Größte Zwangsräumung seit Langem in Berlin

Liebigstraße 34, Ecke Rigaer Straße in Berlin Friedrichshain. Foto (Dezember 2018): St. Krug/CC BY-SA 3.0

Ein Jahr vor der Berlinwahl wird in der Stadt unter der Verantwortung von Rot-Rot-Grün ein linkes Wohnprojekt geräumt - gegen den Protest von Mieterorganisationen

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"Massive Steinwürfe von den Dächern", ruft eine Stimme. Unter dem Titel "14.11.1990 - ein musikalisches Psychogramm" hat das aus dem Musiker Marc Weiser und dem Musikproduzenten Jürgen Hendlmeier bestehende Bandprojekt Arurmukha in einem beeindruckenden Musikstück an die Nacht erinnert, als vor fast 30 Jahren 12 Häuser in einem Straßenzug in Friedrichshain besetzt wurden.

Zum Jubiläum erinnert ein Projekt von Geschichtsstudierenden, die bereits vor 5 Jahren die Webseite über die Geschichte der Straße erstellt hatten, mit dem Buch "Traum und Trauma" an die kurze Geschichte einer Utopie in den Wende-Monaten. In dem Buch wird aus einem Artikel der Washington Post zitiert, die nach der Räumung schrieb, dass die "Mainzerstraßen-Kids" ihre Kratzer und Schrammen wie Auszeichnungen trugen und die Hausbesetzungen als politisches Statement praktizierten. Sie seien auf der Suche nach einer politischen Utopie in den Westen gegangen und an der Wiedervereinigung gescheitert.

Wie man vor 30 Jahren in Ostberlin eine Wohnung fand

Auch "Stino" war vor 30 Jahren auf der Suche nach einem anderen Leben von Schwaben nach Berlin zum Studium gekommen. Auf der Suche nach einer Wohnung versammelte sich der Mann mit dem Alias-Namen an einen Junitag im Jahr 1990 mit Leidensgenossen an einem Platz in Ostberlin und begab sich auf Wohnungssuche.

Ein Makler war damals nicht dabei, vielmehr inspizierten die Menschen die vielen leerstehenden Häuser, und wenn sie einigermaßen bewohnbar waren, so blieben sie drin und versuchten, sich einzurichten. So wurden damals in Berlin Wohnungen besetzt. Stino war mit zwei anderen Personen der Türöffner zur Liebigstraße 34 in Friedrichshain. Vor einem Jahr veröffentlichte er unter dem Titel "Von West nach Ost in Berlin 1990" einen sehr subjektiven Bericht über die Tage der Besetzung.

Er endet mit der Räumung der Mainzer Straße, die für Stino wie für viele der Beteiligten auch ein Trauma war. Am vergangenen Freitag musste Stino mit ansehen, wie auch die von ihm vor über 30 Jahren besetzte Liebigstraße 34 mit einem Großaufgebot der Polizei geräumt wurde. Gewohnt hat Stino schon lange nicht mehr dort.

Seit mehr als 10 Jahren war das Haus ein queer-feministisches Projekt. Doch vor allem waren die Bewohnerinnen des Hauses Mieterinnen des seit Jahren in der Kritik stehenden Investors Padovicz. Einige Mieter haben sich in dem Blog Padowatch vernetzt, um sich über die dortigen Schikanen gegen Mieter auszutauschen und zu koordinieren. Berliner Mieterorganisationen haben sich noch in den letzten Tagen gegen die größte Zwangsräumung in Berlin der letzten Jahre gewandt.

Auch die Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner Mietergemeinschaft lehnte in einer Erklärung die Räumung ab und forderte den Senat auf, keinerlei Infrastruktur zu der Räumung zur Verfügung zu stellen, um für den Investor Padovicz, der seit Jahren wegen seiner "mieterfeindlichen Haltung" in der Kritik steht, ein Haus leerzuräumen.

Keine Polizeikräfte, keine Hubschrauber, keine Absperrmaßnahmen sollen einen derart berüchtigten Eigentümer dabei unterstützen, Mieterinnen kurz vor dem bevorstehenden Winter in die Obdachlosigkeit zu zwingen. Das ist das Mindeste, was von einem Senat gefordert werden kann, der von Parteien getragen wird, die sich links nennen und die Wohnungsproblematik vor den letzten Wahlen zu einem zentralen Thema erklärten und mit entsprechenden Slogans für sich warben.

Aus der Erklärung der Bezirksgruppe Friedrichshain der Berliner Mietergemeinschaft

Berliner Senat in der Kritik

Die Mieterorganisationen widersprachen auch Aussagen von Politikern der Linken und der Grünen, die davon sprachen, dass mit der Räumung ein juristisches Urteil zugunsten von Padovicz umgesetzt werde. Es sei eine politische Frage, für die Interessen eines Investors Grundrechte in einem Stadtteil außer Kraft zu setzen und millionenschwere Polizeieinsätze anzuordnen, argumentierten dagegen die Mieterorganisationen.

Es wurde daran erinnert, dass Mieter ihre Rechte beispielsweise gegen Zweckentfremdung von Wohnraum oder der Umsetzung des Mietendeckels oft nicht durchsetzen können, weil es nicht genug Personal in den Verwaltungen gibt. Der Berliner Senat müsse sich entscheiden, ob er aufseiten von Investoren wie Padovicz oder der Mieterinnen und Mietern steht, war der Tenor der Erklärungen. Mit der vollzogenen Räumung ist die Frage geklärt.

Tatsächlich muss man präzisieren, dass vor allem die SPD und der zuständige Innensenator Andreas Geisel die Räumung auf jeden Fall durchsetzen wollten und auch nicht bereit waren, sie wegen des Anstiegs der Coronazahlen zu verschieben, wie die Linke in Berlin es vor einigen Tagen anregte.

Ob ihr diese vorsichtige Absetzbewegung von der Räumung bei der in Berlin starken Mietenprotestbewegung nutzen wird, ist fraglich. Schließlich wurde erst vor 2 Monaten die linke Neuköllner Stadtteilkneipe Syndikat nach einen Räumungsantrag der Briefkastenfirma Pears Global geräumt.

Auch hier sorgte der Innensenat für die nötige Logistik und die Umgebung der Kneipe wurde schon am Abend zuvor abgeriegelt, was viele Anwohner empörte. Auch die Syndikat-Betreiber hatten einen Gewerbemietvertrag, den der neue Investor nicht verlängern wollte. Jetzt stehen die Räume schon seit 2 Monaten leer.