Nato diskutiert Flucht aus Afghanistan

Bild: Resolute Support

Verteidigungsminister beraten in Brüssel Truppenrückzug und Ende der Mission Resolute Support. Nach Rückholung von US-Militärs ist Abzug kaum vermeidbar

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Während die Nato-Verteidigungsminister am heutigen Freitag in Brüssel ein Ende der Militärmission Resolute Support und einen möglichen Abzug aus Afghanistan beraten, hat die Bundesregierung die Vorbereitung für eine Rückholung der deutschen Truppen bereits in die Wege geleitet.

Nach Informationen von Telepolis hat die Bundeswehr schon in der zweiten Augusthälfte Kräfte in den Norden Afghanistans verlegt, um eine sogenannte Rückverlegungs- und Verwertungsorganisation aufzubauen. Ziel dieser Einheit ist es, nicht mehr notwendiges Material zu entsorgen, vor Ort an Bündnispartner zu übergeben oder nach Deutschland zurückzuholen.

Verschiedene deutsche Medien hatten über das Ende des Einsatzes bereits berichtet. Aus Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums geht nun hervor, dass im Hintergrund auf Hochtouren daran gearbeitet wird, "die Voraussetzungen für eine mögliche geordnete Rückverlegung des deutschen Einsatzkontingents in Afghanistan zu schaffen".

Hintergrund ist der angekündigte Abzug der US-Truppen aus dem zentralasiatischen Krisenstaat. Unlängst hatte US-Präsident Donald Trump entsprechende Pläne bekräftigt und überraschend angekündigt, die eigenen Soldaten bereits bis Weihnachten abzuziehen.

Die USA stellen eines der größten Kontingente in Afghanistan. Ende Februar hatten die Trump-Regierung und die Taliban einen Friedensvertrag geschlossen, der - halten sich die radikalen Islamisten an die Vereinbarung - den Abzug "aller ausländischer Kräfte" aus dem Land vorsieht. Auch wenn die Bundesregierung und andere Nato-Staaten nicht Teil der Vereinbarung sind, betrifft sie den Nordatlantikpakt unmittelbar.

Dessen ist man sich in Berlin bewusst: "Für uns ist es ganz wichtig, dass die Verhandlungen, die es derzeit gibt, auf einem guten Wege sind, und für uns ist es ganz wichtig, dass wir innerhalb der Nato gemeinsam vorgehen", sagte Außenamtssprecherin Maria Adebahr unlängst, um auf "Konsultationen" innerhalb des Bündnisses zu verweisen.

Einen Tweet des US-Präsidenten zum Abzug bis Weihnachten habe die Bundesregierung zur Kenntnis genommen. "Wenn es konkrete Planungen der US-Seite geben sollte, dann würden wir erwarten, dass man die mit uns teilt und dass man das bespricht", so Adebahr, die damit auf ein Hauptproblem der Nato-Kräfte in Afghanistan verwies: US-Präsident Trump hat durch sein eigenmächtiges Vorgehen den Druck auf die übrigen ausländischen Truppen, das Land zu verlassen, massiv erhöht.

2019 mehr als 41.000 Tote bei bewaffneten Auseinandersetzungen

Die Bundeswehr jedenfalls verlegt bis zum 1. November weitere Experten zur Vorbereitung einer Rückholung der deutschen Truppen in den Krisenstaat, heißt es in Antworten auf Fragen der Linksfraktion. Insgesamt seien für diesen Zweck 147 Soldatinnen und Soldaten sowie Angehörige der Wehrverwaltung eingesetzt. Es gehe darum, heißt es derweil aus der Bundeswehr, "mögliche Anpassungsmaßnahmen" bei der Nato-Mission Resolute Support vorzubereiten. Dies schließe auch die Vorbereitung einer Rückverlegung mit ein, sollte es eine entsprechende Entscheidung des Bündnisses geben.

Derzeit sind rund 1000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Norden von Afghanistan stationiert. Hauptstützpunkt ist das Feldlager Camp Marmal nahe der nordafghanischen Stadt Masar-i-Sharif. Nach dem Bundestagsmandat, das seit Anfang 2015 mit Stimmen der Regierungsparteien und Teilen der Opposition jährlich verlängert wird, können bis zu 1300 Bundeswehrangehörige nach Afghanistan entsandt werden.

Die Operation Resolute Support der Nato hat die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte zum Ziel. Sie folgte auf die Nato-Besatzungsoperation Isaf, die 2003 begonnen wurde und Mitte 2013 auslief.

Nach Angaben der Uno-Mission in Afghanistan (Unama) konnte durch die US-Invasion in Afghanistan und die folgende dauerhafte Nato-Militärpräsenz keine Befriedung des Landes erreicht werden. Im Unama-Bericht vom Februar 2020 werden für das Jahr 2019 als Folge des bewaffneten Konflikts insgesamt 10.392 zivile Opfer angegeben, 3.403 tote und 6.989 verletzte Zivilisten. Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) der University of Sussex dokumentierte im gleichen Zeitraum 13.622 militärische Aktionen und Kampfhandlungen, die Forscher geben die Zahl der Toten mit insgesamt 41.725 an. Ein Drittel der Toten sei auf Luftangriffe der Nato-Kräfte zurückzuführen.

Die Bundesregierung müsse angesichts des Friedensabkommens in Afghanistan und des geplanten Abzugs der US-Truppen bis Weihnachten eine mutmaßliche Rückholung der verbleibenden Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr öffentlich und transparent machen und ihre Afghanistan-Strategie grundlegend neu ausrichten", sagte Heike Hänsel, Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Dafür sei eine Umwidmung der Gelder in zivile Aufbau- und Friedensprojekte notwendig, so Hänsel, die sich bei der Bundesregierung nach den Vorbereitungen der Rückholung von Soldatinnen und Soldaten sowie militärischem Gerät erkundigt hatte.

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