Reformen für mehr Öko-Landbau: Erhöhte Nachfrage allein reicht nicht

Immer mehr Menschen wollen sich nachhaltig ernähren. Die Politik unterstützt die Agrarwende noch nicht mit voller Kraft. Symbolbild: Sven Hilker auf Pixabay / Public Domain

Fördermittel für Landwirte sollen stärker an Umweltleistungen gekoppelt werden. Mit dem Kompromiss der Agrarminister von Bund und Ländern zur Umsetzung der EU-Agrarreform sind Bauern- und Umweltverbände nicht zufrieden

Ein Viertel der Direktzahlungen an Landwirte soll künftig an Öko-Kriterien geknüpft werden - darauf haben sich Ende März die Agrarminister von Bund und Ländern bei den Verhandlungen über die Umsetzung der EU-Agrarreform in Deutschland geeinigt. Neben Brachen und Ackerblühflächen soll vor allem eine hohe Kulturpflanzenvielfalt auf Äckern gefördert werden. Mehr Geld soll an Förderprogramme für die ländliche Entwicklung gehen. Ab 2023 sollen zusätzlich mit zehn Prozent der Direktzahlungen nachhaltige Landwirtschaft, Tierwohl und Ökolandbau finanziert werden. Dieser Anteil wird 2026 auf 15 Prozent angehoben.

Während sich die Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) mit den Beschlüssen zufrieden zeigt, sprachen Vertreter des Deutschen Bauernverbandes (DBV) von "schmerzhaften Einschnitten". Es sei nicht sicher, so hieß es, ob die umgewidmeten Mittel auch wirklich bei den Landwirten ankämen. Für die Bauern bedeute das eine Kürzung der Direktzahlungen um eine geschätzte Größenordnung von 40 Prozent, kritisierte DBV-Präsident Joachim Rukwied.

Die geplanten Maßnahmen reichten auch noch lange nicht aus, um das Artensterben zu stoppen, kritisieren Umweltschützer. Der Anteil müsse mindestens 30 Prozent betragen und jährlich um weitere fünf Punkte wachsen, forderte etwa der WWF. Martin Hofstetter von Greenpeace verlangt, die Gelder innerhalb der nächsten zehn Jahre komplett an konkrete Umweltleistungen zu binden.

Nicht mehr vermittelbar: Geldvergabe nach Flächengröße

Aus den EU-Agrarfördertöpfen werden einerseits sogenannte Direktzahlungen ausgezahlt. Andererseits gibt es Finanzmittel für die Entwicklung des ländlichen Raums. Das sind Beträge, die für langfristige Umweltmaßnahmen genutzt werden können. Erst im Dezember wurden Zahlungen für 2021 bis 2027 beschlossen. Bisher wurden Landwirte mit den größten bewirtschafteten Flächen mit dem meisten Geld belohnt. Doch der Druck der Gesellschaft, das Geld nach sinnvolleren Kriterien zu verteilen, wächst. Die neue Reform der EU-Agrarfinanzierung soll ab Anfang 2023 greifen. Insgesamt können die deutschen Bauern künftig mit etwa sechs Milliarden Euro pro Jahr rechnen.

Bodenfruchtbarkeit und Produktivität erhalten, ein gerechtes Einkommen für Landwirte, nachhaltig erzeugte Lebensmittel zu angemessenen Preisen sichern - das sind einige der Punkte, auf die sich die EU-Agrarminister unter Vorsitz von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) im Oktober verständigt haben. Bereits in einer im Mai 2020 vorgestellten "Farm-to-Fork-Strategie" will die EU-Kommission bis 2030 ein Viertel aller landwirtschaftlichen Flächen auf Bio umstellen.

Eine Milliarde Euro wäre dafür nötig. Andere Förderungsmöglichkeiten des Bundes bestehen seit 2002 über das Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN). Über das BÖLN wurden derzeit mit 2,8 Millionen Euro 13 Projekte der ökologischen Pflanzenzüchtung gefördert. Für 2021 sind 34 Millionen Euro eingeplant - die sich der Öko-Landbau wieder mit anderen Projekten der konventionellen Landwirtschaft teilen muss. Dafür wurden 30 Millionen Euro während der letzten fünf Jahre in Forschungen gesteckt, bei denen Pflanzen mit neuen gentechnischen Verfahren verändert wurden.

20 Prozent Öko-Landbau bis 2030?

Er schützt Böden, Wasser und Klima: Die Grünen-Politikerin Renate Künast hatte den Öko-Landbau schon vor 20 Jahren zur nachhaltigsten Form der Landwirtschaft erklärt. Im Jahr 2001 verkündete die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin, die ökologische Bewirtschaftung innerhalb von zehn Jahren von 3,2 Prozent auf 20 Prozent der Fläche ausdehnen zu wollen. Ende 2019 waren gerade mal zehn Prozent davon erreicht: 34.110 Bio-Betriebe (13 Prozent) bewirtschafteten rund 1,6 Millionen Hektar Fläche.

Rund 1,7 Millionen Hektar müssten bis 2030 hinzukommen - ein jährlicher Zuwachs von knapp sieben Prozent. Dafür müssen von den 230.000 konventionellen Bauern rund 35.000 weitere auf Bioprodukte umstellen. Von Anfang 2011 bis Ende 2014 wuchs der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln um fast ein Drittel, die deutsche Bio-Fläche hingegen nahm nur um 5,7 Prozent zu. Eine erhöhte Nachfrage nach Bio allein reicht offenbar nicht aus. Während der dreijährigen Umstellungszeit muss die Landwirtin oder der Bauer investieren, erntet geringere Mengen und kann die Erträge nur bedingt als Bio-Produkte vermarkten. In dieser Zeit sind landwirtschaftliche Betriebe auf Förderung angewiesen.

Weil in der EU jahrelang Unklarheit über die Agrarförderung herrschte, froren Bundesländer ihre Förderprogramme ein und kürzten Prämien. Kaum war der EU-Etat für die Folgejahre geklärt, stockten die Länder ihre Förderung auf, die Umstellung kam wieder in Schwung. Dass heute immer mehr Landwirte über eine Umstellung nachdenken, liegt auch am schlechten Image der Agrarindustrie. Gleichzeitig wächst die gesellschaftliche Anerkennung für Biobauern.

Umstellungswillige brauchen Beratung

"Umstellung findet zuerst im Kopf statt", sagt Ewald Pieringer. Der Naturland-Berater begleitet seit 30 Jahren Betriebsumstellungen. Die alten eingefahrenen Gleise zu verlassen, ist für die meisten Bauern ein Schritt ins Ungewisse: Von der Anbauplanung mit Saatgut und Fruchtfolgen über Bodenbearbeitung und Unkrautregulierung bis hin zur Vermarktungsstrategie muss alles neu gedacht werden. Manchmal wird die alte Tierhaltung abgeschafft oder auf andere Tierarten und Haltungsformen umgestellt. In jedem Fall brauchen die Umstellungswilligen gute fachliche Unterstützung - über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren.

Der Bund verteilt die EU-Fördermittel neben zusätzlichen eigenen Geldern an die jeweiligen Bundesländer, die ihren Etat nach Belieben weiter aufstocken können. Aus diesem Grund werden umstellungswillige Bauern je Bundesland verschieden gefördert: In Brandenburg erhält ein Ackerbauer 209 Euro je Hektar, in Hessen dagegen 260 Euro. Das Land Niedersachsen zahlt in den ersten beiden Jahren sogar 403 Euro, danach immerhin noch 273 Euro. Die finanziellen Zuwendungen unterscheiden sich je nach Grünland, Ackerland, Gemüseanbau oder Dauerkulturen wie Obst und Wein. Und meistens gibt es in den ersten beiden Jahren der Umstellung mehr Geld als später.

Steigende Nachfrage nach Bio-Gemüse

Unterdessen erlebt der Anbau von Bio-Gemüse einen neuen Aufschwung. Nicht zuletzt wegen der Corona-Maßnahmen vor rund einem Jahr begann der Boom für entsprechende Lieferdienste und Abo-Kisten. Ein Grund dafür war sicher auch, dass im Lockdown zu Hause viel mehr gekocht wurde als sonst. Unternehmen mussten Personal aufstocken. Kunden wurden auf Wartelisten gesetzt. Vielleicht werden nicht alle dabei bleiben, dennoch werden sich viele Menschen dauerhaft ökologisch ernähren, gibt sich ein Mitarbeiter des Lieferservice "Flotte Karotte" in Bochum zuversichtlich. Auch Bio-Eier und Bio-Milchprodukte werden verstärkt nachgefragt.

Im Gemüseanbau war die Erntemenge 2020 mit insgesamt 3,9 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr zwar konstant geblieben. Allerdings lag die Gesamternte rund sechs Prozent über dem Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2019. Im vergangenen Jahr wurden knapp 380.000 Tonnen Freilandgemüse ökologisch erzeugt - zehn Prozent der Gesamternte im Freiland. Das heißt auch, eine Steigerung um knapp 16 Prozent gegenüber 2019. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gehören Spargel, Karotten und Speisezwiebeln zu den bedeutendsten Kulturen im deutschen Gemüsebau.

Bereits 2018 war der Markt für Bio-Produkte um 5,5 Prozent auf knapp elf Milliarden Euro gewachsen. So kamen 2017/18 rund 20 Prozent des Bio-Getreides, 36 Prozent der Bio-Trinkmilch und 28 Prozent des Bio-Schweinefleisches aus dem Ausland. Ein Marktpotential, das künftig auch von deutschen landwirtschaftlichen Betrieben bedient werden könnte.

Zukunftsstrategien warten auf Umsetzung

Die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2017 vorgestellte Zukunftsstrategie ökologischer Landbau (ZÖL) enthält 24 Maßnahmen. Ein Punkt ist die Eiweißpflanzenstrategie, für die über das BÖLN im aktuellen Haushaltsjahr sechs Millionen Euro zur Verfügung stehen. Unter anderem soll stärker zu alternativen Eiweißfuttermitteln wie Lupinen geforscht werden. Blühenden Hülsenfruchtpflanzen auf dem Acker dienen zusätzlich als Nahrungsquelle für Insekten und tragen so zum Erhalt der Biodiversität bei. Anreize für den Anbau sollen geschaffen, die Umstellungsberatung für Bauern soll ausgebaut werden und mehr Öko-Landbau in die berufliche Bildung von Landwirten einfließen.

Hinzu kommt die "Farm-to-Fork-Strategie", die der EU-Agrarrat Ende letzten Jahres mit insgesamt 27 Maßnahmen auf den Weg brachte. Demnach soll die Menge der Pestizide bis 2030 halbiert werden. Eine Abgabe oder Steuer auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll dafür sorgen, dass sich die Menge deutlich reduziert. Damit würden Pflanzenschutzprodukte teurer und sich betriebswirtschaftlich nicht mehr rechnen.

Harald Ebner vermisst bislang eine konsequente Umschichtung der Agrarförderung zugunsten pestizidarmer Bewirtschaftungsformen. Zwar sei die Gesamtmenge der eingesetzten Pestizide im Jahr 2019 um 6,7 Prozent gesunken, doch dies sei dem geringeren Fungizideinsatz aufgrund trockener Frühjahrs- und Sommerwitterung geschuldet, gibt der Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zu bedenken.

Rechne man ein, dass zehn Prozent Agrarfläche ökologisch bewirtschaftet werden, sei die Pestizidmenge pro Hektar innerhalb der letzten 25 Jahren sogar gestiegen. Die Betriebe seien abhängig von einer schrumpfenden Zahl an verfügbaren Wirkstoffen und sowie mangelnder Unterstützung bei Umstellungsprozessen im Pflanzenschutz, kritisiert Ebner im Kritischen Agrarbericht 2021.

Mehr Geld für ökologische Forschung

Damit könnten Mittel gegen Schädlinge oder Pilzkrankheiten oder Pflanzensorten, die besser an den Öko-Landbaus angepasst sind, besser erforscht und gezüchtet werden, erklärt BÖLW-Geschäftsführer Peter Röhrig. Mit der oben genannten Strategie alleine ließe sich das 20-Prozent-Ziel nicht erreichen, glaubt auch Jürn Sanders vom bundeseigenen Thünen-Institut, der die wirtschaftlichen Aspekte des Öko-Landbaus mit erarbeitet hat.

Es brauche eine Charta, in der sich alle Akteure auf die 20 Prozent Bio verpflichten und ihre Schritte festlegen, so der Experte. Der Bio-Dachverband BÖLW kritisiert, dass die Bio-Forschung nur zwei Prozent der Agrarförderung bekommt. Laut einer Studie, die von Greenpeace in Auftrag gegeben wurde, unterstützten die EU, Bund und Länder 2018 die Bio-Landwirte mit 344 Millionen Euro. Diese Summe müsste der Studie zufolge bis 2030 kontinuierlich auf 820 Millionen Euro aufgestockt werden, um bei gleichbleibender Förderung 20 Prozent Öko-Landbau bezahlen zu können. Bei einem Ziel von 25 Prozent wäre dafür über eine Milliarde Euro nötig.

Unterdessen hat Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace, die Zukunftskommission Landwirtschaft Ende März verlassen - aus Protest gegen den unambitionierten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Einer Kommission, deren Vorschläge erst in ferner Zukunft berücksichtigt werden sollten und die nur dazu diene, die Ankündigungs- und Verzögerungspolitik der Landwirtschaftsministerin zu kaschieren, stehe er nicht mehr zur Verfügung, so seine Begründung. Wer einen langfristigen Systemwandel in der Landwirtschaft will, braucht eben einen langen Atem. Immerhin zeichnet sich ab: Ein Weiter so wie bisher wird es wohl nicht mehr geben.

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