Slow-Down, Teil-Shutdown oder Lockdown?

Archivbild: Corona-Krisensitzung der italienischen Task-Force unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Conti im Februar dieses Jahres. Foto: Governo Italiano/CC BY 3.0

Die zweite Corona-Welle in Europa ist in vollem Gang. Die zweite Lockdown-Welle auch

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Während man in Deutschland und Österreich noch hofft, dass die bestehenden Corona-Maßnahmen einen zweiten Lockdown verhindern können, ist man in anderen Ländern schon weiter: In der Schweiz befindet man sich vor, in Italien und Spanien bereits in einem zweiten Lockdown - man nennt ihn nur anders.

Schweiz: "Teil-Shutdown" oder "außerordentliche Lage"?

Nach dem Lockdown im Frühjahr hatte man das Coronavirus in der Schweiz so gut wie abgehakt. In der Alpenrepublik ließ sich ungehindert Sommerurlaub machen. Coronamaßnahmen: Fehlanzeige. Pandemie war woanders.

Noch Ende September erklärte ein Mitglied der Schweizer Covid-19-Task-Force "Es sieht gerade wirklich, wirklich gut aus." Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum 500 Corona-Fälle pro Tag. Zwei Wochen später, bei etwa 1.100 Fällen, erklärte er, eine zweite Welle sehe er nicht. Nochmals zwei Wochen später und man hört von diesem Epidemiologen: nichts. Die positiven Fälle liegen nun bei über 6.000 täglich.

Die offizielle Losung in der Schweiz lautet noch: Ein Lockdown müsse um jeden Preis verhindert werden. Doch erst kürzlich eingeführte bundesweite Corona-Maßnahmen gelten angesichts der exponentiellen Entwicklung schon nach wenigen Tagen nun als überholt. Laut dem Chef der Corona-Task-Force der Regierung könne es bei einer unveränderten Dynamik in zwei bis drei Wochen zu einer Überlastung der Krankenhäuser kommen.

Momentan haben die Kantone noch ein stärkeres Mitspracherecht. Doch die sind sich über die zu ergreifenden Maßnahmen uneins. Nun steht die Möglichkeit im Raum, dass der Schweizer Bundesrat sich wieder gezwungen sehen könnte, das öffentliche Leben herunterzufahren, vielleicht sogar wieder die "außerordentliche Lage" auszurufen. Momentan ist von einem nationalen "Teil-Shutdown" die Rede.

Italien: Teileinschränkung zur Vermeidung der Totaleinschränkung

Auch in Italien lautet die Devise der Regierung, dass man einen zweiten Lockdown verhindern müsse. Auch in Italien werden derzeit noch regional unterschiedliche Strategien verfolgt, um eine Verschlimmerung der Lage zu verhindern. Auch in Italien hinkt man der Infektionswelle hinterher.

Bereits in sechs von zwanzig Regionen wurden nächtliche Ausgangssperren und weitere Restriktionen verhängt oder angekündigt. Nun hat Premierminister Giuseppe Conte, der bemüht ist, die erneute Kapitulation vor dem Virus zu vermeiden, weitere Maßnahmen angekündigt. Kinos, Theater und Fitnessstudios müssen schließen, für Bars und Restaurants gilt eine Sperrstunde ab 18.00 Uhr.

Zur Vermeidung eines kompletten Shutdown ist auch Italien bemüht, mittels abgestufter und regional begrenzter Maßnahmen das Infektionsgeschehen zu beherrschen. Doch damit lastet der Druck auf den Entscheidungsträgern in den Regionen. Zu welchen Konsequenzen dies führen kann, zeigen Proteste in Rom und Neapel, nachdem die dortigen Regionalregierungen Ausgangssperren verhängt und, im Falle von Neapel, einen Shutdown angekündigt hatten.

Einige Regionalpräsidenten hatten landesweite Maßnahmen, darunter die Schließung aller Schulen gefordert. Doch Ministerpräsident Conte hat, vermutlich auch unter dem Eindruck des wachsenden Widerstands gegen die Corona-Maßnahmen, noch keine Ausgangssperre für das ganze Land verhängt. In seinem jüngsten Dekret appelliert er an die Bevölkerung und empfiehlt ihr dringend, sich nur in der Nähe ihres Wohnsitzes aufzuhalten.

Österreich: Die Staatsspitze appelliert

Auch in Österreich erreichen die gemeldeten Corona-Fallzahlen täglich neue Höchstwerte. Die meisten Fälle gibt es zwar noch immer in der Hauptstadt Wien. Doch mittlerweile sind auch die an Deutschland angrenzenden Gebiete Salzburg, Tirol und Vorarlberg stark betroffen. Fast ganz Österreich wurde vom Robert-Koch-Institut deswegen zum Risikogebiet erklärt.

Ähnlich wie in der Schweiz und Italien heißt es in Österreich, man wolle einen zweiten Lockdown "um jeden Preis" verhindern. Der österreichische Gesundheitsminister erklärte, er sei optimistisch, dass ein Lockdown zu verhindern sei. Diese Maßnahme sei nur möglich, wenn ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems drohe. Momentan gebe es bei den Intensivbetten noch kein Auslastungsproblem. Österreich habe "noch viel Luft nach oben".

Doch auch in Österreich verlässt man sich nicht nur auf Appelle an die Bevölkerung, sie möge aufmerksam die einschlägigen Hygieneregeln befolgen. Neu verordnete Corona-Maßnahmen, die mit Verspätung nun in Kraft treten, sehen eine Beschränkung von privaten Feiern in Innenräumen auf sechs Personen, eine Maskenpflicht in Kinos und im Einzelhandel sowie einen Mindestabstand im öffentlichen Raum von einem Meter vor.

Ob diese Maßnahmen dazu führen werden, die Kontrolle über die Verbreitung des Virus zu behalten oder wiederherzustellen, ist wohl eher unwahrscheinlich. So erklärt eine Virologin der Medizinischen Universität Wien in einer internen Mitteilung an die österreichische Corona-Task-Force, dass man "in eine diffuse Situation" gekommen sei, da in einer wachsenden Zahl von Fällen nicht mehr klar sei, wo die Menschen sich angesteckt haben.

Somit ist es vermutlich kein Zufall, wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz erneut betont, dass die Lage "sehr ernst" sei. In Corona-Zeiten deutet diese Sprachregelung darauf hin, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit verschärfte Restriktionen zu erwarten sind. Momentan belässt es die österreichische "Staatsspitze", so ein Bericht des ORF, noch bei einem Appell an die Bevölkerung.

Ähnlich wie in anderen Ländern steht die derzeitige Vorgehensweise auch in Österreich in starkem Kontrast zur Krisenpolitik während der ersten Welle: Damals schien man noch von der Hoffnung angetrieben, das Virus unter Kontrolle bringen zu können. Mittlerweile jedoch scheint man abzuwarten, bis die Infiziertenzahlen die offizielle Politik ratifizieren und ein "Nachschärfen" der Corona-Maßnahmen unumgänglich machen.

Spanien: Im "Alarmzustand"

Über das Stadium des Herantastens an einen neuen Lockdown ist Spanien hinaus: Dort wurde soeben, zum zweiten Mal seit Beginn der Pandemie, ein nationaler Notstand erklärt. Im gesamten Land, ausgenommen die Kanaren, gilt ab sofort eine Ausgangssperre von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr. Ob die Bewegungsfreiheit weiter eingeschränkt wird, darüber könnten die regionalen Entscheidungsträger bestimmen.

"Ganz Europa ergreift jetzt Maßnahmen, um die Mobilität und die persönlichen Kontakte einzuschränken", erklärte Premierminister Pedro Sánchez zur Begründung. "So etwas haben wir als Gesellschaft noch nie erlebt."

Der neuerliche "Alarmzustand" unterscheide sich von den früheren Maßnahmen, da die Notstandsbefugnisse bei den regionalen Verwaltungen liegen. Diese wiederum hatten, ähnlich wie die Regionalregierungen in Italien, auf eine Verschärfung der Corona-Maßnahmen durch die Zentralregierung gedrängt. Anscheinend sind nicht wenige politische Entscheidungsträger auf eine Verschärfung der Maßnahmen weniger scharf, als ihnen manche Scharfmacher unterstellen.