Das sind die wahren Gründe im Streit um bewaffnete Drohnen

Modell der Tarnkappen-Kampfdrohne Dassault Neuron (2015) im Rahmen des Future Combat Air Systems. Bild: Tiraden, CC BY-SA 4.0

Bei der Aufrüstung autonomer Flugzeuge geht es nicht um den Schutz von Soldaten. Bericht enthüllt: Es geht um das größte und gefährlichste Rüstungsvorhaben der Europäischen Geschichte

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Die Aufregung und Empörung war groß, als die SPD-Spitze um Norbert Walter-Borjans unlängst ihr Veto gegen einen Haushaltsbeschluss einlegte (Drohnenkrieg erschüttert die SPD), der den Weg für die Bewaffnung von Bundeswehrdrohnen geebnet hätte. Unterstützt wurde Walter-Borjans von einigen Sozialdemokraten, deren Haltung man angesichts der einseitigen Meinungslage in Bundestag und Regierung durchaus als mutig bezeichnen kann.

Aus der CDU war die Haltung der Gegner bewaffneter Drohnen zuvor gar als "unmoralisch" bezeichnet worden, weil sie "Mensch und Leben" schützten. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel stimmte in die Kampagne gegen die aufrüstungskritischen Genossen ebenso ein wie Außenminister Heiko Maas. Die Argumentationslinie in Deutschland erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass bewaffnete Drohnen defensiv ausgerichtet und zum Schutz der eigenen Soldaten notwendig seien.

Nun straft ein öffentliches Dokument des französischen Parlaments alle Befürworter autonomer Waffensysteme Lügen. Hinter der Aufrüstung von Drohnen steht demnach tatsächlich ein langfristiger internationaler Plan zur Entwicklung autonomer Rüstungsprojekte. Es geht um das "Future Combat Air System" (FCAS), das Deutschland, Frankreich und Spanien in eine führende Position in der autonomen Kriegsführung bringen soll. Es geht um ein 500-Milliarden-Euro-Vorhaben, um Lobbyismus und um die Aufrüstung bis zum Jahr 2080.

Bisher ist das knapp 100-seitige Parlamentsdokument schlichtweg noch niemandem aufgefallen, obwohl es auf Deutsch übersetzt ist, im Netz steht und Kritikern der autonomen Aufrüstung zahlreiche Argumente liefert. Nachdem im Frühjahr eine Delegation des französischen Senats in Deutschland war, schrieben die Teilnehmer Mitte des Jahres in ihrem Bericht, bei dem FCAS-Programm solle Anfang 2021 "eine neue Stufe begonnen werden, um das Programm irreversibel zu machen".

Darüber sprachen die französischen Emissäre Anfang März unter anderem mit dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich (SPD), Katja Keul von den Grünen, Rüdiger Lucassen von der AfD und dem SPDler Fritz Felgentreu, der sich zuletzt vehement für die Drohnenbewaffnung als Grundlage für das FCAS eingesetzt hatte - und nach dem Veto Walter-Borjans von seinem Posten (nicht dem Mandat) zurückgetreten war.

Autonome Waffensysteme auch atomar bestückt

Die in dem französischen Senatsbericht geschilderten Pläne zeigen eindrücklich, dass autonome Kriegsführung inzwischen ebenso realistisch ist wie autonomes Fahren. "Künstliche Intelligenz und damit verbundene, bisher kaum vorstellbare technologische Möglichkeiten, entwickeln sich rasant", bestätigte gegenüber Telepolis auch der KI-Experte Jakob Foerster: "Beispielhaft dafür sind die Durchbrüche in Sprach- wie Bilderkennung oder KI-Systeme, die lernen, Strategiespiele zu meistern." Dadurch würden in absehbarer Zeit vollautonome Kampfdrohnen möglich ("Statt von Kampfdrohnen sollte von Killerdrohnen gesprochen werden").

Kampfdrohnen weltweit (13 Bilder)

MQ-1A "Predator" auf der Ali Base im Irak. Bild: U.S. Air Force

Auch die Koordination von Gruppen autonomer Agenten mache rasante Fortschritte: "Trainingsalgorithmen für autonome Drohnenschwärme, die als Team beispielsweise einen Waldbrand löschen, sich aufeinander abstimmen und miteinander kommunizieren, sind heute vorhanden", erklärt Foerster. Zwar befinde man sich bei der Koordination autonomer und menschlich gesteuerter Systeme noch im Bereich der Grundlagenforschung. "Aber auch hier ist eine Beschleunigung des Erkenntnisgewinns und entsprechender Anwendungsmöglichkeiten abzusehen, wie es bereits in anderen Bereich der KI passiert ist", so sein Resümee.In den Worten des französischen Senats hört sich das so an:

Angesichts der beschleunigten Entwicklung dieser Technologie durch unsere Gegner müssen wir bereit sein, in Zukunft auf Länder zu reagieren, die nicht immer die ethischen und rechtlichen Normen einhalten, die Frankreich und seine Verbündeten achten und weiterhin achten wollen. Ohne eine solche Vorbereitung könnte sich die französische Armee in der Tat diesen Gegnern in der Situation (…) des besten Schachspielers der Welt gegenübersehen, der nach allgemeiner Ansicht heute keinen einzigen Satz gegen eine künstliche Intelligenz mehr gewinnen könnte. Gleichzeitig müssen die internationalen Beratungen fortgesetzt werden, um in Übereinstimmung mit unserer Ethik und den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts einen klaren Rechtsrahmen für diese Fragen zu entwickeln.

Bericht des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, Verteidigung und Streitkräfte des französischen Parlaments über das FCAS

Die Waffensysteme des FCAS - dabei geht um bemannte oder unbemannte Kampfflugzeuge, die von Drohnenschwärmen begleitet werden - müsse zudem in der Lage sein, "sowohl die französische(n) Atomwaffe(n) als auch die von Deutschland implementierte(n) NATO-Atomwaffe(n) zu tragen" heißt es in der Übersetzung des Berichts weiter.

Franzosen sehen zwei Probleme: Parlament und Friedensbewegung

Während in Paris schon die Entwicklung bis 2080 geplant wird, macht man sich an der Seine auch über die demokratische Willensbildung in Deutschland Gedanken. Die deutsch-französischen Verteidigungsbeziehungen "könnten auch unter dem Wunsch des Bundestages leiden, sich stärker in den Entscheidungsprozess einzubringen". Dies habe die Delegation bei ihrem Besuch in Berlin beobachten können. Die Autoren spielen damit auf den Parlamentsvorbehalt an, nach dem in Deutschland Auslandseinsätze und zentrale Rüstungsvorhaben im Parlament entschieden werden müssen. Aber auch darüber hinaus seien Rüstungsexporte ein "heikles Thema" in der deutschen Öffentlichkeit, befinden die französischen Delegierten.

Als Problem macht man an in Frankreich mit Blick auf Deutschland vor allem zwei Institutionen aus: die großen Kirchen sowie die Gewerkschaften; tatsächlich zwei zentrale Akteure der Friedensbewegung. Diese stünden seit den 1960er Jahren hinter Mobilisierungen gegen "nicht ethische" Waffenexporte.

Die Ausführungen aus Paris machen auch die Hintergründe des Kräftemessens in Berlin deutlich - und den Druck, den FCAS-Lobbyisten wie der Sozialdemokrat Felgentreu und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) zuletzt aufgebaut haben. Spätestens mit Bekanntwerden des französischen Senatsberichtes werden sie sich neuen Fragen zu ihrer Motivation stellen müssen.