Spanien ist Extrem-Risikogebiet und hat Portugal überflügelt

Mallorca. Bild: Paasikivi/CC BY-SA 4.0

Auch Urlaubsgebiete wie Mallorca und die Balearen sind längst klare Risikogebiete, allerdings sind die Inzidenzwerte dort stark durch Exporte von Infizierten in Heimatregionen verzerrt

Die Covid-Lage hat sich im Urlaubsland Spanien inzwischen so bedenklich entwickelt, dass nun Frankreich auf die Zuspitzung reagiert hat. Weil sich die deutlich ansteckendere Delta-Variante in Spanien stark verbreitet hat, hat im Namen der Regierung am Donnerstag der Staatssekretär für europäische Angelegenheiten, Clément Beaune, von Reisen ins Nachbarland abgeraten. "Wenn Sie den Urlaub noch nicht reserviert haben, vermeiden Sie, vermeiden wir, Portugal und Spanien", sagte er im Fernsehsender France 2.

Die Einschätzung ist wenigstens konsequent und zeigt nicht die politische Färbung, die in der deutschen Regierung vorgenommen wird, die sich letztlich in Reisewarnungen oder Nicht-Reisewarnungen durch das Auswärtige Amt (AA) widerspiegelt. Der deutsche Außenminister Heiko Maas hält nämlich die Corona-Lage in Spanien für "nicht besorgniserregend", wie er gerade beim Besuch in Madrid erklärte hat.

Gegen alle Realität und die Tendenzen erklärte er: "Es gibt keinerlei Hinweise auf Entwicklungen, die befürchten ließen, dass wir in absehbarer Zeit wieder Entscheidungen treffen müssten, die dazu führen, dass deutsche Touristen in Spanien keinen Urlaub mehr machen können." Die Wiedereinführung der Quarantänepflicht für rückkehrende Spanien-Urlauber stehe nicht bevor.

Spanien

Das darf man getrost als einigermaßen absurd ansehen, da sich Spanien inzwischen im ganzen Land selbst als "Extremrisikogebiet" einstuft, weil die 14-Tage-Inzidenz schon am Mittwoch über die Marke von 250 auf 252 gestiegen war, die hier gewöhnlich verwendet wird.

Am Donnerstag stieg der Inzidenzwert munter weiter auf nun 278 an. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums ist die Sieben-Tage-Inzidenz nun auf 179 gestiegen. Fast alle Regionen liegen weit über der Schwelle von 50, die die Bundesregierung nimmt, um Risikogebiete auszuweisen.

Portugal

Trotzdem stuft die Bundesregierung Spanien weiterhin nicht als "Hochinzidenzgebiet" ein. Doch gilt das weiter für Portugal. Auch am westlichen Rand Europas ist die Entwicklung weiter nicht gut. Dort steigt die 14-Tage-Inzidenz ebenfalls weiter, allerdings langsamer. Sie ist zwar auch im Nachbarland auf 247 geklettert, verharrt nun aber auf dem Wert, wie die neuesten Zahlen vom Donnerstag zeigen.

Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt mit gut 162 auch unter der in Spanien. Portugal hat mit einer nächtlichen Ausgangssperre für die Hauptstadtregion und andere Städte und anderen Maßnahmen – die Bewohner von besonders betroffenen Gebieten dürfen sie auch an Wochenenden nicht verlassen – eine weiter schnelle Ausbreitung verhindern können. Es scheint, dass es nun gelungen ist, die Kurve wieder zu knicken.

Das Auswärtige Amt stuft Portugal aber als "von Covid-19 sehr stark betroffen" ein. Es sei ein "Risikogebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko (Hochinzidenzgebiet)", erklärt das AA auf seinen Webseiten. Was die Frage eines Virusvariantengebiets angeht, ist man in Berlin allerdings diese Woche zurückgerudert. So wurde Portugal am Mittwoch von der Liste dieser Länder genommen, mit Großbritannien und anderen, da sich die Delta-Variante inzwischen auch in Deutschland ausbreitet.

Warum man Portugal kurzfristig so eingestuft hatte, bleibt ein Rätsel des AA. Man hätte mit einem etwas besonneneren Vorgehen vermeiden können, dass viele Urlauber kurzfristig die Flucht ergreifen mussten, um einer 14-Tage-Quarantäne zu umgehen.

Seit Mittwoch sind Ein- und Ausreisen wieder einfacher. Wer über eine Vollimpfung verfügt oder genesen ist, für den entfällt die 14-tägige Quarantänepflicht wieder. Alle anderen müssen nur noch für zehn Tage in Quarantäne, sie können sich nach fünf Tagen über einen negativen Test frei-testen.

Regionale Entwicklung in Spanien

Dass man in Spanien trotz höherer Inzidenzen nicht als "Hochinzidenzgebiet" einstuft, sondern im AA weiter nur eine wachsende Liste von Risikogebieten führt, ist unverständlich und führt zu immer mehr Kritik. Zu den Regionen gehörten längst Andalusien, Navarra, La Rioja, das Baskenland und die Exklave Ceuta.

In der vergangenen Woche gesellten sich noch Kantabrien und Katalonien hinzu. Warum das Baskenland seit Wochen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von nun 139 auf der Liste steht, aber Kastilien-Leon mit fast der 331 weiterhin nicht, kann niemand verstehen. Die ist fast so hoch wie beim Spitzenreiter Katalonien (390).

Der Risklayer, der Corona-Daten auswertet und aufbereitet, hat sich zudem die Arbeit gemacht und aufgezeigt, dass nach den Kriterien der Bundesregierung auf dieser Liste auch noch weitere große Regionen wie oder Kastilien-Leon stehen müssten. Letztere fordert selbst schon, wieder eine nächtliche Ausgangssperre ähnlich wie in Portugal einzuführen.

Valencia hat die Justiz inzwischen angerufen, um sich das gestatten zu lassen. Hier liegt die Inzidenz mit 239 nur noch knapp unter der Schwelle zum "Extrem-Risikogebiet".

Kekulé: "Salami-Taktik"

Deutliche Kritik am Vorgehen der Bundesregierung hat auch der Virologe Alexander Kekulé formuliert und deren "Salami-Taktik" kritisiert, mit der er alles andere als glücklich sei. Dass "jetzt wieder Risikogebiete eins nach dem anderen ausgewiesen werden."

Man sollte besser ganz Spanien zum Risikogebiet deklarieren, meint auch er. Und die weitere Entwicklung der Zahlen spült weiter Wasser auf seine Mühlen. Er geht davon aus, dass über Reiserückkehrer die Zahl der Corona-Infizierten auch in Deutschland wieder steigen wird.

Er wünscht sich deshalb für Spanien auch Maßnahmen, ähnlich wie die, die für Portugal jetzt beschlossen wurden. Man dürfe die Idealsituation, mit niedrigen Fallzahlen, "nicht noch einmal verspielen, so wie wir es letztes Jahr gemacht haben", meint Kekulé. Für höhere Fallzahlen über Rückkehrer kann Spanien schon deshalb einfacher sorgen, weil es näher als Portugal liegt und auch mit dem Auto oder dem Zug leicht zu erreichen ist. Das erschwert die Kontrolle bei Rückreisenden zusätzlich.

Wie diese Infizierten-Exporte aus Urlaubsgebieten am Mittelmeer ins gesamte Land aussehen, konnte in Spanien nun schön beobachtet werden. Diverse Superspreader-Ereignisse haben für ein Hochschießen der Inzidenzen im gesamten Land gesorgt. Zunächst hatten Abschlussfahrten von Schülern nach Mallorca die Alarmglocken schrillen lassen. Mehr als 2.100 neue Infektionen wurden über Superspreader-Ereignisse auf den Balearen registriert, die über 13 Regionen im ganzen Land verteilt wurden.

Fünfte Corona-Welle

Auch darüber wurde Spanien in die nun fünfte Corona-Welle katapultiert. Fast die Hälfte der Infektionen wurde von den Balearen mit knapp 1.000 nach Madrid exportiert. Rückkehrer hatten zugegeben, dass Hygienevorschriften wie die Maskenpflicht bei den "intensiven Feiern"nicht eingehalten wurden. Und meist hatten sie die Delta-Variante im Gepäck, haben zu Hause zum Teil wiederum Familienmitglieder oder Freunde angesteckt.

Derzeit richtet sich der Blick unter anderem auch auf den Norden Kataloniens, wo etwa das auch bei Briten sehr beliebte Salou das Ziel von "Studienfahrten", wie solche Abschlussfahrten hier genannt werden. Eine genauere Zahl, wie viele Neuinfektionen mit diesem "Makro-Ausbruch" in Verbindung stehen, gibt es nicht. Doch eine Betrachtung von Navarra zeigt, wie sich die Lage in jedem Bundesland nach der Rückkehr von Infizierten entwickeln könnte. Allein Navarra geht man inzwischen von mehr als 1.300 Fällen aus.

Der Generaldirektor der lokalen Gesundheitsbehörde sprach von einer "ungeheuren Übertragung", die noch stärker gewesen sei als bei der vorherigen britischen Variante. Carlos Artundo erklärte, dass etwa die Hälfte aller jungen Leute, die aus Salou zurückgekehrt sind, infiziert seien. Verantwortlich dafür sei die ansteckendere Delta-Variante, die für "70 bis 80 Prozent"aller Fälle in Navarra verantwortlich sei.

Wies Navarra am Montag vor einer Woche ganze 41 neu entdeckte Infektionen aus, waren es eine Woche über die Rückkehrer 507, gut 12 Mal so viele. Eine solche Zahl wurde zuletzt im vergangenen November in der dritten Welle registriert. Auch der Region mit seiner Hauptstadt Pamplona hat das Superspreader-Ereignis weitere Lockerungsschritte verhagelt, stattdessen wird nun wieder eingeschränkt.

Geglückt ist es offensichtlich durch massive Testungen schon am Busbahnhof noch schlimmere Entwicklungen zu verhindern. Die Zahl der Neuinfektionen geht seit Montag wieder zurück, am Donnerstag waren es noch 256. Bei Rückkehrern, die einzeln oder in kleinen Gruppen unkontrolliert zurückkehren, ist das Vorgehen allerdings nicht möglich.

"Wilde Feiern"

Dass in Salou wild gefeiert wurde, haben junge Leute aus Navarra den lokalen Medien betätigt. Die 18-jährige Eider Barbarin sprach von Fiestas, "als gäbe es keinen Virus". Es sei in Salou zugegangen, wie in einer "heilen Welt ohne Coronavirus", sagte die 18-jährige Naroa López. "Für diesen Ausbruch sind wir verantwortlich", meint selbstkritisch der 19-jährige Alberto Alzuza, als er sich am Busbahnhof einem Test unterzog.

Wie auf Mallorca wurde von "inexistenten" Hygieneregeln auch von überfüllten Diskotheken gesprochen. Zu den Regionen, die nach der bisherigen Praxis des AA auf die Liste hätten aufgenommen werden müssen, zählen aber längst auch Mallorca und die Balearen insgesamt. Denn auch die stark nach unten verzerrte offizielle 14-Tage-Inzidenz steigt und steigt und die Inselgruppe blieb am Donnerstag mit 244 nur noch ganz knapp unter der spanischen Selbsteinstufung als "Extrem-Risikogebiet".

Die Sieben-Tage-Inzidenz, die das Auswärtige Amt als Grundlage nimmt, liegt nun mit 157 nun schon mehr als dreimal so hoch wie die von der Bundesregierung für die Einstufung als Risikogebiet festgelegte Schwelle.

Auf Mallorca liegt sie bei 205, auf Nachbarinsel Menorca gehen die Zahlen längst durch die Decke. Die 14-Tage-Inzidenz inzwischen sogar schon auf 718 explodiert. Auch das ist für den Außenminister Maas offenbar nicht besorgniserregend.

Allein auf Inzidenzen zu schielen, ist allerdings wenig zielführend, ganz besonders in Urlaubsgebieten. Deshalb sollte auch die Positivrate beachtet werden. Monatelang lag die Zahl der positiven Tests auf den Balearen deutlich unter der Schwelle von fünf Prozent, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegt hat. Auf Mallorca liegt sie nun aber bei 8,5 Prozent (Tendenz steigend) und auf Menorca sogar bei fast 18 Prozent. Sie ist ein Indikator dafür, dass viele Infektionen nicht festgestellt werden.

Doch die werden ohnehin, wie schon an Madrid oder Navarra aufgezeigt, in andere Landesteile oder nun im Urlaubssommer vermutlich auch nach ganz Europa exportiert, wo sie dann schließlich festgestellt und registriert werden. Das treibt die Inzidenzen in anderen Gebieten hoch, obwohl die Ansteckungen am Urlaubsort wie in Salou oder Mallorca stattfanden. Macht man die Rechnung für die Baleren auf, dann sieht das in etwa so aus.