Die Corona-Ursachen des Kapitalismus

Brandrodung in Brasilien. Bild: Soroor52, CC BY-SA 3.0

Aufruf zu einer linken Debatte über die Corona-Politik, die schweren Folgen dieser Pandemie und einige Vorschläge für die Diskussion

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Auch in unterschiedlichsten linken Kreisen nimmt die Frage nach der richtigen Ausgestaltung der Pandemiebekämpfung derzeit eine zentrale Rolle ein. Warum aber das? Warum hebt man direkt auf Pandemiebekämpfung ab? Ist damit die übergreifende Fragestellung nicht verfehlt, die Problemstellung ungut eingegrenzt, vielleicht sogar halbiert?

Warum geht es nicht vorrangig um das Verhältnis, zwischen der Pandemie und der kapitalistischen Gesellschaftsordnung? Für viele Linke scheint diese Frage angesichts der Pandemiebekämpfung zweitrangig zu sein. Ich hingegen würde vorschlagen, folgende Fragen in den Fokus zu rücken:

  • Woher kommen solche Krankheitserreger und was hat das mit der kapitalistischen Produktion zu tun?
  • Wie wirkt sich die kapitalistische Produktion auf das Immunsystem aus (Lebensmittelindustrie, Umwelt)?
  • Wie ist der Umfang und die Qualität des Gesundheitswesens beschaffen und was hat dieser Zustand mit kapitalistischer Produktion zu tun?

Corona – ein natürliches Phänomen?

Es scheint so, jedenfalls wenn man die Bekämpfung in den Mittelpunkt stellt, als würde uns die Corona-Pandemie als natürliches Phänomen konfrontieren. Erst in der Art und Weise der Bekämpfung könne man nun das spezifisch Kapitalistische ausmachen.

Die Corona-Pandemie ist nicht nur eine medizinische Krise, sie bedroht nicht nur Gesundheit und Leben vieler Menschen, sondern sie stellt die ganze Gesellschaft vor eine dramatische Belastungsprobe", konstatiert die Linke. Konsequent wird nun die Frage in den Fokus gerückt, ob und wie sich nun die schon vorhandene "soziale Spaltung" entwickelt. Zutreffend wird dann im Folgenden die immer drastischere Verarmung weiter Teile der Bevölkerung angeprangert.

Die Linke, Themenseite Corona, 04.04.2020
  • Die maoistische MLPD fordert: "Konsequenter Gesundheitsschutz statt Doppelmoral", und fährt fort: "Das Krisenmanagement der Regierung ist gescheitert"1
  • Auch die KPÖ nimmt den Umgang des Staates mit der Pandemie in den Blick und die damit einhergehenden unnötigen sozialen Negativfolgen: "Die Beseitigung der Krisenfolgen, beziehungsweise ihre Abwälzung auf die breite Masse befeuert und verschärft jedoch den Klassenkampf von oben."2

Die Beobachtungen der drei hier angeführten Gruppierungen sind ohne Zweifel zutreffend und beklagenswert. Stephan Kaufmann zeigt auf, was es bedeutet, sich in der schärfsten Krise seit Jahrzehnten zu befinden:

Mit einem Plus von 15 Prozent war der November der beste Monat, den der deutsche Aktienindex je erlebt hat.

Stephan Kaufmann, Die Kursrakete, Neues Deutschland, 05.12.2020

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Problemstellung damit nur zur Hälfte oder, anders formuliert, verspätet angegangen wird.

Ein zugegeben hinkender Vergleich: Es wäre dann so, als ob man in der Flüchtlingsfrage erst tätig wird, wenn etliche arme Flüchtlinge im Mittelmeer rumschippern müssen und nicht wenige ertrinken, wir aber nur die mangelnden Rettungsmaßnahmen betrachten, nicht aber die Ursachen, wegen derer die armen Menschen sich auf den Weg machen (müssen).

Sicher kann man bei der Corona-Pandemie zunächst von einem Naturphänomen ausgehen, welches möglicherweise irgendwo im Urwald zu verorten wäre und potentiell auch in der Steinzeit eine Bedrohung dargestellt hätte. Nun werden aber durch industrielle Agrarwirtschaft, das damit verbundene Abholzen des Urwaldes und Vordringen einer Massenzivilisation überhaupt erst die Bedingungen und Möglichkeiten geschaffen, dass ein solcher Virus relevant wird.

Auch in der hiesigen industriellen Tierhaltung entstehen beste Voraussetzungen für Pandemien. Rob Wallace hat das überzeugend ausgeführt. Er legt ebenfalls dar, dass auch Ebola, die Vogelgrippe, die Schweinepest und andere Erreger in diesem Zusammenhang derart zu betrachten sind. Notwendigerweise werde in den nächsten Jahren eine Pandemiewelle nach der anderen über uns hinwegrollen.

Insofern sei eine Fixierung auf die Corona-Pandemie, oder besser: die Betrachtung von Corona als Ausnahmefall sachfremd. Wo und wie entstehen Zoonosen? Das ist die übergreifende Fragestellung.

Das Mercosur-Abkommen

Das Mercosur-Freihandelsabkommen zwischen der EU und südamerikanischen Staaten bietet für die Argumentation von Wallace reichhaltiges Anschauungsmaterial. In diesem Abkommen soll ja wesentlich das Abholzen des Urwaldes im Amazonas für die dort verstärkt aufzubauende industrielle Viehzucht festgezurrt werden3.

Durch einen Deal zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund, an dem rund 20 Jahre gefeilt wurde, sollte die zweitgrößte Freihandelszone der Erde entstehen. Darüber würde Europa wirtschaftlich noch besser von den dortigen Rohstoffausbeutungs- und Arbeitsbedingungen profitieren.

In den Ländern des Globalen Südens leiden die arbeitenden Menschen oft genug unter mieser Entlohnung, ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und mangelhafter gesundheitlicher Versorgung. Nutztiere werden behandelt wie Dreck.

Bedenken wegen der drohenden Umweltzerstörungen im Amazonas und dem mangelnden Klimaschutz sowie fehlenden Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen den Umweltschutz mögen die EU-Parlamentarier dazu bewogen haben, dem Mercosur-Abkommen vorerst eine Absage zu erteilen. Hinfällig ist das Abkommen damit aber noch nicht, und so oder so bietet es sich an, mit dem Finger auf die größte Virenschleuder des Planeten zu zeigen: der rücksichtslosen imperialistischen Wirtschaft4.

Eine Rinderzucht auf der Alm, wie sie in den Alpenländern noch üblich ist, würde, träte das Mercosur-Abkommen in Kraft, endgültig unrentabel. Eine Studie der Universität Birmingham ergab, dass hohe Corona-Todesraten mit Massentierhaltung korrespondieren, gilt diese doch als "einer der Hauptverursacher der mikroskopisch kleinen Teilchen", also des Feinstaubes.

Forscher des Max-Planck-Instituts konnten nachweisen, dass der Krankheitsverlauf durch Feinstaub sehr stark verschlechtert wird. In Deutschland seien 26 Prozent aller Todesfälle bei Corona auf Feinstaub zurückzuführen. Die Albert-Schweizer-Stiftung kommt zum Schluss: "Um das Virus einzudämmen, sollten also auch die menschengemachten Emissionen verringert werden - allen voran die aus tierhaltenden Großbetrieben".5

Stimmen diese Annahmen, dann ist eine Fixierung auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie ohne Ursachenforschung und natürlich Ursachenbekämpfung mindestens als suboptimal zu betrachten.

Das Immunsystem und Corona

Auch die Ernährungslage und die verheerenden Auswirkungen auf das Immunsystem der Menschen sind den Politiker bestens bekannt.

Dass die Lobbyoffensive der Zuckerindustrie alles andere als gesundheitsbekömmlich ist und Verfettung, Diabetes etc. nach sich zieht, weiß jeder. Ebenfalls weiß jeder, dass zuckerhaltige Softdrinks für Kinder eine gesundheitliche Zeitbombe darstellen und die hiesigen Schulkinder sich zunehmend wie ihre adipösen US-amerikanischen Gleichaltrigen entwickeln. Dass ein desolates Immunsystem, welches dann allerlei Krankheitserregern, auch dem Corona-Virus, nicht hinreichend gewachsen ist, die zwingende Folge ist, ist auch keine neue Erkenntnis.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält eine Initiative gegen die Verzuckerung der Schülergetränke entgegen, dies sei gut und schön, aber das die Getränkeindustrie müsse freiwillig aktiv werden, sozusagen marktwirtschaftlich gezwungen werden. Wir würden ja nicht in einer Diktatur leben. So arbeitet die Politik – natürlich nur um die Zuckerindustrie zu befördern – mit großem Fleiß daran, dass sich allerlei Krankheiten und auch Corona verbreiten können.

Ein Zwischenresümee

Die Corona-Pandemie darf nicht als ein von der Gesellschaftsordnung isoliertes Naturereignis betrachtet werden. Das betrifft die Herkunft der auf uns zurollenden Pandemiewellen, den durch diverse Vorerkrankungen geprägten Gesundheitszustand der Bevölkerung sowie den Zustand des privatisierten Gesundheitswesens bis zu den ruinösen ökonomischen Folgen.

Die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen sind auch ein Resultat der kapitalistischen Produktionsweise. So – und nur so – kann der Zweck dieser Wirtschaftsordnung, nämlich Profit, erfüllt werden. Der Ruin des Menschen und der Natur ist also notwendig abzuleiten, weil diese beiden Elemente mit und durch ihren Verschleiß den gewinnträchtigen Treibstoff der kapitalistischen Produktion darstellen.

Statt nun aber den genannten Täter und dessen Handlungskriterien in den Mittelpunkt zu stellen, konzentrieren sich linke Denker nur zu häufig auf Fehler von querdenkenden Menschen und versäumen dabei, die Erklärung kapitalistischer Zusammenhänge in den Fokus zu stellen.

Der Täter wird als fehlgeleiteter Retter gewürdigt, er gehe nicht konsequent genug, irgendwie halbherzig bei der Pandemiebekämpfung vor. Darin erschöpft sich die Kritik zu oft.