Spanien sieht überall Terroristen und prügelt friedliche Protestler

Der Clown und Stadtrat Jordi Pesarrodona. Foto: Ralf Streck

Das Land scheitert mit dem Versuch, katalanische Aktivisten zu Terroristen zu stempeln. Der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof stärkt mit einem Urteil gegen Spanien das Demonstrationsrecht insgesamt

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Dass man in Spanien gerne überall Terroristen sehen will, ist wahrlich keine Neuigkeit. Sogar friedliche Veganer werden zu Terroristen, auch Basken, die in eine Kneipenrangelei verwickelt waren oder auch katalanische Aktivisten. In vielen Fällen scheiterten die Versuche der Politik und der Justiz, trotz allem saßen oder sitzen Betroffene zum Teil lange Jahre in Untersuchungshaft oder im Gefängnis. Bisweilen werden sie auch zu langen Haftstrafen verurteilt, obwohl Terrorismus-Anklagen zusammenbrechen

Im Fall der katalanischen Komitees zur Verteidigung der Republik (CDR) ist die Ausbeute der spanischen Justiz bisher aber mehr als dünn, doch man gibt in Madrid nicht auf und strickt weiter an Vorwürfen. Dabei, wie von Telepolis berichtet, ist das Terrorismuskonstrukt im Fall der CDR-Mitglieder längst zusammengebrochen. Von Anschlägen war genauso keine Spur, wie von Sprengstoff. Feuerwerkskörper sind das genauso wenig wie Sägemehl oder Düngemittel. Obwohl alle Beschuldigten längst freigelassen werden mussten, wird aber weiter unter dem absurden Vorwurf ermittelt.

Freispruch und Schlappe

Dabei musste die spanische Staatsanwaltschaft gerade am Dienstag eine enorme Schlappe hinnehmen. Die angebliche "CDR-Terroristin" Tamara Carrasco musste in ihrem Verfahren sogar freigesprochen werden. Es ist ein klarer Fall, wie legale und legitime Proteste politisiert werden, um zu versuchen, sie hart bestrafen zu können. Allerdings fand sich sogar am Madrider Sondergericht Nationaler Gerichtshof in diesem Fall mit Richter Diego De Egea ein Mann, der die dubiosen Anschuldigungen wegen Terrorismus und Rebellion der paramilitärischen Guardia Civil und des Ministeriums für Staatsanwaltschaft zurückwies. Er verwies deshalb das Verfahren an das ordentliche Strafgericht in Katalonien.

Doch das zuständige Gericht in Barcelona sprach nun Tamara Carrasco auch davon frei, zu Ausschreitungen aufgerufen zu haben. Denn auch dafür konnten keine Beweise gefunden werden. Zu Krawall soll sie nach der Verhaftung von Exilpräsident Carles Puigdemont in Deutschland aufgerufen haben. Doch auch die deutsche Justiz konnte die absurden spanischen Vorwürfe wegen Rebellion und Aufruhr nicht nachvollziehen, weshalb man Puigdemont nicht ausgeliefert hat.

Es ist bekannt, dass die spanische Staatsanwaltschaft über eine blühende Phantasie verfügt, wenn es darum geht, missliebige Personen aus dem Verkehr zu ziehen. Im Fall Carrasco wurde Terrorismus und Rebellion gesehen, weil sie sich in einer Whatsapp-Gruppe für Straßenblockaden ausgesprochen hatte.

Nachdem diese schweren Vorwürfe gefallen waren, wollte sie Carrasco immerhin noch eine Haftstrafe von sieben Monaten verurteilt wissen. Das Ministerium für Staatsanwaltschaft forderte auch, dass sie in dieser Zeit auch das Wahlrecht verlieren sollte.

Doch die zuständige Richterin konnte nicht einmal feststellen, wann sie zu Ausschreitungen aufgerufen haben soll. Für sie ist "offensichtlich, dass in der ausgesandten Nachricht keine Losung in diese Richtung ausgegeben wurde." Im Urteil greift sie vielmehr die Guardia Civil dafür an, dass Anschuldigungen wegen "so schwerer Delikte" erhoben wurden, ohne auch nur zu benennen, woher die Whatsapp-Nachricht stammt. "Das ist wenig ernsthaft", urteilte Maria Lluisa Maurel.

Dass Carrasco sogar die CDR-Aktionen koordiniert und geleitet haben soll, dafür gab es auch keine Beweise. Obwohl ihr nichts vorzuwerfen war, saß sie zunächst kurz im Gefängnis, dann in Hausarrest und durfte mehr als ein Jahr ihre Heimatgemeinde nicht verlassen. Sie fordert nun eine Entschädigung. Die Frage ist aber auch, was nun mit Adrià Carrasco passiert. Der hatte sich, angesichts der absurden schweren Vorwürfe, wie etliche andere Politiker und Aktivisten nach Belgien abgesetzt, das Auslieferungen auch verweigert.

Amtsverbot für den Clown und Stadtrat Jordi Pesarrodona

Andere haben bekanntlich wie die Politiker und Aktivisten vor spanischen Gerichten weniger Glück wie Carrasco, die für einen erfundenen Aufruhr schließlich sogar zu Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt wurden, weil sie friedlich Wahlurnen aufgestellt haben.

Gerade wurde auch der Clown und Stadtrat Jordi Pesarrodona wegen "Ungehorsam" zu einer Geldstrafe und zu einem Amtsverbot von 14 Monaten verurteilt, weil er sich während des Referendums 2017 wie viele Menschen den brutalen spanischen Schlägertruppen friedlich entgegengestellt hatte, um die Abstimmung zu schützen. Internationale Beobachter waren schockiert über die massive Gewalt von Guardia Civil und Nationalpolizei in einer "militärähnlichen Operation". Hunderte Verfahren laufen noch.

Auch die Amtsenthebung des katalanischen Regierungschefs Quim Torra zeigt, dass die spanische Repression unvermindert anhält. Am Dienstag nahm das Verfassungsgericht seinen Einspruch gegen das kürzlich bestätigte Urteil wegen der Bagatelle - ein Transparent nicht abgehängt zu haben - sogar an. Aber das Gericht weigerte sich, die Amtsenthebung bis zur Entscheidung im Hauptverfahren auszusetzen.

Wieder zeigt sich, wie politisiert die spanische Justiz ist. Das Gericht argumentiert genau umgekehrt, wie man das für den gebotenen Rechtsschutz eigentlich erwarten müsste. Es erklärt: "Es handelt sich um eine juristische Frage mit allgemeinen und relevanten sozialen und ökonomischen Auswirkungen, der allgemeine politische Konsequenzen haben könnte".

Genau deshalb sollte die Amtsenthebung aber ausgesetzt werden, bis diese so bedeutsame Frage ausführlich in einem Hauptverfahren geprüft werden kann. Letztlich hat dieses Gericht erneut entschieden, das sich sogar schon von der spanischen Regierung zum präventiven Vorgehen gegen Puigdemont einspannen ließ, im Zweifel gegen und nicht für den Angeklagten zu entscheiden, wie es in einer Demokratie üblich ist.

Verschleppungstaktik

Es ist sogar zu vermuten, dass das höchste Gericht dieses Verfahren nur angenommen hat, um den Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu verschleppen. Denn dazu muss zunächst der Rechtsweg im Heimatland ausgeschöpft werden. Neu ist solch ein Vorgehen der höchsten Richter nicht. Zwei Klagen hat das Gericht zum Beispiel angenommen, ob die Absetzung der gesamten Puigdemont-Regierung über eine Zwangsverwaltung verfassungsgemäß war.

Auch hier wurden Fakten geschaffen, weil keine vorsorglichen Maßnahmen erlassen wurden. Andersherum erlässt das Gericht bisweilen vorsorgliche Maßnahmen, wie zum Nachteil von Puigdemont, die niemand beantragt hat. Über die Klagen, ob die Puigdemont-Absetzung rechtmäßig war, ist in den vergangenen drei Jahren nicht entschieden worden. Derweil wurde faktisch schon der nächste katalanische Präsident aus dem Amt gejagt.

Verschleppungstaktik der spanischen Justiz ist wahrlich bekannt. So mussten baskische Politiker zum Beispiel die gesamte Haftstrafe (6,5 Jahre) absitzen. Erst nachdem sie wieder in Freiheit waren, konnte der EGMR in Straßburg entscheiden, dass sie keinen fairen Prozess in Spanien hatten. Noch einmal fast zwei Jahre später kassierte schließlich der Oberste Gerichtshof dann sein Unrechtsurteil kürzlich, das natürlich auch vom politisierten Verfassungsgericht abgenickt worden war.

Europäischer Gerichtshofs für Menschenrechte stärkt Proteste

Und im Zusammenhang mit Freiheitsrechten hat der EGMR, der Spanien ja immer öfter auch wegen Folter und Misshandlungen oder in Fragen der Meinungsfreiheit verurteilt, am Dienstag das Land erneut verurteilt. In dem Fall ging es darum, dass Sicherheitskräfte eine spontane Demonstration gegen die Kürzungspolitik der Regierung 2014 brutal aufgelöst haben.

Es sei angesichts einer spontanen Demonstration, die bis zum Einschreiten der Polizei "friedlich" verlief, "unverhältnismäßig" Gewalt angewendet worden, ohne dass die Demonstranten zuvor auch nur vor Gewaltanwendung gewarnt worden sind, die nicht einmal den Verkehr blockiert hatten.

Damit unterstreicht Menschenrechtsgerichtshof letztlich überall, dass auch spontane Proteste erlaubt sind. Spanien sieht das bekanntlich anders und kriminalisiert sie mit Strafrechtsverschärfungen und Maulkorbgesetzen. Es ist in Spanien ein normales Vorgehen spanischer Sicherheitskräfte, wie kürzlich auch in Madrid wieder zu beobachten war, ohne Warnung auf friedliche Demonstranten einzuprügeln.

Allerdings wurde mit dieser Entscheidung eine Vorentscheidung getroffen. Das Urteil lässt vermuten, was die Richter zu den Prügelorgien während des Referendums in Katalonien urteilen werden, wenn die Klagen endlich nach Straßburg kommen. Einem Menschen wurde sogar das Auge ausgeschossen und er wird dafür angeklagt, wie Roger Español im Telepolis-Gespräch ausgeführt hat.

Vielsagend ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Menschenrechtsgerichtshof in seiner jüngsten Entscheidung Ermittlungen gegen die uniformierten Gewalttäter vermisst. Schließlich wurde die Klägerin 2014 bei dem Angriff in Valladolid so schwer verletzt, dass ihr 2016 eine "dauerhafte Invalidität" zugesprochen wurde.