Tante Emma wird digital

Lebensmittelmärkte: Neue Einkaufsmodelle, die beim Personal sparen und den Kunden enger binden wollen

Lebensmittel online bestellen, ist in Deutschland noch kein großer Trend. Welche Entwicklungsoptionen hat der stationäre Lebensmittelhandel? Die Margen im Lebensmitteleinzelhandel sind schon seit vielen Jahren eng.

Das führte beispielsweise dazu, dass die Tengelmann-Gruppe sich von ihren stationären Lebensmitteleinzelhändlern der Marken Tengelmann, Kaiser's Kaffee und Plus vollständig getrennt hat und es inzwischen im Wesentlichen noch vier bedeutende "Player" gibt: Edeka mit dem Discounter Netto, Rewe und seine Discounttochter Penny, die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland sowie Aldi Süd und Aldi Nord. Wobei die Läden der Marken Edeka und Rewe vielfach von selbständigen Kaufleuten betrieben werden.

Da der Gesamtmarkt keinen großen Zuwachs mehr verspricht, bewirkt das Wachstum des einen den Verlust bei den Wettbewerbern. Einer weiteren Konzentration dürfte das Kartellamt widersprechen und ausländische Anbieter tun sich auf dem deutschen Markt schwer, wie vor Jahren der US-Handelsriese Walmart schmerzlich erfahren hatte.

Nahrungsmittel: Preise zählen und nicht Qualität?

Da der Markt Preissteigerungen nicht hergibt, weil die Deutschen bei Nahrungsmitteln preis- und nicht qualtätsgetrieben entscheiden, bleibt als einzige Option: Die Kosten müssen runter. Wenn der Handel seine Kosten senken will, geht das vielfach zu Lasten der Landwirte, wobei dies hauptsächlich für Fleisch und Milch gilt.

Bei Obst und Gemüse bezieht der deutsche Handel inzwischen schon zwei Drittel aus dem Ausland, weil die Beschaffungskosten für deutsche Produkte zu hoch sind oder das Angebot zu zersplittert und der Einkauf von Kleinstmengen nicht rentabel. Inzwischen gehen diese Angebote meist in die lokalen Hofläden.

Nachdem man bei der Absenkung der Betriebskosten durch den Bau immer größerer Einheiten auch das Ende der Fahnenstange erreicht hat, mussten neue Lösungen her. Aufgrund des deutschen Mindestlohns ist bei den Löhnen die Schwelle nach unten kaum noch zu durchbrechen. Eine Lösung sind hier Lohnkostenzuschüsse, wie sie beispielsweise für die Beschäftigung von Behinderten bezahlt werden. Das Franchise-System der Cap-Märkte verfolgt diese Idee seit zwei Jahrzehnten.

Senkung der Betriebskosten durch Automatisierung

Wer damit spekuliert, dass die Roboter Einzug in den Lebensmittelhandel halten, der hat das Beispiel Walmart vor sich: Dort wurden Roboter ausgemustert, weil sie letztlich teurer waren als Menschen. Automatisierte mechanische Systeme eignen sich vorwiegend zum Kommissionieren im Online-Handel.

In Freiburg gab es mit der Automaten-Emma für drei Jahrzehnte ein, bzw. zwei Automatenläden, die rund um die Uhr geöffnet waren. Da die Bestückung der Automaten harte körperliche Arbeit war, gab es keinen Nachfolger und die letzte Automaten-Emma wurde vor zwei Jahren verschrottet.

Am Bahnhof Renningen startete die Deutsche Bahn im Rahmen des Projektes Zukunftsbahnhof am 23. Februar 2021 mit Edeka Südwest unter dem Namen "E 24/7 Karow & Sommer" einen kleinen Markt, der zunächst 300 Artikel anbietet und nach und nach auf bis zu 800 Artikel erweitert werden soll. Das Sortiment umfasst angefangen von Grundnahrungsmitteln inklusive gekühlter Waren bis hin zu Drogeriewaren zahlreiche Waren des täglichen Bedarfs.

Da der Markt auch alkoholische Getränke anbietet, kann man nur über eine App oder eine Karte bezahlen und nicht mit Bargeld. Die Waren selbst aus dem Regal nehmen, kann der Kunde ebenfalls nicht, denn seine Bestellung wird im Lagerraum automatisch kommissioniert und von dort zur Warenausgabe befördert, wo der Kunde sie zum ersten Mal zu Gesicht bekommt und abholen kann. Das Einkaufserlebnis in diesem Automaten-Laden kommt dem "Charme" des Online-Shopings gleich, nur muss man dazu aus dem Haus und sich dann die Ware selbst zustellen.

Digitalisierter 24-Stunden-Markt

Wer die Ware vor dem Kauf in die Hand nehmen und die Zutatenliste studieren will, wird mit einem anderen Tante-Emma-Konzept besser bedient. Die Emmas Tag- und Nachtmarkt GmbH in Erfurt hat nach ihrem erstem Markt in Altengottern, jetzt einen zweiten weitgehen digitalisierten 24-Stunden-Markt in der oberpfälzischen Gemeinde Altenthann im Landkreis Regensburg in Vorbereitung. Für Bayern ist das Projekt offenbar so spektakulär, dass sich Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger kürzlich persönlich vor Ort darüber informierte.

Der Alenthanner Markt soll ein "Vollsortimenter" werden, der Lebensmittel aller Art über Backwaren und Fleisch- und Wurstwaren bis Obst und Gemüse anbieten will. Besonders erfreut war der Wirtschaftsminister, als er erfuhr, dass auch viele Anbieter regionaler Produkte wie Honig oder Milch ins Sortiment aufgenommen werden. Dazu kommen handwerkliche Produkte von Metzgern und Bäckern der Region.

Der Zutritt zum Markt erfolgt über eine kostenlose Kundenkarte und einen Pin, den der Kunde selbst festlegt. Wenn der Einkäufer seinen Einkaufszettel abgearbeitet hat, gelangt der Kunde in den Kassenbereich mit Selbst-Scan-Kassen. Der Kunde kann die eingescannten Produkte mit seiner EC-Karte oder Kreditkarte bezahlen.

Da der Markt keinen Alkohol im Sortiment führt, entfällt die an Selbst-Scan-Bezahlpunkten übliche Aufsicht, die eine Rundumbetreuung durch Personal benötigt, also zusätzliche Kosten. Besonders stolz ist man bei diesem digitalen Geschäftsmodell darauf, dass das System eigenständig nachordert, sobald sich die Regale leeren.

Diese werden dann von Personal alle paar Tage mit der neu eingetroffenen Ware aufgefüllt. Zudem setzt man auf die künstliche Intelligenz des Systems, das es ermöglichen soll, das Sortiment der aktuellen Nachfrage anzupassen. So soll das Angebot bei hoher Nachfrage auch mit saisonalem Gemüse wie Spargel automatisch aufgestockt werden.

Auf der Agenda bei der Entwicklung des ausgefeilten Warenwirtschaftssystems steht auch eine Erweiterung, die erfasst, wenn Produkte kurz vor ihrem Ablaufdatum stehen und dann die entsprechenden Aktionsaufkleber bereitstellt, die vom Personal aufgeklebt werden und dem Kunden einen entsprechenden Preisnachlass an der Scanner-Kasse gewähren.

Bewegung auch beim üblichen Lebensmittelmarkt und Discounter

Zur Kundenbindung werden die Lebensmittelhändler nach Rabattmarken, Treuepunkten und PayBack-Karten schon bald deutlich andere Methoden zum Einsatz bringen. Die ersten Händler-spezifischen Apps sind schon im Umlauf. Wer sie nutzt, kann heute eine FFP2-Maske kostenlos erhalten und die aktuellen Sonderangebote einsehen, ohne Papier wälzen zu müssen.

Dass durch diese Entwicklung die regionalen Anzeigenblätter austrocknen und absterben, nimmt so mancher erst wahr, wenn er feststellt, dass er mit seinem Tablet die nassen Schuhe nicht ausstopfen kann.

Wer mit der Nutzung einer solchen App dann beim Einkauf nicht mehr nach der Münze zum Entsperren des Einkaufswagens suchen muss, mag sich ja noch freuen. Wenn er allerdings feststellt, dass er sich mit der jeweiligen App an bestimmte Händler bindet, versteht plötzlich, was der Handel unter Kundenbindungsprogrammen versteht. Und dass die App letztlich dann auch verfolgen kann, was ihr Nutzer einkauft, sorgt für eine Transparenz, wie sie heute nur online bekannt ist.