Deutsche Milde für Dschihadisten

Mitglieder der Weißhelme feiern die Einnahme von Idlib durch islamistische Milizen (Screenshot)

Auswärtiges Amt lässt umstrittenen Anführer der "Weißhelme" aus Jordanien einfliegen. Sicherheitsbedenken von Geheimdienst verworfen. Offene Fragen zu Sicherheitsüberprüfungen

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Die überraschende Aufnahme eines führenden Mitglieds der syrischen Organisation "Weißhelme" in Deutschland Anfang dieser Wochen wirft neue Fragen über die Haltung der Bundesregierung zu der international umstrittenen Organisation auf. Chalid al-Saleh sei am Montag an Bord einer Bundeswehr-Transportmaschine A400M in Deutschland eingetroffen, schreibt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner Onlineausgabe. Zuvor hätten sich Innenbehörden zweieinhalb Jahre gegen die Aufnahme des Aktivisten gewehrt, nachdem ihm in einer Sicherheitsüberprüfung "eine Nähe zu einer islamistisch-dschihadistischen Weltanschauung" bescheinigt wurde.

Die Befragung wurde dem "Spiegel" zufolge von Vertretern des Verfassungsschutzes im Flüchtlingslager Al-Asrak in Jordanien durchgeführt. Das Bundesinnenministerium (BMI) habe sich der Einschätzung angeschlossen und eine Aufnahme des Mannes sowie seiner Familie nach Paragraph 22 des Aufenthaltsgesetzes ("Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen") verweigert.

Dem Gesetz zufolge hat das Innenministerium bei solchen Aufnahmen das letzte Wort. Die Blockade des CSU-geführten Ressorts hat daher offenbar zu einem handfesten Streit zwischen dem BMI und dem Auswärtigen Amt geführt, das die "Weißhelme" in den vergangenen Jahren vehement unterstützt hat. 2018 wurde die Organisation mit mindestens 5,1 Millionen Euro unterstützt, 2016 stockte die Bundesregierung weitere Fördergelder von vier auf sieben Millionen Euro auf.

Ungeachtet dieser entschiedenen Unterstützung saß Al-Saleh seit Mitte Juli 2018 in Jordanien fest. Dorthin waren er und 97 Mitstreiter der "Weißhelme" von israelischen Spezialkräften evakuiert worden, nachdem sie, ihre Angehörigen und Kombattanten islamistischer Milizen in einem Gebiet der Provinz Qunaitra im Südwesten Syriens von der syrischen Armee eingeschlossen worden waren. Die israelische Kommandoaktion war mit Deutschland und anderen Nato-Staaten abgestimmt.

Weißhelme, eine politische Gründung des Westens

Solch beachtliche Unterstützung hängt auch mit der Geschichte der privaten Organisation zusammen. Die "Weißhelme", die sich offiziell Syria Civil Defense, also Syrische Zivilverteidigung nennen, wurden 2012 mit maßgeblicher Hilfe des britischen Außenministeriums ins Leben gerufen. Ein ehemaliger britischer Armeeoffizier (Weißhelme-Gründer tot) koordinierte die Gründung. Massiv finanziert wurde die Organisation mit Sitz in London und Istanbul von der US-Agentur Usaid, vom deutschen Auswärtigen Amt, Kanada, Dänemark, den Niederlanden, Neuseeland und Japan.

Die "Weißhelme" brechen radikal mit dem humanitären Konsens, überall in einem Kriegsgebiet und für alle Akteure Hilfe zu leisten. Sie waren von Anfang an – und sind – lediglich in den Gebieten unter Kontrolle der islamistischen Rebellen aktiv und stark propagandistisch ausgerichtet (Syrien: Kriegspropaganda im 21. Jahrhundert). Dass sie Terrormilizen ideologisch und personell nahestehen, war von der syrischen Regierung und auch Russland immer wieder bekräftigt worden. Die Bundesregierung und vor allem das Auswärtige Amt hatten entsprechende Vorwürfe stets mit einem Unterton der Empörung zurückgewiesen.

Umso unangenehmer war für die Fürsprecher Al-Salehs und seiner Organisation im politischen Berlin die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes, aus der "Spiegel" zitiert. Der Vertreter des "Verfassungsschutzes" hätten in einem Kanal des verschlüsselten Messengerdienstes Telegram Nachrichten Al-Salehs gefunden, die "zahlreiche Vernetzungen zu einschlägigen Akteuren" zeigten. Zudem seien auf seinem Mobiltelefon "dschihadistischer Propagandamaterialien" gefunden worden.

Wie die Negativeinschätzung des Verfassungsschutzes schließlich verworfen wurde, bleibt unklar. Eine entsprechende Anfrage von Telepolis ließ das Innenministerium am Freitagnachmittag zunächst unbeantwortet. Fakt ist jedoch, dass auch andere Staaten die Organisation zunehmend kritisch sehen: Die USA verweigerten dem "Weißhelme"-Chef Raed al-Saleh im April 2016 die Einreise und stoppten - wie auch die Niederlande - ihre Zahlungen.

Werden negative Überprüfungen verschwiegen?

Eine der zentralen Fragen nach der Aufnahme von Chalid al-Saleh ist daher, ob die anfänglichen Bedenken ausgeräumt werden konnten - oder auf Druck des Auswärtigen Amtes beseite geschoben wurden. Dafür gibt es noch andere schwerwiegende Indizien.

Tatsächlich nämlich könnten weit mehr der im Juli 2018 aus Syrien evakuierten Vertreter der "Weißhelme" bei Sicherheitsüberprüfungen durchgefallen sein. Darauf weisen widersprüchliche Angaben der Bundesregierung hin:

  • Am 24.07.2018, wenige Tage nach der israelischen Kommandoaktion, erklärte sich das Auswärtige Amt bereit, insgesamt acht besonders gefährdete Weißhelme und deren Familienmitglieder aufzunehmen;
  • Zwei Monate später, am 24.09.2018 hieß es in den Antworten auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, die Gesamtzahl der evakuierten Personen, die in Deutschland Zuflucht finden sollen, "steht noch nicht endgültig fest;
  • Am 08.11.2018 schließlich sagte BMI-Staatssekretär Stephan Meyer im Plenum des Bundestags (Frage 21): „Im Rahmen des Aufnahmeverfahrens erfolgten Überprüfungen der deutschen Sicherheitsbehörden bei zehn Erwachsenen.“

Zu diesem Zeitpunkt waren bereits drei „Weißhelme“ mit ihren Ehefrauen nach Deutschland ausgeflogen worden. Selbst wenn der nun aufgenommene Chalid Al-Saleh und seine Ehefrau zu der von Meyer genannten Gruppe gerechnet wird, wäre mutmaßlich ein weiteres Paar bei der Überprüfung durchgefallen, die Bundesregierung hat sich dazu bislang nicht klar geäußert. In keinem Fall entsprach die Zusicherung des Auswärtigen Amtes Ende September 2018 der Wahrheit, die Aufnahme der sicherheitsüberprüften Flüchtlinge sei „durch die Leitung des BMI gebilligt worden“.

Mit der Aufnahme Al-Salehs gewichtet die Bundesregierung nun die außenpolitische Unterstützung radikaler Gegner der syrischen Regierung stärker als die Verpflichtung zu Wahrung der öffentlichen Sicherheit. Die Ironie der Geschichte ist, dass sich das Außenamt damit just in der Woche durchgesetzt hat, in der sich die Innenministerkonferenz auf ein Ende des allgemeinen Abschiebestopps nach Syrien geeinigt hat. Damit sind Abschiebungen von Personen möglich, denen Behörden politisch motivierte Straftaten zutrauten, sagte der Chef der Innnenminsterkonferenz, Joachim Hermann.

Just also, was der Verfassungsschutz Al-Saleh bescheinigte.