Siegt die Bundeswehr an der heimischen Propagandafront?

Militärs wollen nur Spuren von zwölf bis 13 Toten in der Nähe der Tanklaster-Wracks bei Kunduz gefunden haben. Foto: BRFBlake / CC BY-SA 3.0

Wie in Deutschland die Opfer von Kunduz heruntergerechnet und die Soldaten der Bundeswehr als eigentliche Opfer hingestellt werden

Tausende verzweifelte Menschen versuchen nach dem aktuellen Erfolg der Taliban Afghanistan zu verlassen und sterben sogar, wie der Jugendfußballer Zaki Anwari, weil sie sich an Flugzeugen festklammern und dann in die Tiefe stürzen. Doch in Deutschland werden die Bundeswehr-Soldaten, die in den letzten zwei Jahrzehnten in Afghanistan im Einsatz waren, zunehmend als Opfer des Abzugs dargestellt. Zunächst machen sie ihrer Enttäuschung Luft, dass durch den Abzug "alles für die Katz" gewesen sei, was sie angeblich dort aufgebaut haben.

Dann spricht ein Militärseelsorger im Domradio ausführlich darüber, was der Abzug aus Afghanistan psychisch mit den Soldaten mache. Nun ist die Erzählung von den durch den Bundeswehr-Einsatz traumatisierten Soldaten nicht neu. Selbst die Linkspartei, die den Einsatz von Anfang ablehnte, macht sich Sorgen um die psychische und physische Gesundheit der Soldaten und sah bereits 2009 in einen Abzug den besten Schutz vor Traumata.

Kunduz und der angebliche "Propagandaerfolg der Taliban"

Am 4. September wird es sich zum zwölften Mal jener Einsatz von Kunduz jähren, bei dem mindestens 90 Menschen uns Leben kamen, weil Oberst Klein von der Bundeswehr trotz Warnungen, dass sich Zivilisten an dem Ort aufhielten, auf zwei zunächst von den Taliban gekaperte Tanklastzüge feuern ließ, nachdem diese im Schlamm stecken geblieben waren. Der verantwortliche Oberst wurde dafür nie bestraft, sondern später zum General befördert, die Angehörigen der Opfer bekamen keine Entschädigung.

Dafür sind militärfreundliche Medien bemüht, die Geschehnisse von Kunduz neu zu bewerten. Grundlage ist eine Stellungnahme von Ulrich Herrmann und Harald Reiter, zwei Richtern des Bundesgerichtshofs, die die Berichterstattung über die Toten von Kunduz als Propagandaerfolg der Taliban bezeichnen.

Sie bezweifeln die Zahl der Getöteten und bestreiten, dass darunter viele Zivilisten waren. Dabei berufen sie sich auf Militärquellen, die ein klares Entlastungsinteresse haben. Für die beiden Richter sind nur zwölf oder maximal 13 Tote belegt. Selbst Juristen sprechen von einer ungewöhnlichen Wortmeldung von zwei Richtern und verweisen darauf, dass deren Einschätzung juristisch irrelevant, aber politisch durchaus von Bedeutung ist. Es geht um die Rehabilitation der Bundeswehr. Schließlich ist der Name Kunduz mit mindestens 90 Toten durch deutsche Militärs verbunden.

Eine Arbeit des Künstlerduos Christoph Reuter und Marcel Metelsiefen die Installation Kunduz, 4, beruht auf einer umfangreichen Recherche und war unter anderen im Kunstraum Potsdam zu sehen. Die beiden Künstler sind nach Afghanistan gefahren, haben mit den Angehörigen der Opfer gesprochen und mindestens 90 Getöteten ein Gesicht gegeben.

Von einigen Opfern konnten keine Fotos gefunden werden, hieß es in der Ausstellung. Rechtsanwalt Karim Popal, der Hinterbliebene vertreten hat, sprach im Februar dieses Jahres gegenüber Telepolis von mindestens "mindestens 79 nachgewiesenen zivilen Opfern". Die Unklarheit über weitere mögliche Opfer ergab sich daraus, dass das Meldewesen in dem Kriegsgebiet nicht problemlos funktionierte, wie auch die Künstler feststellen mussten.

Wenn die beiden Richter aber die Zahl der belegten Opfer auf maximal 13 herunterrechnen und diese Recherchen gar nicht zur Kenntnis nehmen, geht es darum, die Bundeswehr reinzuwaschen, um sie dann zum eigentlichen Opfer zu machen, das eine besondere Ehrung verdient.

Ehrung der Soldaten aufgeschoben, aber nicht aufgehoben

Deshalb gab es vor einigen Wochen bereits eine Kampagne für eine Ehrung der aus Afghanistan abgezogenen Bundeswehr-Soldaten. Über Tage gab wurde von militärnahen Kreisen die Kritik ventiliert, dass Politiker die aus Afghanistan zurückgekehrten Soldaten nicht mit militärischen Ehren begrüßt haben. Deshalb sollte es am 31. August vor dem Reichstag einen öffentlichen Zapfenstreich geben, der nun angesichts der Ereignisse in Afghanistan verschoben, aber nicht abgesagt wurde.

Ein antimilitaristisches Bündnis, das Proteste gegen den Zapfenstreich geplant hatte, bereitet sich jetzt auf den noch unbekannten "Tag X" vor. Der 4. September wäre eine gute Gelegenheit, um an die Toten von Kunduz zu erinnern, für die niemand zur Verantwortung gezogen wurde und die jetzt noch nachträglich heruntergerechnet werden sollen.

Ein solches Gedenken müsste sich dagegen richten, dass die Bundeswehr zum eigentlichen Opfer des Afghanistan-Desasters gemacht wird. Sonst könnte das zu einer modernisierten Dolchstoßlegende werden. In der Weimarer Republik suggerierten rechte Kreise, eine eigentlich siegreiche Armee wäre im Hinterland Deutschland von streikenden Arbeitern und kriegsmüden Massen erdolcht wurden.

Diese antisemitisch unterlegte Dolchstoßlegende war ein Schwungrat für den Aufstieg der völkischen Rechten und des NS. Heute wird behauptet, die Bundeswehr wäre in Afghanistan eigentlich erfolgreich gewesen und musste abziehen, weil sie sich wankelmütige Alliierten, vor allem die USA beugen musste. Schon hat der Unionspolitiker Norbert Röttgen einen eigenen Einsatz der Bundeswehr unabhängig von den USA in die Diskussion gebracht.

Dieser Vorstoß hatte natürlich auf Anhieb keinen Erfolg. Doch hier könnte die Grundlage für einen neuen deutschen Militarismus gelegt werden. Dafür muss der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr als Erfolg verkauft werden, der von Alliierten hintertrieben wurden. Dafür müssen natürlich auch die Opfer der Bundeswehr kleingerechnet werden. Es wäre die Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit, dieses Bild infrage zustellen.