Gegen die Wand

Bund-Länder-Treffen macht Konzeptlosigkeit in Corona-Krise deutlich. Doch endlos lassen sich Grundrechtseinschränkungen nicht aufrechterhalten. Ein Kommentar

Bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) heute Nachmittag mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder – pandemiekonform per Videoschalte – die weiteren Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus Sars-CoV-2 berät, hat man als einfacher Bürger ein Déja-vù: Wieder finden die Beratungen ohne jegliche Transparenz statt, wieder sind die Ergebnisse im Grunde genommen vorab klar: Der sogenannte harte Lockdown wird über den 14. Februar hinaus verlängert werden.

Das alleine ist aber nicht der Skandal. Kritikwürdig ist vor allem die Konzeptlosigkeit und das Unvermögen, die Pandemie auf eine Weise in den Griff zu bekommen, die absehbare soziale Folgen nicht ins Unermessliche steigen lässt.

Mit der andauernd erzwungenen Schließung von Handel, Bildungs- und Kultureinrichtungen wächst auch daher der Unmut über das ständige Weiter-so. Es ist die Konzeptlosigkeit, die den Ärger in der Bevölkerung schürt.

Mitte Januar schon haben knapp die Hälfte der Bundesbürger die Einschränkungen der Grund- und Freiheitsrechte als starke bis sehr starke Belastung wahrgenommen. Es ist zu erwarten, dass sich mehr und mehr Bürger diesem Urteil anschließen.

Unklare und wechselnde Kriterien

Denn die Bundesregierung sowie der von ihr erwählte und sehr beschränkte Kreis wissenschaftlicher Berater lässt die Menschen über die Kriterien für Ein- und Fortführung der Einschränkungen im öffentlichen wie privaten Raum im Unklaren. Hieß es lange, alleine der sogenannte Inzidenzwert – der wissenschaftlich betrachtet gar keiner ist, sondern die Summe mehrerer unsystematisch generierter Punkt-Prävalenzen – sei ausschlaggebendes Kriterium für die Rechtsbeschneidungen (Diese Gründe sprechen gegen den verlängerten Teil-Lockdown).

Nun sinkt dieser Wert, doch es heißt: Die Einschränkungen müssten aufrechterhalten werden, weil die Zahl wieder steigen könnte. Und es heißt, die Mutationen des Sars-CoV-2 machten eine Verlängerung des Lockdowns notwendig. Was aber kommt als nächstes, wie lange soll dieses Spiel mit Leben und Zukunft der Menschen noch andauern? Diese zentralen Fragen lassen die Entscheider in Regierung und regierungsnahen Wissenschaftsinstitutionen weitgehend unbeantwortet.

Geht es um die Beurteilung der Regierungspolitik in dieser Krise, kann das Ungleichgewicht zwischen Grundrechtseinschränkungen und Repression auf der einen Seite sowie Abkehr von der staatlichen Fürsorgepflicht auf der anderen Seite nicht unbeachtet bleiben. Denn während Regierungspolitiker bei Regelverstößen stetig mit Sanktionen drohen, war Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nicht nur bei der Versorgung mit Masken zu lange erfolglos, er scheitert derzeit auch in einer ganz zentralen Frage: der Impfkampagne.

Einschränkungen sollen ausbleibende Erfolge kompensieren

Gerade einmal 1,2 Prozent der Bevölkerung haben hierzulande bis dato die beiden notwendigen Impfdosen erhalten, die erste wurde 2,8 Prozent injiziert. In Großbritannien liegt die Gesamtimpfrate bei 18 Prozent, in Israel haben 40 Prozent der Bevölkerung eine Dosis erhalten, 23 Prozent bereits beide.

Die Bundesregierung wird sich in zunehmendem Maße fragen lassen müssen, in welchem Verhältnis diese Resultate der Pandemiepolitik zu den andauernden Rechtseinschränkungen stehen. Darauf hat unlängst auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hingewiesen: "Die Grundrechte einzuschränken ist keine Kleinigkeit, und ihre Ausübung wieder herzustellen ist Pflicht der Politik, sobald die Infektionslage das zulässt." (Lockdown-Folgen: Kitas und Schulen sollen öffnen)

Steinmeiers Nebensatz soll die Regierung entlasten, weist tatsächlich aber auf ihre Verantwortung hin: Es obliegt ihr, diese Krise zu bewältigen. Je länger sie dieses Ziel verfehlt, desto länger werden Grundrechtseinschränkungen und Belastungen für die Menschen andauern.

Und schließlich wird die Frage zur Diskussion stehen, in welchem Maße die Regierenden Lehren aus dieser relativ mild verlaufenden Pandemie ziehen und strukturelle Reformen in Angriff nehmen:

  • Ist die intensivmedizinische Versorgung landesweit (wieder) aufgebaut worden?
  • Ist die Digitalisierung der für das Krisenmanagement verantwortlichen Behörden vorangeschritten?
  • Sind Löhne und Gehälter in Pflege angehoben und Ausbildungskampagnen gestartet worden?
  • Können vulnerable Gruppen – Kinder und Alte – bei einer etwaigen künftigen Seuche auf mehr und gezieltere Schutzmaßnahmen hoffen?

Viele dieser Fragen müssen auch knapp ein Jahr nach Ausbruch der Infektionswelle weitgehend verneint werden. Was heißt: Bund und Länder fahren nicht auf Sicht. Sie fahren gegen die Wand.

Harald Neuber ist Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis

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