Corona: Lockdown vs. Grundgesetz

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Gerichte erklären Maßnahmen für ungültig

Diese Woche hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) das im Dezember von der Staatsregierung als Anti-Corona-Maßnahme verhängte bayernweite Verbot des Trinkens von Alkohol in der Öffentlichkeit vorläufig außer Vollzug gesetzt. Die Entscheidung erzeugte deutschlandweit Aufmerksamkeit, weil sie von einer hohen Instanz gefällt wurde. Andere Gerichtsentscheide, die sich mit staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen befassen, finden sich wegen der Länge des Rechtsweges naturgemäß bislang eher in unteren Instanzen.

Ausführliche verfassungsrechtliche Argumentation

Ein Urteil, das am 11. Januar gesprochen und gestern veröffentlicht wurde, stammt vom Amtsgericht Weimar und trägt das Aktenzeichen 6 OWi-523 Js 202518/20. Es ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen, weil es einen Akt der Staatsführung für nichtig erklärt. Im Regelfall machen Amtsgerichte so etwas nicht, weil das eine sehr ausführliche verfassungsrechtliche Argumentation erfordert. Dass das Weimarer Gericht diese Argumentation liefert, ist der zweite Grund, der dieses Urteil so bemerkenswert macht.

Das Bußgeld, gegen das sich der Kläger in diesem Verfahren vor Gericht wehrte, wurde wegen einer Hinterhofgeburtstagsfeier vom 24. April 2020 verhängt. An dieser Geburtstagsfeier hatten sich acht Personen aus sieben Haushalten beteiligt. Der Thüringer Sars-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung (ThürSARS-CoV-2-EindmaßnV0) vom 26. März 2020 nach wäre maximal ein Gast aus einem anderen Haushalt erlaubt gewesen.

Sowohl formell als auch materiell grundgesetzwidrig

Diese Verordnung war und ist der Ansicht des Thüringer Amtsgerichts nach allerdings nichtig, weil sie sich nicht mit dem Grundgesetz vereinbaren lässt. Dafür führt das Urteil sowohl formell als auch materielle Gründe an: Für den Erlass einer so weitreichenden Vorschrift wäre nämlich nicht die Exekutive zuständig gewesen, sondern die Legislative. Anstatt eine bloße Verordnung zu erlassen, hätte sich die Regierung vom Landtag ein richtiges Gesetz genehmigen lassen müssen. Den Verdacht, dass das so sein könnte, hatte man anscheinend auch in der Staatsführung, weshalb mit dem Paragrafen 28a eines neuen Infektionsschutzgesetzes eine gesetzliche Rechtsgrundlage für Kontaktverbote nachgeschoben wurde.

Materiell verfassungswidrig war die Verordnung dem Amtsgericht nach deshalb, weil es am 28. März 2020 nicht die vom Bundestag behauptete "epidemische Lage von nationaler Tragweite" gegeben habe. Die Reproduktionszahl R sei den Zahlen des Robert-Koch-Instituts nach nämlich bereits am 21. März 2020 unter den Wert Eins gefallen. Auch die Zahlen zur Übersterblichkeit, zur Intensivbettenbelegung und zur Letalität des Virus lieferten keine Grundlage für so eine Behauptung. Das müsse man bei einer Abwägung von Rechtsgütern berücksichtigen.

Kontakte und Menschenwürde

Bei der Prüfung, welche Rechtsgüter von den Maßnahmen berührt sind, sah sich das Amtsgericht auch die in Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes als unantastbar garantierte Menschenwürde an. Dabei kam es zum Ergebnis, dass es "zu den grundlegenden Freiheiten des Menschen in einer freien Gesellschaft [gehört], dass er selbst bestimmen kann, mit welchen Menschen (deren Bereitschaft vorausgesetzt) und unter welchen Umständen er in Kontakt tritt". "Die freie Begegnung der Menschen untereinander zu den unterschiedlichsten Zwecken" ist dem Urteil nach sogar "die elementare Basis der Gesellschaft". Deshalb, so das Gericht, wurden 2012 selbst in der mit siebeneinhalb Millionen Toten rechnenden Risikoanalyse Pandemie durch Virus Modi-SARS zwar Kontaktpersonenquarantäneanordnungen, Schulschließungen und Absagen von Großveranstaltungen, aber keine "allgemeinen Kontaktverbote […] in Erwägung gezogen".

Wann sich das Bundesverfassungsgericht mit diesen Fragen befassen wird ist noch unklar. Ebenso unklar ist, ob es sie in ähnlicher Weise beantworten wird wie das Amtsgericht in Weimar. Möglicherweise wird dabei auch von Bedeutung sein, dass in Deutschland Usus ist, was die EU bislang nur in Polen kritisiert: Dass die Politik die Höchstrichter bestimmt (vgl. Kritik an polnischer Justizreform: Sitzt Deutschland im Glashaus?). Die Zurückhaltung, die die deutschen Parteien in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg bei dieser Besetzung an den Tag legten, schwand im 21. Jahrhundert deutlich: Mit Stephan Harbarth wurde 2020 sogar ein ehemaliger Abgeordneter und Fraktionsvize Präsident des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Unionsfraktionsvize soll Bundesverfassungsgericht leiten).

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