politischen Gegner als linksradikal darzustellen. Auf differenzierende Unterscheidungen kommt es da nicht an, sondern auf ein brachiales Gut-Böse-Schema, das zurück ist in den politischen Kämpfen, und sie mit einer Heftigkeit auflädt, die religiösen Überzeugungen gleichkommen. Barr pflichtete der Linie kürzlich bei.

In einem Interview äußerte er, dass die USA sich unwiderrufbar auf einen sozialistischen Weg verpflichten würden, falls Trump nicht wiedergewählt würde. Der "Mob auf den Straßen" würde von den Demokraten unterstützt.

Dass es ihm dabei nicht nur darum geht, einen pauschalen, prinzipiellen Zusammenhang mit "Aufrührern" und der konkurrierenden politischen Partei herzustellen, sondern auch um einen gezielten Angriff auf politische Gegner zeigt sich an seiner Attacke auf die Bürgermeisterin von Seattle, einer Demokratin namens Jenny Durkan, der er mit möglichen strafrechtlichen Konsequenzen drohte, weil sie die Errichtung einer "polizeifreien Protest-Zone" ermöglichte.

Politischer Klimawandel

Dem Justizminister wird der Vorwurf gemacht, dass er sich distanzlos an der Wahlkampagne von Trump beteiligt. In den letzten Tagen lieferte Barr einige Bespiele, die diesen Vorwurf bestätigen. Auch er untergräbt das Vertrauen in die Briefwahl mit einem Kampagnen-Vokabular. Vorgeworfen wird ihm Irreführung. In einer plakativen, auf Empörung zielenden Sprache äußerte er sich zur Corona-Krise, die seinem obersten Dienstherrn zu schaffen macht. So verglich er Lockdown-Maßnahmen mit Sklaverei.

Von einer Politisierung seines Amtes, die ihm vorgeworfen wird, will Barr allerdings nichts wissen, das weist er selbstverständlich weit von sich. Schwer gemacht wird ihm das lockere Abfedern von solchen, eigentlich schwerwiegenden Vorwürfe nicht.

Das liegt einerseits am politischen Klimawandel in den USA, wo sich die Amerikaner seit George W. Bush Anti-Terror-Krieg daran gewöhnt haben, dass die Exekutive den Justizapparat für ihre Zwecke einspannt, legitimiert durch der Terror-Vorwurf, den Trump in auffallender Weise nun stark nach innen richtet. Begleitet von einer Beschimpfungskampagne. Man hat sich die letzten Jahre an hartes politisches Kampfvokabular gewöhnt, wie auch an das Misstrauen gegenüber politischen Institutionen, das nun von der Regierung selbst für die eigene Machterhaltung ausgenutzt wird.

Zum anderen tut sich Barr leicht, weil viele seiner politischen Manöver Betriebsgeheimnis bleiben. So hat kürzlich eine angesehene Juristin ihre Arbeit bei einem Untersuchungsteam gekündigt, die mit großem Pomp angekündigt, letztlich die Rivalen der Trump-Regierung zur Rechenschaft ziehen soll, die ihm mit der Anklage der Zusammenarbeit mit Russland das Impeachment-Verfahren eingebracht hatten.

Die Juristin Nora Dannehy, immerhin Chef-Beraterin des Leiters der Untersuchung, John Durham, stieg ohne öffentliche Begründung aus. Kenner der Verhältnisse bieten eine plausible Erklärung an: Trump setzte seinen Justizminister unter Druck, dass er die Untersuchung über von Demokraten motivierte Machenschaften im FBI, die Trump Schaden zufügen sollten, mit passendem Ergebnis noch für seinen Wahlkampf verwenden kann.

"Entweder ist er ein Großer oder politisch korrekt"

Es habe sich jedoch gezeigt, dass dies in so kurzer Zeit nach gegebenen juristischen Standards der Sorgfalt nicht möglich sei. Weswegen der Druck noch einmal erhöht wurde mit der Vorgabe, auch ein vorläufiges Ergebnis zu präsentieren. Die Juristin habe diese Vorgabe nicht mit ihrem Arbeitsethos zusammenbringen können, heißt es aus Juristenkreisen.

Für den Teil der Öffentlichkeit, den Trump für seine Wiederwahl mobilisieren will, dürften solche Interna keine große Rolle spielen. Der Amtsinhaber hat Barr vor die Alternative gestellt, dass er entweder als Großer in die Geschichte eingeht, falls er Resultate in der Sache liefert, oder, sollte er sich "politisch korrekt verhalten", so würde er vergessen. Von hierarchischer Seite her ist klar, dass Barr kein unabhängiger Justizminister sein soll - sein Vorgänger Jeff Sessions, der genau dies versucht hat, wurde gefeuert -, sondern ein dem Dienstherrn verpflichteter Empfänger politischer Weisungen.

Barr konterte die Äußerung, die Zeiten der epischen Helden Homers, die Jahrhunderte überlebten, sei vorbei. Er sehe sich nicht als Held.