Corona-Krise: "Das Risiko eines Schocks zwischen den Generationen"

Bild: Matthew Bennett/Unsplash

Die Jüngeren leiden mehr unter den Corona-Maßnahmen? Das Verblassen der Alltagssolidarität

"Alltagssolidarität" wäre so ein Begriff, der anzeigt, wo die soziale Distanzierung zu Folgen führt, die noch nicht abzuschätzen sind. Alltagssolidarität sei eine unverzichtbare Kraftquelle gewesen, die aus gemeinsamen Erfahrungen in der Arbeit und in Konflikten hervorgehe. Gewerkschaften und Betriebsräte hätten darauf gebaut, stellt ein Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik fest, der sich den Hype zum Homeoffice genauer anschaut: über das "Heilsversprechen Homeoffice".

Doch beschränkt sich Alltagssolidarität nicht nur auf den Arbeitsplatz. Was passiert mit der Alltagssolidarität, wenn die Kommunikation, in der sich Menschen gegenseitig etwas von ihrem Selbstverständnis mitteilen, nur mehr online oder im engen privaten Bereich passiert? Dann bekommen Bilder, Stereotypen und Schablonen, die verstärkt aus der digitalen Welt in die Realität fließen, mehr Wucht? Schwächen, Weiches, Softes, Fehler werden stärker als vor der Coronakrise nur mehr bei denen verstanden, geduldet, toleriert und respektiert, die man aus der Nähe kennt? Die Erfahrungsgrundlage der Alltagssolidarität wird weiter abgegraben?

Das ist grob angedeutet ein Unbehagen, das jedes Mal auftaucht, wenn ein anderer Hype zur Sprache kommt: der Generationenkonflikt und Corona. Aktuell wird er in der französischen Tageszeitung Le Monde abgehandelt. Die These steckt schon der Überschrift: "Gesundheitskrise: das Risiko eines Schocks zwischen den Generationen". Im Original: "choc intergénérationnel". Die Zeitung schreibt von "einem Virus, das spaltet". Wobei schon falsch ist, dass die Krankheit Covid-19 als Virus bezeichnet wird.

"Sollen die Jungen 'geopfert' werden, um die Alten zu retten?"

Basis ist eine Umfrage, deren zentrale Aussage lautet, dass 56 Prozent der Franzosen einen Generationenkonflikt befürchten. Bei den 18- bis 34-Jährigen seien es sogar 60 %. Die Umfrage ist etwa so groß wie die ARD-DeutschlandTrends, Odoxa befragte Anfang Februar 1005 Personen. Wie zu erwarten, stehen im Bericht darüber Fragen und Feststellungen, die das Feld etwas "aufheizen": "Sollen die Jungen 'geopfert' werden, um die Alten zu retten?" Aus der Umfrage "ergibt sich eine Abneigung gegenüber den Älteren, die zum Ausdruck gebracht wird".

Bekräftigt wird dies durch Aussagen, wonach die Solidarität der Jüngeren gegenüber den Älteren nachlasse: 59 % der 18-bis 34 jährigen befragten Französinnen und Franzosen sprechen sich dafür aus, dass nur ältere Menschen von "Abschottungsmaßnahmen" (der französische Begriff lautet "confinément", was in deutschen Berichten meist mit Lockdown wiedergegeben wird) betroffen sein sollten. Nimmt man die Angaben dazu von allen Befragten, so hätte diese Auffassung keine Mehrheit. Nur 44 Prozent wären für eine solche Maßnahmenpolitik.

Interessant ist die Gegenüberstellung der Einschätzung der Jüngeren und der Älteren.

Tatsächlich bestätigt die Odoxa-Umfrage, dass die 18- bis 34-Jährigen die ersten Kollateralopfer der Pandemie sind: 81 % der Befragten glauben, dass "junge Menschen und Studenten bei Regierungsentscheidungen am wenigsten berücksichtigt werden". Von den 18- bis 34-Jährigen haben 66 % das Gefühl, dass sich ihre sozialen Beziehungen zu Familie, Freunden und Kollegen verschlechtert haben, verglichen mit 55 % der Franzosen. Weitere 56 % haben eine Depression erlebt. Jeder Zweite (51%) erlebt eine Einbuße seiner Kaufkraft.

Le Monde

Untermalt wird dies von Zitaten. So sagt eine 24-Jährige: "Wir haben das Gefühl, dass wir bestraft werden, wie in einem Klassenzimmer, wenn alle Schüler zusammengepfercht werden, weil ein Schüler etwas Dummes gemacht hat."

Auf der anderen Seite sprechen die Älteren von einer Ignoranz der Jüngeren: "70 % der über 65-Jährigen haben das Gefühl, dass junge Menschen die Schwierigkeiten, die sie haben, nicht erkennen."

Auch dazu gibt es ein anschauliches Zitat, diesmal von einer Bewohnerin eines Altenheims (Ehpad): Man sollte "das Leiden dieser alten Menschen verstehen, die in ihren letzten Lebensjahren ihre Kinder und Enkelkinder, die ihre Freude sind und für die sie Zärtlichkeit empfinden, nicht sehen können". Betont wird aber auch, dass die Situation "für uns weniger schlimm ist als für unsere Enkel, die dieses goldene Zeitalter der freundlichen und liebevollen Begegnungen nicht mehr erleben können. Dieser Einstieg ins Leben wird ihnen verwehrt, und das ist ein irreparabler Mangel, der mir dramatisch erscheint".

"Tabubruch" und keine Sicherheitsvorkehrungen in der Diskussion

Also doch alles nicht so schlimm? Das Problem liege im Tabu-Bruch, der mit Diskussion, ob ältere Menschen besonderen Confinément-Maßnahmen unterworfen werden, gemacht werde, ohne dass die politische Diskussion von einer Wertschätzung der älteren Menschen begleitet würde, heißt es im Le Monde-Artikel zur Umfrage.

Politiker, die solche Diskussionen unterstützen oder lancieren, würden den "Mehrwert von Verbindungen zu den älteren Mitbürgern" übergehen. Es würden keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um die Kluft zwischen den Generationen zu überbrücken.

Für Medien ist es reizvoller, den Unterschied zu akzentuieren: "Den Generationenkonflikt gab es immer, aber jetzt ist es extrem", berichtete die Welt im November letzten Jahres, als der Lockdown gerade begonnen hatte.

Pädagogiken, die sich spiegeln

Interessant ist, dass sich gewisse Pädagogiken spiegeln, wie sich in der deutschen Diskussion zeigt. Wird den Jüngeren von die Älteren ein unverantwortlicher Umgang mit den Corona-Maßnahmen, etwa bei geselligen Treffen, neuerdings auch auf gefrorenen Seen, vorgeworfen, so gibt es auch Kritik an der "paternalistischen Haltung" Jüngerer den Älteren gegenüber, wie es Hans-Werner Wahl, Direktor des Netzwerks Alternsforschung der Universität Heidelberg, formuliert:

Jüngere spielen sich symbolisch gesehen als die selbst ernannten Eltern der Alten auf, die ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Dabei sind ältere Menschen doch diejenige Gruppe in unserem Gemeinwesen mit der größten Lebenserfahrung. Die meisten handeln vernünftig und wissen selbst, wie sie sich zu verhalten haben. Das kann man auch von ihnen erwarten. Trauen wir ihnen doch einfach zu, dass sie wissen, welches Verhalten risikoreich ist. Das muss ihnen niemand dauernd sagen.

Hans-Werner Wahl

Wahl hält es für "kulturell primitiv", wenn man die riesige Gruppe von Menschen der Über-65-Jährigen "auf eine homogene Masse reduziert und einheitlich in eine Schublade (steckt): in die der Verletzlichen, vom Tode Bedrohten, der zu Isolierenden. Allein in Deutschland beträfe das 17,5 Millionen Menschen, denn so viele sind älter als 65 Jahre".

Auch er betont die "Gefahren mangelnder Solidarität zwischen den Generationen in dieser Krise".