Abgeschoben wegen politischer Gesinnung oder wegen Corona?

Gedenkstätte für Alexis Grigoropoulos und Berkin Elvan in Exarchia. Bild: iaberis/CC BY-SA 4.0

Der offizielle Grund der Abschiebung eines französischen Anarchisten lautet "Gefahr für die öffentliche Gesundheit"; einiges spricht für politische Motive

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Nach acht Jahren Aufenthalt in Griechenland wurde ein französischer Staatsangehöriger aus Griechenland nach Frankreich abgeschoben. Es gab kein Gerichtsverfahren und auch keine Verurteilung des Abgeschobenen.

Landesweites Versammlungsverbot

Es begann alles mit dem Versammlungsverbot, das die Polizeidirektion Griechenlands für den 6. Dezember 2020 ausgesprochen hatte. Genau wie am 17. November, an dem sämtliche Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen zum Jahrestag des blutig niedergeschlagenen Studentenaufstandes vom 17. November 1973 verboten waren, wurde auch für den 6. Dezember mit Berufung auf die Corona-Pandemie ein landesweites Versammlungsverbot für mehr als drei Personen per Dekret des Polizeipräsidenten Griechenlands, Michail Karamalakis, erklärt.

Der 6. Dezember 2008 war der Tag, an dem der damals 15-jährige Alexis Grigoropoulos mit gleichaltrigen Freunden durch die Straßen von Exarchia zog. Die Gruppe feierte den Namenstag von Nikos Romanos, einem Freund von Grigoropoulos. Sie traf auf eine Polizeistreife und einer der beiden Beamten, Epaminondas Korkoneas, zog seine Dienstwaffe und schoss. Grigoropoulos wurde tödlich getroffen. Wochenlange Proteste der griechischen Jugend waren die Folge. Korkoneas, wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, ist mittlerweile wieder auf freiem Fuß.

Auch ohne die üblichen großen Demonstrationszüge wollten im Pandemie-Jahr zahlreiche Menschen zumindest einen Blumenstrauß am Tatort in Exarchia niederlegen. Dort wurde ein Gedenkstein für Grigoropoulos errichtet. Theoretisch sind auch während des Lockdown Spaziergänge erlaubt. Die Bürger müssen dafür mit ihrem Mobiltelefon eine SMS mit ihren Personalien und der Kennziffer 6 absenden. Nach einer Antwort des Systems können sie dann ihre Wohnung für den Spaziergang verlassen.

Der Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis, ein strenger Verfechter der "Law and Order"-Politik von Premierminister Kyriakos Mitsotakis, hatte für Athen ein großes Polizeiaufgebot von 5000 Beamten abkommandiert. Diese sollten peinlich genau auf das Versammlungsverbot achten.

Die Polizisten legten das Versammlungsverbot überaus autoritär aus, so nahmen sie auch Maria Oshana, die Geschäftsführerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Athen, kurzzeitig fest. Oshana war zusammen mit einem Freund und mit einem Blumenstrauß in der Hand in der Nähe des Gedenkortes angetroffen worden.

Theoretisch hatte sie gegen kein Gesetz und keine Regel verstoßen. Ihre offensichtliche Intention, die Blumen am Gedenkstein abzulegen, reichte den Beamten für eine Festnahme. Dort liegende Blumensträuße wurden von einem weiteren Beamten mutwillig und demonstrativ zerstört. Auch gegenüber Pressefotografen und Reportern waren die Polizisten nicht zimperlich.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Der Franzose, der in den griechischen Medien nur mit dem Vornamen Errol genannt wird, war am 6. Dezember in Exarchia allein unterwegs. Er hörte Lärm, ging diesem nach und traf auf eine Polizeistreife der DELTA-Einheit, die gerade Passanten festnahm. Kurzerhand wurde auch er festgenommen. Der Vorwurf lautete "Verbreitung der Pandemie des neuen Coronavirus". Insgesamt 374 Festnahmen und 135 Verhaftungen gab es an jenem Tag.

Im Polizeipräsidium wurde Errol Zeuge, wie ein achtzehnjähriger Leidensgenosse einen epileptischen Anfall erlitt. Der Franzose eilte ihm zusammen mit einem ebenfalls festgenommen Rechtsanwalt zu Hilfe. Eine Stunde nach dem Vorfall wurde er von den anderen isoliert und ins Abschiebezentrum in der Petrou Ralli Straße verbracht. Von dort sollte er als "Gefahr für die öffentliche Gesundheit" abgeschoben werden.

Von dort ging es dann am 10. Dezember ins geschlossene Lager für Immigranten in Amygdaleza. Dort verbrachte der Franzose seine Zeit in Isolationshaft und ohne Zugang zu einem Telefon. Es gelang ihm ein Kassiber herauszuschmuggeln.

In Amygdaleza wurden im Schnellverfahren und ohne anwaltliche Unterstützung die Abschiebung des Franzosen und ein Einreiseverbot bis zum 9. Dezember 2027 beschlossen. Gemäß den Aussagen im Kassiber wird Errol als "nationale und politische Gefährdung" eingestuft. Am Samstag den 19. Dezember wurde ihm gesagt, dass er hinsichtlich einer eventuellen Coronavirus-Infektion getestet werden müsse.

Statt zum Arzt fuhren die Polizisten ihn zum Flughafen. Dort wurde er in Handschellen und in Begleitung von Polizisten der Anti Terror Einheit ins Flugzeug nach Frankreich gebracht. Weder seine Anwälte noch seine Familie wurden informiert. Den gesamten Flug über war der Franzose mit Handschellen gefesselt. Er leistete Widerstand und schrie.

Bei der Landung in Paris übergaben die griechischen Polizisten den Gefangenen ihren französischen Kollegen. Nach einem Verhör, in dem sich die französischen Polizisten erstaunt über die Vorgehensweise der Griechen gezeigt haben sollen.

Der Franzose wurde in Griechenland nie rechtskräftig verurteilt. Er war der Polizei wegen seiner anarchistischen Gesinnung und der Teilnahme an Demonstrationen gegen den Goldabbau in Chalkidiki, sowie wegen der Unterstützung der Hausbesetzerszene in Thessaloniki und Athen bekannt. Aus der autonomen Szene Griechenlands kommen daher Stimmen, die behaupten, dass die Abschiebung weniger mit der Pandemie, aber dafür mehr mit der politischen Gesinnung von Errol zu tun habe.