Corona-Krise: Weniger Geld für Militärausgaben?

Bild: Nato/Allied Joint Force Command Brunssum/CC BY-SA 2.0

Generalinspekteur Zorn vs. AKK: Die Debatte um eine pandemiebedingte Absenkung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr und des Verteidigungsetats ist eröffnet

Viel hätte sich eigentlich an der Einschätzung der im Fähigkeitsprofil der Bundeswehr festgelegten militärischen Zielvorstellungen in der kurzen Zeit zwischen den Jahren nicht ändern sollen. Und doch: Anfang 2021 von Generalinspekteur Eberhard Zorn getätigte Äußerungen weisen einen deutlich anderen Zungenschlag als eine Meldung über die Fortschreibung des Fähigkeitsprofils auf, die von der Bundeswehr noch wenig zuvor am 18. Dezember 2020 veröffentlicht wurde.

Während sich die Fortschreibung des Fähigkeitsprofils noch optimistisch gab, die ambitionierten Zielvorgaben erreichen zu können, ruderte Zorn mit der Aussage, pandemiebedingt sei eine Absenkung des Fähigkeitsprofils aus finanziellen Gründen erforderlich, vom bisherigen Kurs ein gutes Stück ab.

Was Zorn damit allerdings genau bezweckte, ist unklar. Vermutlich wollte er das bereits zuvor absehbare Scheitern des Fähigkeitsprofils der Pandemie in die Schuhe schieben. Allerdings hatte er da die Rechnung ohne die Wirtin gemacht: Denn er handelte sich damit eine deutliche Replik seiner Chefin, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, ein, die kurz darauf zu Protokoll gab, die finanziellen, personellen und materiellen Zielvorgaben blieben unangetastet, Pandemie hin oder her (Bombiges Konjunkturprogramm).

Erfreulich ist die Debatte dennoch in jedem Fall aus mindestens zwei Gründen: Einmal wird es hoffentlich nun etwas schwerer werden, die vom Fähigkeitsprofil vorgesehenen aberwitzigen jährlichen Steigerungen des Rüstungshaushaltes durchzudrücken, wenn sie selbst vom ranghöchste Bundeswehrsoldat infrage gestellt werden.

Und zweitens greift die - ohnehin sehr verhaltene - Debatte, woher die Gelder für die Bewältigung der Pandemie kommen sollten, nun erstmals prominent auf den Verteidigungshaushalt über, der hierfür der naheliegendste Kandidat sein sollte.

Anspruchsvolles Fähigkeitsprofil

Seit der endgültigen Eskalation der westlich-russischen Beziehungen im Zuge der Ukraine-Krise ab 2014 rücken diese Auseinandersetzungen unter dem beschönigenden Begriff der "Landes- und Bündnisverteidigung" immer weiter ins Zentrum der Bundeswehrplanung (allerdings bei Beibehaltung der Interventionsfähigkeit im Globalen Süden). Dementsprechend wurde diese Aufgabe dann in der "Konzeption der Bundeswehr" im Juli 2018 als neue Priorität auserkoren:

Die Bundeswehr muss in der Lage sein, zur kollektiven Bündnisverteidigung in allen Dimensionen mit kurzem Vorlauf, mit umfassenden Fähigkeiten bis hin zu kampfkräftigen Großverbänden innerhalb und auch am Rande des Bündnisgebietes eingesetzt zu werden.

BMVg

Darauf aufbauend goss das "Fähigkeitsprofil der Bundeswehr" vom September 2018 diese Prioritätensetzung in konkrete materielle, personelle und finanzielle Zielvorgaben. Seither hat der Aufbau der in der Konzeption der Bundeswehr angemahnten Großverbände hohe Priorität: Bis 2023 soll eine schwere Brigade (circa 5.000 Soldatinnen und Soldaten), bis 2027 eine Division (circa 15.000) und bis 2032 drei Divisionen in die Nato eingespeist werden können. Gemessen an dem, was bislang vorhanden ist, sind das sehr ambitionierte Ziele für deren Umsetzung die Bundeswehr im Umfang von aktuell ca. 180.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten spätestens im Jahr 2027 ansteigen soll (siehe Deutschland auf (Führungs-)Kurs).

Und auch finanziell hat das Fähigkeitsprofil "klare Preisschilder", wie Rainer Meyer zum Felde vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel schreibt:

Es verlangt einen Anstieg des Einzelplans 14 [Verteidigungshaushalt] von rund 43 Mrd. Euro in 2019 auf 46 Mrd. in 2020, 58 Mrd. in 2024 und 60 Mrd. in 2025 (nach NATO-Kriterien von rund 47 Mrd. Euro in 2019 auf 50 Mrd. in 2020, 62 Mrd. in 2024 und 64 Mrd. in 2025).

Rainer Meyer

Fortschreibung: Im Plan?

Seit der Veröffentlichung wird das Fähigkeitsprofil regelmäßig aktualisiert ("fortgeschrieben") und dabei auch geprüft, inwieweit die Zielvorgaben bislang auch "erfolgreich" umgesetzt wurden. Zwar ist der diesbezügliche Fortschreibungsbericht unter Verschluss, auf der Internetseite der Bundeswehr wurde am 18. Dezember 2020 aber relativ ausführlich über ihn berichtet. Dort wird noch voller Tatendrang verkündet:

Die Bundeswehr hat sich viel vorgenommen bis 2032. Bis dahin will sie in der Lage sein, nicht nur in den internationalen Einsätzen an der Seite ihrer Verbündeten zu bestehen, sondern auch ihre Aufgaben in der Landes- und Bündnisverteidigung wieder bestmöglich zu erfüllen.

BMVg

Zwar wird darauf verwiesen, dass die "erfolgreiche" Umsetzung des Fähigkeitsprofils von einem weiter steigenden Rüstungshaushalt abhänge, nirgends wird aber daran gezweifelt, dass dies auch geschehen wird:

Die Refokussierung der Bundeswehr auf die Landes- und Bündnisverteidigung ist, bei gleichrangiger Wahrnehmung der Aufgaben des internationalen Krisenmanagements sowie der weiteren Aufgaben der Bundeswehr, nach wie vor planungsleitend. […] Essenziell ist eine stetig steigende Finanzlinie des Einzelplans 14.

Diese Steigerung ist in den vergangenen Jahren spürbar geworden, muss aber anhalten. damit Deutschland mehr Verantwortung übernehmen kann. Seine internationalen Zusagen und Verpflichtungen kann Deutschland nur glaubhaft erfüllen, wenn die Modernisierung der Bundeswehr nachhaltig gelingt.

BMVg

Auch an den personellen Zielen soll laut BMVg augenscheinlich unbeirrt festgehalten werden: Zur neuen Mittelfristigen Personalplanung hieß es ebenfalls am 18. Dezember 2020:

"Bis 2027 bleibt es somit bei den avisierten 203.000 Soldatinnen und Soldaten, einschließlich der 4.500 Stellen für Reservedienst Leistende. Die Zielstruktur für Zivilpersonal soll von 67.800 Haushaltsstellen auf 69.700 Haushaltsstellen angepasst werden."

Zorn skeptisch

Eigentlich lag die Bundeswehr finanziell mit einem Verteidigungshaushalt von 45,2 Mrd. Euro im Jahr 2020 tatsächlich im Fahrplan des Fähigkeitsprofils, der davon ausgeht, für dessen Umsetzung würden Militärausgaben in Höhe von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes benötigt. Laut Nato wurde diese Vorgabe im Jahr 2020 mit 1,57 Prozent sogar übererfüllt. Doch den noch im Dezember vom BMVg an den Tag gelegten Optimismus in Sachen Fähigkeitsprofil will ausgerechnet Generalinspekteur Eberhard Zorn nicht teilen.

Im Interview mit der Welt am Sonntag vom 3. Januar 2021 äußerte er sich folgendermaßen:

Als Staatsbürger sehe ich, was die Pandemie an Geldern erfordert, um das Wirtschaftssystem am Leben zu erhalten. Es wird sicher einen Kassensturz nach Corona geben. Ich denke, wir müssen danach unsere militärischen Zielvorstellungen noch einmal überprüfen. Das muss dann auch realistisch in Brüssel mit unseren Nato-Partnern abgestimmt werden. Es ergibt wenig Sinn, dass wir uns gegenseitig Ziele setzen, die kein Alliierter aufgrund der Corona-Haushaltsbelastungen halten kann.

Generalinspekteur Eberhard Zorn

Der militärnahe Blog Augen geradeaus! wies daraufhin explizit auf die Tragweite dieser Äußerungen gerade mit Blick auf die Zielvorgaben des Fähigkeitsprofils hin:

Auch wenn "unsere militärischen Zielvorstellungen noch einmal überprüfen" vordergründig harmlos klingt: Das dürfte wohl aller Voraussicht nach bedeuten, dass die Pläne für die Bundeswehr der nächsten zehn Jahre nach unten korrigiert werden müssen. Absehbar beim Material, vor allem bei Beschaffungen. Aber vielleicht ja auch beim Personal.

Augen geradeaus!

Debatte eröffnet

Wie eingangs erwähnt ist es unklar, was Zorn mit seinen Äußerungen bezweckte. Erst einmal lässt sich festhalten, dass er von einem "Kassensturz" und nicht explizit von "Kürzungen" sprach, dies wurde ihm erst später von den Medien in den Mund gelegt. Vielmehr räumte Zorn durch die Blume ein, dass selbst die rasanten Steigerungen des Rüstungshaushaltes der letzten Jahre zu gering ausgefallen seien, um das Fähigkeitsprofil umsetzen zu können:

"Allein in 2020 hat das Parlament Investitionen in einem Gesamtvolumen von 27 Milliarden Euro für die kommenden Jahre bewilligt. Seit 2017 bewegen sich die Investitionszusagen damit in dieser Größenordnung. Trotzdem bleiben wir leider unterhalb unserer gesetzten Planungslinie."

Wenn die Bundeswehr schon seit einiger Zeit hinter ihren selbstgesteckten Zielen hinterherhinkt, so spricht die Annahme, es würde ihr unter den aktuellen Umständen wohl nicht gelingen, noch mehr Gelder herauszuschlagen, für einen gewissen Realismus. Das Scheitern des Fähigkeitsprofils dann auch noch gänzlich der Pandemie in die Schuhe zu schieben, wäre ein weiterer Bonus, den Zorn im Blick gehabt haben könnte.

Was aber auch immer Zorn zu seinem Vorstoß bewogen haben mag, er war augenscheinlich nicht mit seiner Chefin abgesprochen. Denn Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sah sich daraufhin dazu veranlasst, jede Absenkung des Fähigkeitsprofils kategorisch abzulehnen. In der dpa-Meldung vom 7. Januar 2021 ging sie wohl als direkte Replik gegen Zorn mit folgenden Worten in die Bütt:

Kramp-Karrenbauer widersprach Erwartungen, wonach für die Bewältigung der wirtschaftlichen Krisenfolgen eine Kürzung der Verteidigungsetats der richtige Weg sei. "Wenn wir über große Rüstungsprojekte reden, reden wir auch über nationale Industriepolitik", sagte sie. "Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, dass wir im vergangenen Jahr durch große Konjunkturpakete versucht haben, die Wirtschaft zu stabilisieren und nun dort, wo der Staat etwa im Bereich Rüstung selbst Auftraggeber ist, Aufträge zurückziehen und damit selbst dazu beitragen, dass Arbeitsplätze gefährdet sind. […] Zuerst einmal kämpfe ich dafür, dass wir für die Bundeswehr und damit für unsere Sicherheit das Geld erhalten, das wir brauchen", so Kramp-Karrenbauer zur aktuellen Lage. "Im Übrigen haben wir das auch mit Blick auf internationale Verpflichtungen zugesagt, etwa in der Nato." Große Rüstungsprojekte dürften auch nicht zulasten der Ausstattung für die einzelnen Soldaten gehen. "In der Vergangenheit war häufig das Gegenteil der Fall, und das war falsch", sagte sie.

Handelsblatt

Von personellen, materiellen oder finanziellen Einschränkungen des Fähigkeitsprofils will Kramp-Karrenbauer also ungeachtet der Pandemie augenscheinlich nichts wissen. Eigentlich handelt es sich dabei um eine Steilvorlage, um die Debatte, woher die Gelder zur Bewältigung der Pandemie kommen sollen, gezielt auf den Rüstungsbereich zu lenken.

Schließlich liegt es mehr als nahe, hier auf den Militärhaushalt zu schauen, der zwischen dem Jahr 2000 (24,3 Mrd. Euro) und 2021 (46,9 Mrd. Euro inkl. den Geldern des Corona-Paketes) massive Zuwächse verbuchen konnte. Es wird spannend sein, wie (und ob) sich die einzelnen Parteien in dieser Frage im kommenden Wahlkampf positionieren werden.