Ist eine "Null-Covid-Strategie" sinnvoll, aber nicht durchführbar?

Warum die Orientierung auf eine massive Absenkung der Infektionszahlen vernünftig ist und wie sie auch in Deutschland solidarisch umgesetzt werden könnte

Die Covid-19-Pandemie verursacht seit etwa einem Jahr auch in Europa eine große Zahl von Todesfällen, belastet Gesellschaften und Gesundheitssysteme und schadet der Wirtschaft. Deshalb sollten die europäischen Regierungen gemeinsam gegen die Pandemie vorgehen, bevor auf eine zweite Welle eine noch verheerendere dritte Welle folgt.

Angesichts von mehr als 50.000 Toten, die im Zusammenhang mit dem Coronavirus in Deutschland bisher verstorben sind, und der Tatsache, dass sich virulentere Coronavirus-Varianten schnell ausbreiten und dann das Infektionsgeschehen bestimmen können, brauchen wir entschlossenes Handeln, um die die Seuche zu stoppen. Dazu liegen inzwischen zwei von der Wissenschaft gut begründete Aufrufe und Aktionspläne auf dem Tisch, die auch in der Öffentlichkeit auf große Resonanz gestoßen sind.

Von Fachleuten begründeter Aufruf für eine Null-Covid-Strategie

Ein erster Aktionsplan für gemeinsame europäische Anstrengungen, um schnell und nachhaltig die Zahl der SARS-CoV-2- Infektionen zu senken, wurde am 18.12.2020 im Wissenschaftsmagazin The Lancet veröffentlicht1. Zu den AutorInnen dieser Initiative gehören aus Deutschland die Physikerin Viola Priesemann und die Epidemiologinnen Melanie Brinkmann und Sandra Ciesek und weiterhin eine Reihe von Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen aus ganz Europa.

Die AutorInnen sagen unmissverständlich: Wenn die europäischen Regierungen jetzt nicht handeln, sind weitere Infektionswellen zu erwarten, die sich negativ auf Gesundheit, Gesellschaft, Arbeitsplätze und Unternehmen auswirken werden.

Bei offenen Grenzen in ganz Europa kann ein einzelnes Land allein die Zahl der Covid-19-Fälle auf Dauer nicht niedrig halten. Deshalb sind gemeinsames Handeln und gemeinsame Ziele der einzelnen Länder von wesentlicher Bedeutung.

Das Erreichen und Aufrechterhalten niedriger Fallzahlen sollte aus den folgenden Gründen das gemeinsame, gesamteuropäische Ziel sein: Erstens retten niedrige Fallzahlen Leben, und weniger Menschen werden sterben oder an langfristigen Auswirkungen von Covid-19 leiden. Auch wird eine Überlastung der Krankenhäuser und der Intensivstationen vermieden.

Zweitens retten niedrige Fallzahlen Arbeitsplätze und Unternehmen. Die Volkswirtschaften können und werden sich schnell erholen, sobald das Virus stark reduziert oder beseitigt ist. China und Australien sind einige der Länder, die gezeigt haben, dass das möglich ist. Zu ergänzen ist hier: Neuseeland, Taiwan, Südkorea und auch Finnland gehören ebenfalls dazu.

Drittens ist die Kontrolle der Virusausbreitung bei niedrigen Fallzahlen am effektivsten. Die Lockerung von Beschränkungen bei gleichzeitiger Akzeptanz höherer Fallzahlen ist eine kurzsichtige Strategie, die zu einer weiteren Welle und damit zu höheren Kosten für die Gesellschaft als Ganzes führen wird.

Viertens ist Kontaktverfolgung und Quarantäne bei hoher Infektionsprävalenz nicht mehr möglich.

Fünftens ist das Streben nach einer natürlich erworbenen Immunität der Bevölkerung keine realistische Option, denn von einem schwereren Verlauf von Covid-19 sind in Deutschland mindestens 30 Millionen Menschen, d. h. etwa 40 Prozent der Bevölkerung, bedroht.

Und sechstens ist nur bei niedrigen Fallzahlen eine gesellschaftliche Planung möglich. Dadurch werden der wirtschaftliche Schaden und die Unsicherheit und psychische Belastung der Bevölkerung vermindert. Wenn jedoch die Fallzahlen auf höhere Werte ansteigen, können entschlossene Maßnahmen ergriffen werden, um sie wieder zu senken.

Um die Covid-19-Pandemie besser zu bewältigen, wird eine Strategie mit drei Kernelementen vorgeschlagen:

  1. Niedrige Fallzahlen erreichen: Nicht mehr als zehn Neuinfektionen pro einer Million Menschen pro Tag sind das Ziel. Dieses Ziel wurde in vielen Ländern erreicht (siehe auch oben) und kann spätestens im Frühjahr 2021 in ganz Europa wieder erreicht werden.
  2. Fallzahlen niedrig halten: Bei niedrigen Fallzahlen ist eine Lockerung der Beschränkungen möglich. Es sollten aber unter sorgfältiger Kontrolle gezielte Maßnahmen wie die AHA-Regeln und die Kontaktverfolgung fortgeführt werden.
  3. Entwicklung einer längerfristigen gemeinsamen europäischen Vision: Dazu gehören die Entwicklung von Strategien zur Eliminierung des Coronavirus, zum Screening, zur Impfung, zum besonderen Schutz von Menschen mit besonders hohem Risiko (z. B. BewohnerInnen von Senioren- und Pflegeheimen) und zur Unterstützung der am stärksten von der Covid-19-Pandemie betroffenen Personengruppen.

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