Mittelmeer-Streit: Deutschland beschwichtigt, Erdogan trumpft auf

Erdogan im Präsidentenpalast in Ankara. Archivfoto (2014): Glenn Fawcett/gemeinfrei

Die Regierung in Ankara schickt die Oruc Reis wieder dorthin, wo sie schon einmal für Ärger sorgte. Griechenland sagt Gespräche ab

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Alles wieder auf Anfang? Die griechische Regierung sagt nun nein zu Gesprächen mit der Türkei. Solange sich das türkische Schiff Oruc Reis in Gewässern bewege, die von Griechenland beansprucht werden, werde es keine Sondierungskontakte mit der Türkei geben, teilte der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas mit. Die Entsendung des Explorationsschiffes in Gewässer in der Nähe der Insel Kastellorizo stellt aus Sicht der griechischen Regierung eine "schwerwiegende Eskalation" und eine "direkte Bedrohung des Friedens" dar.

Gestern wurde die Oruc Reis neuerlich in die umstrittenen Gewässer losgeschickt (Türkisches Sondierungsschiff mit Piratennamen erneut auf Erdgassuche), obwohl ihre Rückbeorderung vor kurzem noch als Signal des Entgegenkommens gepriesen wurde, das nötig war, um die Gespräche der beiden Streitparteien zu ermöglichen. Die Rückbeorderung der Oruc Reis vor einem Monat war auch für die deutsche Regierung eine wichtige Rückendeckung.

Denn die Regierung Merkel setzte sich maßgeblich dafür ein, dass es in der Streitsache keine EU-Sanktionen gegen die Türkei geben würde, obwohl Frankreich und EU-Südländer dafür waren (Merkel setzt sich durch).

Nun führt sie die türkische Regierung erneut vor. Erdogan stellt die Bedingungen. Die deutsche Politik gibt ihm großen Raum für seine Selbstverwirklichungsprojekte. Erdogan schaut in osmanische Geschichtsbücher und auf Admirals-Ideen (Blue Homeland). Die deutsche Regierung schaut gebannt auf die geopolitische Bedeutung der Türkei, auf deren Bereitschaft zu militärischen Aktionen, auf kommende Flüchtlingskrisen und auf ihre Bürger mit türkischem Hintergrund. Bei den auf Beschwichtigung setzenden Handlungen spielen Geschäftsinteressen und eine Portion Angst mit.

Wie anders ist zu erklären, dass die Türkei von deutscher Seite Unterstützung beim Verstoß gegen das UN-Waffenembargo in Libyen bekommt (Airbus wartet türkische Militärflugzeuge?), wie auch bei der Weiterentwicklung von Drohnen, die die militärische Schlagkraft der Türkei erheblich erhöhen (Deutsche Rüstungsindustrie an türkischem Drohnen-Programm beteiligt), statt dass sich Deutschland entschlossen gegen die aggressive Politik der Türkei wendet?

Im Hintergrund gibt es dazu auch noch anstehende Verhandlungen über einen neuen Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Berlin befürchtet, dass Erdogan seine regelmäßig geäußerten Drohungen, Grenzen wie Schleußen zu öffnen, umsetzt, was er ja auch schon gemacht hat. Aus Angst vor Reaktionen der türkischen Regierung scheut Berlin den Konflikt mit Erdogan.

Selbst wenn seine islamistischen Milizentruppen in Syrien und Libyen Menschen peinigen, behält sich die Regierung Merkel vor, es bei hier und da geäußerter unverbindlicher Kritik zu lassen und dort, wo es um verbindliche Handlungen geht, zu kuschen. Das zeigt sich etwa bei der Rücknahme von Kindern aus kurdischen Lagern für IS-Familien, wo sich Berlin hinter diplomatischen Formalien versteckt, weil man auf keinen Fall die Türkei dadurch vergrämen will, dass die kurdische Selbstverwaltung indirekt anerkannt wird. Geschweige denn, dass der große Skandal, das brutale Vorgehen in den "türkischen Protektoraten" in Syrien gegen die kurdische Bevölkerung, jemals klar angesprochen würde.

Maas: "Ankara muss das Wechselspiel zwischen Entspannung und Provokation beenden"

Jetzt, nachdem die Türkei mit der Entsendung der Oruc Reis bestätigt, dass ihr die Politik der Durchsetzung von Gebietsansprüchen wichtiger ist als Gespräche und Abmachungen, gibt es eine sanfte Rüge des deutschen Außenministers Maas "Ankara muss das Wechselspiel zwischen Entspannung und Provokation beenden, wenn die Regierung an Gesprächen interessiert ist - wie sie es ja wiederholt beteuert hat" - nachdem sich Deutschland zuvor in der EU dafür eingesetzt hatte, dass die Türkei praktisch keine Konsequenzen zu befürchten hat.

Das ist der Preis, auf den Erdogan achtet. EU-Sanktionen würden die Türkei empfindlich treffen. Die diplomatischen Kommentare von Maas dagegen weniger:

Die EU-Partner Zypern und Griechenland hätten die "volle Solidarität, auch in unserer aktuellen Rolle als EU-Ratspräsidentschaft", betonte der SPD-Politiker. Es sei klar, dass alle Seiten an einem vernünftigen Nachbarschaftsverhältnis arbeiten müssten. "Wir appellieren daher an die Türkei, dass das gerade geöffnete Dialogfenster mit Griechenland durch einseitige Maßnahmen nicht wieder zugestoßen wird."

Tagesschau

Immerhin hat Maas seinen angekündigten Besuch in Ankara abgesagt, er wird nur Zypern und Griechenland besuchen. Der stärkste Widerstand für Erdogan aus der EU kommt aus Frankreich. Zwar hatte Macron nach einem längeren Telefonat mit dem türkischen Präsidenten am 22. September kurz den Eindruck vermittelt, dass es Verständnismöglichkeiten gibt. Aber es kamen keine inhaltlich relevanten Ergebnisse an die Öffentlichkeit.

Da sich beide wieder öffentlich streiten, diesmal wegen Macrons Ankündigung einer Politik gegen Islamisierung in Frankreich ("eine klare Provokation", Erdogan), die auch türkische Imame betreffen, ist es so, als habe es dieses Gespräch gar nicht gegeben. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass beide in ihrem Image davon profitieren, wenn sie sich als Gegner des anderen darstellen.

Ohnehin sieht es nicht so aus, als ob es eine Lösung im Gas-Streit und den komplizierten Gebietsansprüchen im Mittelmeer geben kann. Die Streitparteien sitzen auf einem völlig anderen Dampfer.

So stützt sich Griechenland auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1994 (SRÜ, häufiger ist die englische Abkürzung UNCLOS), das auch für kleinere Inseln wie Kastellorizo einen Anspruch über ein eigenes Kontinentalsockel begründet, während die Türkei diesen Anspruch absolut ablehnt und auch UNCLOS nicht unterzeichnet hat.

Ergänzung: In der Darstellung des Außenministeriums der Türkei, wie sie von der griechischen Zeitung Ekathimerini übermittelt wird, ist Griechenland die Partei, die die Situation im Mittelmeer eskaliere.