EastMed: Teuer, nutzlos und gefährlich

Im Atoll-Erdgasfeld vor Ägyptens Ost-Nil-Delta unterwegs: das ENSCO DS6-Bohrschiff, spezialisiert auf die Förderung aus großen Tiefen. Bild: CellsDeDells / CC-BY-SA-3.0

Obwohl Konflikte um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer eskalieren, unterstützt die US-Regierung intensiv Ausbeutung und Bau der Pipeline in die EU (Teil 2)

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Schaut man auf die Meinung namenhafter Expertinnen und Experten, lässt sich zu EastMed im Unterschied zu anderen Pipelineprojekten ein erstaunlich breiter Konsens feststellen, der da lautet: Wirtschaftlich ist das Projekt zu teuer, energiepolitisch ist es nutzlos und regionalpolitisch könnte es sogar gefährlich werden, wenn es eine wirkliche Kooperation zwischen den östlichen Mittelmeeranrainern behindert (Teil 1: EU-Peripherie: Die Gasvorkommen im Mittelmeer).

Große Öl- und Gasvorkommen tendieren häufig dazu, politische Konflikte in den betreffenden Regionen auszulösen. Dies gilt umso mehr für Offshore-Vorkommen, da hoheitliche Rechte auf dem offenen Meer weniger eindeutig geregelt sind als auf Landflächen. Prominente Beispiele bieten die Streitigkeiten im Südchinesischen Meer oder schwelende Konflikte um den arktischen Meeresboden.

Mit der Entdeckung großer Erdgasvorkommen in einer historisch belasteten Region wie dem östlichen Mittelmeer waren neue politische Konflikte also praktisch vorprogrammiert. Insofern teilten energiepolitische Beobachter keineswegs die optimistische Einschätzung des israelischen Premierminister, dass ausgerechnet eine Pipeline von Israel in die EU einen positiven Beitrag für die Stabilität der Region leiste.

Im Gegenteil war frühzeitig absehbar, mit welchen Staaten es sowohl bei der Ausbeutung der Vorkommen wie auch bei der geplanten Pipeline Probleme geben könnte. Für die US-Regierung, traditionell sehr aktiv in der Region, bestand vor allem die Perspektive, dass ihre traditionell engsten Verbündeten wie das as-Sisi-Regime in Ägypten, das jordanische Königshaus und Israel ihre Beziehungen untereinander verbessern.

Die Aussicht darauf, dass die arabischen Regierungen motiviert durch eine sichere Energieversorgung engere Beziehungen zu Israel aufnehmen, ohne dass die israelische Regierung im Gegenzug der palästinensischen Autonomieverwaltung, wie bisher von den arabischen Regierungen gefordert, substantiell entgegenkommen muss, betrachtet etwa Tareq Baconi als einen der wichtigsten Motoren, aber auch eine zentrale Gefahr für die Entwicklung.

Der zweite Strang einer engeren politischen Einbindung von Israel zielt auf die EU, wobei die Republik Zypern, seit 2004 Mitglied der EU, aufgrund ihrer Lage und der Größe der Vorkommen eine zentrale Rolle spielt. Allerdings ist die ehemalige britische Kronkolonie, deren Nordteil seit 1974 von der Türkei besetzt gehalten wird, auch das zweite zentrale Problem für eine kooperative und inklusive Nutzung der Vorkommen.

Dass sich die türkische Politik einerseits parteiübergreifend als Schutzmacht der türkisch-zyprischen Bevölkerung betrachtet und die Türkei zudem große Teile der Gewässer um Zypern für sich bzw. eine "Türkische Republik Nordzypern" reklamiert, garantiert dafür, dass jedes Erschließungsprojekt, an dem die Türkei nicht beteiligt ist, für eine Konfrontation mit dem Erdogan-Regime sorgt.

In Foreign Policy nannten Greg Everett und Varsha Koduvayur als eine weitere grundlegende Perspektive der US-Regierung, man wolle mithilfe der Mittelmeervorkommen verhindern, dass russische Unternehmen ihre Energiebeziehungen nach Europa ausweiten. Dieses Argument fiel auch in Ausschüssen und Anhörungen von amerikanischen Abgeordneten immer wieder.

Allerdings liegt das unmittelbare Konfliktpotential ausgerechnet zwischen alten und treuen Verbündeten der USA, zwischen der Türkei auf der einen Seite sowie Griechenland, Zypern und Israel auf der anderen Seite. Eine Unterwasserpipeline durch zypriotische Hoheitsgewässer würde "zwangsläufig die Spannungen mit der Türkei verschärfen", so Everett und Koduvayur.

Amerikanische Energiekonzerne

Bei dem außerordentlichen Engagement amerikanischer Behörden spielt natürlich eine Rolle, dass von Anfang an amerikanische Energiekonzerne intensiv mit der Erkundung und Erschließung im östlichen Mittelmeer betraut waren, natürlich im vollen Bewusstsein, dass einige der betreffenden Gebiete völkerrechtlich umstritten sind.

In den von Israel beanspruchten Hoheitsgewässern sowie auch vor Zypern übernahm diese Pionierarbeit die texanische Firma Noble Energy, die inzwischen für 5 Milliarden US-Dollar von Chevron übernommen wurde. In den auch von Zypern beanspruchten Gewässern spielt inzwischen der Branchenriesen ExxonMobile eine zentrale Rolle.

Diese absehbare Konfliktlage hatte die US-Regierung keinesfalls daran gehindert, das Projekt mit voller Kraft voranzutreiben. Schon der erste ausführliche Überblick der amerikanischen Energiebehörde EIA erwähnte mögliche bewaffnete Konflikte, territoriale Streitigkeiten und makroökonomische Unsicherheiten. Von Beginn an begleitete der damalige "Sondergesandte und Koordinator für Internationale Energieangelegenheiten" im Außenministerium, Amos Hochstein, intensiv die Erschließung.

Er besuchte regelmäßig Israel sowie die Anrainerstaaten und legte die US-Politik ausführlich bei Anhörungen des Kongresses dar, wobei der Fokus einerseits darauf lag, das die Netanjahu-Regierung ihre Beziehungen in der Region, etwa mit Ägypten und Jordanien verbessern könne. Zudem standen aber auch die mögliche Pipeline in die EU sowie zu erwartenden Spannungen mit der Türkei bereits im Fokus.

Hochstein benannte im September 2016 zwar eine "Normalisierung zwischen Israel und der Türkei" sowie eine "Lösung auf der Insel Zypern" als Voraussetzungen für die weitere Entwicklung. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt, drei Monate nach dem kuriosen Putschversuch in der Türkei, bereits deutlich absehbar, dass die Erdogan-Regierung ihr national-religiöses Regime dramatisch verschärft, geschweige denn bereit war, bei etwaigen Territorialstreitigkeiten auch nur einen Millimeter zurückzuweichen.

Dies gilt ganz besonders für die Zypernfrage, bei der den US-Abgeordneten vorschwebte, die Türkei solle "die türkische Besetzung des nördlichen Teils von Zypern" beenden, eine Annahme, die schon zu diesem Zeitpunkt komplett realitätsfern war.

Eine Frage der Nationalen Sicherheit der USA

Im Dezember 2019, der Konflikt zwischen den südlichen EU-Staaten und der Türkei war mittlerweile voll entbrannt, verabschiedete der US-Kongress sogar ein eigenes Gesetz über die Erschließung der fossilen Vorkommen im Mittelmeer, das "Gesetz über die Sicherheits- und Energiepartnerschaft im östlichen Mittelmeerraum". Darin wird die Angelegenheit zu einer Frage der Nationalen Sicherheit der USA erklärt.

Das Gesetz ermächtigt die US-Regierung unter anderem, den EU-Staaten Zypern und Griechenland neue "Sicherheitshilfen" zu gewähren und hebt das US-Waffenembargo gegen Zypern auf. Es autorisiert außerdem die Einrichtung eines "Energiezentrums", das die Koordination zwischen den USA, Israel, Griechenland und Zypern verbessern soll.

Als eine seiner letzten Amtshandlungen besuchte US-Außenminister Mike Pompeo im Oktober noch einmal Griechenland und stärkte der konservativen Regierung von Kyriakos Mitsotakis demonstrativ in allen Energiefragen den Rücken. Zwar gab sich der Außenminister mit Blick auf die Türkei unparteiisch, ließ aber auch keinen Zweifel daran, dass er weiterhin die griechisch-zyprisch-israelische Allianz unterstütze.

Zuvor hatte er bereits Zypern besucht und erklärt, die USA seien "zutiefst besorgt" über den Einsatz von Kriegsschiffen und Kampfjets durch die Türkei. Gemeinsam mit Mitsotakis besuchte er eine Marinebasis auf Kreta und kündigte an, dass die US-Streitkräfte eines ihrer größten und modernsten Schiffe, die USS Hershel Williams, dorthin verlegen werden.

Wenige Wochen zuvor, im August 2020, hatte der amerikanische Zerstörer USS Winston S. Churchill übrigens an Manövern der türkischen Marine im umstrittenen Seengebiet im östlichen Mittelmeer teilgenommen. Im Juli hatte die türkische Marine gemeinsam mit dem Kampfverband um den amerikanischen Flugzeugträger USS Dwight D. Eisenhower im östlichen Mittelmeer manövriert. In seinen diesbezüglichen Pressemitteilungen verwies das türkischen Verteidigungsministerium jedesmal ausdrücklich auf die Konfliktlage mit Zypern.

Politikern aus der dem Rest der EU sollte dieses Vorgehen nicht zuletzt deshalb zu denken geben, weil dieser Ablauf bereits aus einer ganz anderen Region, nämlich dem Südchinesischen Meer an der Peripherie der Volksrepublik China, bekannt ist. Dort führte ExxonMobile ebenfalls vor zehn Jahren erfolgreiche Öl- und Gaserkundungen in Kooperation mit der vietnamesischen Regierung durch. Dies führte vorhersehbar dazu, dass die chinesische Regierung öffentlich die Rechtmäßigkeit amerikanisch-vietnamesischen Offshore-Aktivitäten in Frage stellte und trug in der Folge zur bis heute fortschreitenden Militarisierung des Region bei.

Michael Klare kommentierte den Vorgang in Foreign Affairs, die US-Regierung würde in dem Konflikte zwar mit einer "Aura der Neutralität" auftreten, tatsächlich sei die US-Politik jedoch "eher auf einen gewaltsamen Konflikt ausgerichtet als auf eine Klärung". Er belegte den Vorwurf damit, dass die US-Regierung infolge nicht nur den Anrainern Japan, den Philippinen, oder ihrem ehemaligen Feind Vietnam neue Marineausrüstung zur Verfügung stellte, sondern die US-Streitkräfte auch selbst die Häufigkeit und den Umfang ihrer Marineübungen in der Region erhöhten.

"In der Tat glauben viele in China, dass Washington Japan und die Philippinen aktiv dazu anspornt, eine selbstbewusstere Haltung gegenüber den umstrittenen Gebieten einzunehmen, um Chinas Aufstieg einzuschränken", berichtete der Politikwissenschaftler bereits im Jahr 2013.